Gleichstrom schiebt die Energiewende an
In Industrie und Verwaltung dominiert Gleichstrom bei Verbrauchern, Speichern und dezentralen Kraftwerken. Noch werden sie über unzählige Gleichrichter versorgt, die Verluste machen. Damit soll bald Schluss sein.
Der Startschuss fiel vor etwas mehr als einem Jahrzehnt. Siemens und seine Partner Philips und Infineon gingen daran, Gleichstromnetze für Bürogebäude zu entwickeln, die parallel zum angestammten Wechselspannungsnetz betrieben werden sollten, möglichst mit unterschiedlichen Spannungen für Klein- und Großverbraucher. Die Unternehmen glaubten, so eine Menge Strom einsparen zu können. Schließlich benötigen alle Kommunikationsgeräte wie Smartphones und Computer Gleichstrom (DC, direct current), der heute mithilfe von einzelnen Gleichrichtern erzeugt wird.
Hin und her zwischen AC und DC
Genauso ist es bei Elektroautos und unzähligen industriellen Anwendungen. Umgekehrt muss die Energie, die Solarzellen erzeugen, in Wechselstrom (AC, amplify currant) umgewandelt werden, ehe sie im Bürogebäude oder in Fabrikhallen genutzt werden kann – bis auf den Teil, der in Pufferbatterien landet. Dieser muss allerdings ebenfalls, um nutzbar zu werden, in Wechselspannung zurückverwandelt werden, aus dem dann wieder Gleichstrom wird, um Elektroautos und andere Verbraucher zu versorgen. Bei jedem dieser Schritte geht Energie verloren, bei Großabnehmern wie Elektroautos oder Elektrohängebahnen in Fertigungsstraßen, die Bauteile transportieren, sogar sehr viel.
Start der ersten Hardware
Mittlerweile ist die Schar der Partner weit größer geworden. Und es gibt erste vorzeigbare Ergebnisse. Die Vahle Group, einer der Weltmarktführer bei Energie-, Datenübertragungs- und Automatisierungssystemen für mobilen Industrieanwendungen mit Standort Kamen, hat gemeinsam mit Partnern eine Schiene entwickelt, die Gleichstrom auf ein innerbetriebliches Transportsystem überträgt. Im Vergleich zu einer Wechselspannungsschiene liegt die Energieeinsparung bei 10 %. Daran sind mehrere Bauteile beteiligt. Die Technische Hochschule Ostwestfalen-Lippe in Lemgo übernahm die Installation des Gleichrichters, der gegenüber einem Standardmodul einen um 35 bis 40 % höheren Leistungsfaktor hat.
Ultracaps als Puffer
Die Technische Universität Dortmund steuerte Energiespeicher in Form von Superkondensatoren (Supercaps) bei, die die Bremsenergie der mobilen industriellen Verbraucher aufnehmen. Bei normalem Bremsen übernimmt der Motor die Entschleunigung, indem er auf Generatorbetrieb umschaltet und Strom erzeugt. Dieses Prinzip sorgt dafür, das bei zeitweise hoher Belastung, etwa beim Anfahren mit besonders schwerem Transportgut, stets genügend Strom bereitgestellt wird – Ultracaps sind in der Lage, blitzschnell Strom auch in großen Mengen zu liefern, im Gegensatz zu Batterien.
Kupferbedarf sinkt um 50 Prozent
Im Rahmen des Projekts Effidcent, das vom Land Nordrhein-Westfalen und der Europäischen Union gefördert wird, bauten Vahle und seine Partner eine 80 m lange Stromschiene auf, wie sie auch in Fertigungsstraßen eingesetzt wird. Durch den Umstieg von Wechsel- auf Gleichstrom in Kombination mit Pufferkondensatoren gelingt so eine Reduzierung des Kupferbedarfs der Schiene um bis zu 50 % und der Wirkungsgrad steigt um bis zu 15 %. Außerdem erlauben die zentrale DC-Einspeisung und die Pufferkapazität eine deutlich einfachere Konstruktion der Stromabnehmer. Dank der Energiespeicher muss die Einspeisung zukünftig nur für die Nenn- und nicht für die Spitzenleistung ausgelegt sein. So werden Kosten gespart und das Versorgungsnetz entlastet.
Beitrag zur Energiewende
Effidcent gehört zu einer großen Initiative namens Open Direct Current Alliance (ODCA) mit 33 industriellen und sechs wissenschaftlichen Mitgliedern, die die Gleichstromtechnik als Beitrag zur Energiewende voranbringen wollen. Ins Leben gerufen hat sie der Verband der Elektro- und Digitalindustrie (ZVEI e. V.) in Frankfurt am Main. Ziele des Projekts sind die Stromversorgung industrieller Anlagen über ein smartes, offenes Gleichstromnetz und die Digitalisierung der industriellen Energieversorgungsarchitektur. So entsteht das industrielle Energiesystem der Zukunft: ein gleichstrombasiertes Smart Grid für die Industrie, das von einem zentralen Gleichrichter mit geringen energetischen Verlusten gespeist wird. Er ist so ausgelegt, dass Strom auch zurück ins Wechselspannungsnetz fließen kann, wenn im DC-Netz Überfluss herrscht.