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Wärmewende 12.09.2024, 10:00 Uhr

Erneuerbare Abwärme aus der Kanalisation

Es klingt zu schön, um wahr zu sein: menschengemachte Abwärme nutzen, um Menschen zu wärmen. Doch es ist realistisch: Wärme aus Abwasser kann bis zu zehn Prozent des Gebäudewärmebedarfs decken. Zwei Verbände informieren gemeinsam über die technischen Möglichkeiten und den rechtlichen Rahmen.

Ein Mitarbeiter der Installationsfirma Uhrig aus Geisingen in Baden-Württemberg stellt die druckdichten Verbindungen der jeweils 1m langen Wärmeübertragerelemente her. Auf diese Weise entstand ein insgesamt 15 m langer Wärmeübertrager in der Haltung des Michwasserkanals in Oldenburg, Niedersachsen, mit einem Durchmesser von 1,2 m. Foto: Michael Stefan/IRO

Ein Mitarbeiter der Installationsfirma Uhrig aus Geisingen in Baden-Württemberg stellt die druckdichten Verbindungen der jeweils 1m langen Wärmeübertragerelemente her. Auf diese Weise entstand ein insgesamt 15 m langer Wärmeübertrager in der Haltung des Michwasserkanals in Oldenburg, Niedersachsen, mit einem Durchmesser von 1,2 m.

Foto: Michael Stefan/IRO

Im Zuge der Wärmewende haben Wärmepumpen das jahrzehntelange Nischendasein verlassen und stehen im Fokus der öffentlichen Diskussion. Dabei beschränken sich die Anwendungen in der Regel noch auf die klassischen Medien Luft und Grundwasser. Ein großer „natürlicher“ Wärmeträger, das Abwasser, gewinnt hingegen erst jetzt auch flächendeckend an Bedeutung. Fachleute schätzen, dass Abwasserwärme das Potenzial bietet, 5 bis 10 % des Gebäudewärmebedarfs in Deutschland zu decken. Das theoretische Potenzial, also die im Abwasser enthaltende Wärmemenge, ist deutlich höher.

Um dieses Potenzial umfassend zu nutzen, haben die Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall (DWA) und der Verband kommunaler Unternehmen (VKU) im August 2024 die Informationsbroschüre „Abwasserwärme effizient nutzen – rechtliche und technische Rahmenbedingungen“ veröffentlicht.

Leuchtturmprojekte

Abwasser ist in der Regel zwischen 10 und 15 °C warm. Diese Temperaturen erlauben einen sehr effizienten Wärmepumpenbetrieb. Und es gibt einen weiteren Vorteil: Im Winter, wenn der Heizbedarf am größten ist, ist Abwasser relativ gesehen sehr warm. Dies ist ein klarer Vorteil im Vergleich zu Wärmequellen wie Luft, oberflächennahem Erdreich oder Grundwasser.

In Deutschland hat die Abwasserwärmenutzung in vielfältigen Leuchtturmprojekten ihre technische und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit schon unter Beweis gestellt. Das Ikea-Kaufhaus in Berlin-Lichtenberg, der Technologiepark SinTec in Singen, Baden-Württemberg, und das Nordwestbad im Bochumer Stadtteil Hofstede sind nur drei von vielen Beispielprojekten. Abwasser wird bereits seit Jahren als eine zuverlässige Wärmequelle genutzt.

Winterliche Temperaturen machen das Wärmepotenzial von Abwasser sichtbar wie hier im Rundbekcen des Klärwerk Gut Marienhof der Münchener Stadtentwässerung. Foto Nina Simon

Wärmeplanungsgesetz

Das seit Anfang 2024 in Kraft getretene Wärmeplanungsgesetz (WPG) verleiht der Technik einen neuen Schub. Bis 2030 soll die Hälfte der leitungsgebundenen Wärme klimaneutral erzeugt werden. Die Wärmenetze der Kommunen sollen bis dahin zu 30 % und bis 2040 zu 80 % mit Wärme aus erneuerbaren Energien oder unvermeidbarer Abwärme gespeist werden. 2045 müssen die 100 % erreicht sein.

Wärme aus Abwasser kann hier einen wichtigen Beitrag leisten. Die Bundesregierung adressiert Abwasser im Gesetz explizit als mögliche Wärmequelle aus erneuerbarer Energie.

1. Schritt: Auskunftspflicht

Inwieweit Abwasserwärme im Rahmen der kommunalen Wärmeversorgung als Wärmequelle genutzt wird, obliegt den verantwortlichen Stellen in den Kommunen. Es gibt keine rechtliche Verpflichtung, Abwärme aus Abwasser zu nutzen. Auch ein rechtlicher Anspruch Dritter, die Abwasserinfrastruktur für die Wärmeerzeugung nutzen zu dürfen, besteht aktuell nicht.

Festgeschrieben ist im neuen Gesetz hingegen eine Auskunftspflicht: Kommunen müssen, gestaffelt nach Größe, spätestens bis Mitte 2028, eine Bestands- und Potenzialanalyse klimaneutraler Wärmequellen durchführen. Kommunale Abwassernetzbetreiber haben den planungsverantwortlichen Stellen in der Kommune auf Verlangen Informationen zu ihren Netzen mit einer Mindestnennweite von DN 800 – als einem Innenquerschnitt von mindestens 80 cm – zu übermitteln.

Abwasserwärme aus der Kanalisation

Während rechtlich viele Fragen wie die Bepreisung der Abwasserwärme offen sind, besteht technisch Klarheit: Die Technik ist in mehreren Varianten vorhanden und erprobt. Die Abwasserwärme kann an verschiedensten Stellen – sei es direkt im Gebäude, in der Kanalisation oder im Auslauf der Kläranlage – dem Abwasser entzogen und durch Wärmepumpen nutzbar gemacht werden. Jede Variante weist Vor- und Nachteile auf.

Abwasserwärme direkt aus der Kanalisation spielt vor allem in der Nahwärmeversorgung eine Rolle. Hier kommen insbesondere Quartierslösungen bei Neubaugebieten oder die Wärmeversorgung bestimmter Gebäude wie Schwimmbäder, Rathäuser oder Altenheime in Frage. Technisch ist auch eine Wärmeversorgung kleinerer Wohneinheiten möglich, wirtschaftlich aber in der Regel kritisch.

Optimal ist, wenn in der Nähe der Kanalisation ein ganzjährig relativ gleichbleibender Wärmebedarf besteht. Ein Paradebeispiel hierfür sind Hallenbäder. Zudem muss der Kanalisationsabschnitt über einen ausreichenden Trockenwetterabfluss verfügen, das heißt, es muss kontinuierlich ein ausreichender Abwasserfluss für die Wärmenutzung zur Verfügung stehen. Interessant sind daher neben Bädern vor allem Bürokomplexe, Krankenhäuser und ähnliches in der Nähe städtischer Hauptsammler.

Die Wärme wird dabei über Wärmeübertrager entnommen. Drei Varianten sind möglich: Bei bestehenden Kanälen kann in den Kanal ein Wärmeübertrager eingebaut werden. Dies stellt allerdings einen Eingriff in das Entwässerungssystem dar und verkleinert den Fließquerschnitt. Besonders bei Kanalneubauten oder dem Austausch von Kanalabschnitten empfiehlt sich, wenn man die Abwasserwärme nutzen möchte, werksseitig in die Kanalrohre integrierte Wärmeübertrager zu verwenden.

Alternativ können Wärmeübertrager außerhalb des Kanals im Erdreich angeordnet werden. Bei dieser Variante wird der Fließquerschnitt nicht kleiner, zudem bildet das Erdreich um den Kanal eine zusätzliche effektive Wärmesenke, die als Energiespeicher dient und das Wärmedargebot vergleichmäßigt.

Wird Wärme aus einem Kanal entnommen, senkt dies die Temperatur des der Kläranlage zufließenden Abwassers. Die biologischen Stufen der Kläranlage dürfen durch diese Temperaturabsenkung nicht in der Leistungsfähigkeit beeinträchtigt werden. Relevant ist hier die Summe der Wärmeentnahmen im gesamten Einzugsgebiet der Kläranlage. Die resultierende Abkühlung sollte 0,5 K, die so genannte „Bagatellgrenze“, im Zulauf zur Kläranlage nicht überschreiten.

Ein Mitarbeiter der Installationsfirma Uhrig prüft den richtigen Sitz der Wärmeübertrager. An der Rohrinnenwandung des Mischwasserkanals ist die für Abwasserkanäle typische Sielhautbildung erkennbar, die auch bei der Dimensionierung des Wärmeübertagers berücksichtigt wird.

Foto: Michael Stefan/IRO

Wärmeentnahmen im Kanalnetz betreffen aber zumeist nur eine Teilmenge des Abwassers und die Temperaturabsenkung wird mit zunehmender Fließstrecke durch einen Wiedererwärmungseffekt aus der Umgebungswärme ausgeglichen. In der Praxis ergeben sich daher zumeist keine relevanten Auswirkungen von Projekten zur Wärmenutzung in Kanälen auf die Temperatur im Kläranlagenzulauf. Wird künftig im Zuge der Wärmewende an zahlreichen Stellen eines Kanalnetzes Wärme entnommen, ist aber der summierte Effekt auf die Temperatur im Zulauf der Kläranlage besonders zu berücksichtigen.

Wärmeentnahme im Ablauf von Kläranlagen

Wärme am Ablauf der Kläranlagen zu entnehmen, ist ebenfalls eine interessante Option. Die Wärmenutzung nach der biologischen Stufe einer Kläranlage weist gegenüber der Abwärmenutzung im Abwasserkanal Vorteile auf. Das Abwasser eines gesamten Einzugsgebiets kann zur Abwärmenutzung herangezogen werden und die Abwassertemperatur unterliegt geringeren Schwankungen als die einer Kanalisation. Zudem ist die nutzbare Temperaturdifferenz oft höher, da keine Mindesttemperatur für eine biologische Stufe beachtet werden muss.

Häufig ist es sogar ökologisch vorteilhaft, kühleres Abwasser in Gewässer einzuleiten. Das nutzbare Wärmepotenzial ist daher sowohl aufgrund des hohen Volumenstroms als auch aufgrund der großen realisierbaren Temperaturdifferenz besonders groß.

Die als Schauraum gestaltete Heizungsanlage des Instituts für Rohrleitungsbau in Oldenburg (IRO), mit Wärmepumpe (Kubus rechts), Kameraüberwachung im Kanal und Smartmetering. Mittlerweile sind auch „Mixed Reality“-Brillen verfügbar. Mit ihnen können Betrachtende den Verlauf der Leitungen und des Wärmeübertrages im Untergrund weiter zu verfolgen.

Foto: Michael Stefan/IRO

Diesen Vorteilen steht gegenüber, dass an Standorten von Kläranlagen der Bedarf für solch große Wärmemengen häufig nicht gegeben ist. Für einen wirtschaftlichen Betrieb sollte jedoch die Abnahme großer Wärmemengen möglichst ganzjährig gewährleistet sein. Um die Potenziale Wärmenutzung auf Kläranlagen zu heben, bietet es sich daher an, die Anbindung von Kläranlagen an Fern- oder Nahwärmenetze zu forcieren.

Der Bau entsprechender Verbindungsleitungen zu Wärmenetzen oder großen Wärmeabnehmern verursacht bei größeren Distanzen und je nach örtlichen Gegebenheiten zwar entsprechende Kosten. Die wirtschaftlich überwindbaren Distanzen werden jedoch noch oft unterschätzt, insbesondere, wenn größere Abnehmer zur Versorgung mit Abwasserwärme eingebunden werden können. Als Faustformel für die Wirtschaftlichkeit gilt: Bei zugänglichem Gelände rechnet sich je Megawatt Wärmeabnahme 1 km Fernwärmeleitung.

Zusätzlich kann die Kläranlage selbst Wärmemengen für die Faulbehälterheizung oder eine Niedertemperatur-Schlammtrocknung einsetzen. Im Gegenzug kann dann häufig mehr Faulgas zur Stromerzeugung genutzt werden, was wiederum die Eigenstromversorgung beziehungsweise die Einspeisung ins Stromnetz erhöht.

Von Lisa Broß / Reinhard Reifenstuhl

Dr.-Ing. Lisa Broß ist Sprecherin der Bundesgeschäftsführung der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall (DWA) bross@dwa.de
Dipl.-Ing. Reinhard Reifenstuhl ist Fachreferent im DWA-Hauptausschuss Kreislaufwirtschaft, Energie und Klärschlamm reifenstuhl@dwa.de