Klimaneutralität: Deutschland kann es bis 2045 schaffen
Der Zusatzbedarf an Strom aus Wind und Sonne ist gigantisch. Im Inland ist längst nicht genug zu holen. Der größte Teil des benötigten Wasserstoffs muss importiert werden.
Deutschland kann bereits 2045 klimaneutral sein. Das ist das Ergebnis einer Studie, die im Auftrag von Stiftung Klimaneutralität, Agora Energiewende und Agora Verkehrswende erstellt wurde. Dieses Ziel haben sich am 5. Mai auch Bundesumweltministerin Svenja Schulze und Vizekanzler Olaf Scholz, beide SPD, auf die Fahne geschrieben und in ein Eckpunktepapier für ein neues Klimaschutzgesetz eingefügt.
Die Studie erarbeiteten drei Institute. Die Basler Prognos übernahm die Sektoren Gebäude und Energiewirtschaft. Das Öko-Institut in Freiburg war zuständig für Verkehr, Landwirtschaft, Abfall, Landnutzung und Forstwirtschaft. Das Wuppertal Institut schließlich bearbeitete den Sektor Industrie. Ziel der Bundesregierung ist es, bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen.
Strombedarf steigt um 100 Prozent
Die Vorverlegung des Zieles der Klimaneutralität um fünf Jahre bedeutet gigantische Anstrengungen, vor allem im Sektor erneuerbare Energien. Die Studie geht von einem Anstieg des Stromverbrauchs zwischen 2030 bis 2045 vor allem durch die weitere Elektrifizierung sowie die steigende Herstellung von Wasserstoff auf rund 1 000 TWh/a aus, das ist etwa doppelt so viel wie heute. Dazu seien Solarkraftwerke mit einer Gesamtleistung von 385 GW nötig. Derzeit sind es rund 55 GW.
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Zudem müssen unzählige Windgeneratoren errichtet werden. Die installierte Leistung soll nach den Vorstellungen der Autoren von heute 55 auf 215 GW ansteigen. Allein in Nord- und Ostsee sind 70 GW vorgesehen, fast zehnmal so viel wie heute. Trotzdem muss der größte Teil des Wasserstoffs aus wind- und sonnenreichen Regionen der Welt importiert werden. 2045 werden zur Deckung des Bedarfs in Deutschland im Inland 96 Mio. t, im Ausland 169 Mio. t Wasserstoff erzeugt werden müssen.
2032 kommt das Aus für Verbrenner
Die gigantischen Steigerungsraten sind unter anderem nötig, um die explosionsartig wachsende Zahl von Elektroautos mit Strom versorgen zu können. Ab 2032 sollen keine Autos mit Verbrennungsmotor mehr zugelassen werden. Ab 2045 rollen dann nur noch ein paar Oldtimer über die Straßen. Busse, Bahnen und Lkw werden ab 2032 vor allem über Oberleitungen sowie von Batterien und Brennstoffzellen mit Strom versorgt.
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Der Verkehr ist allerdings nur für einen vergleichsweise kleinen Teil des wachsenden Strombedarfs verantwortlich. Den größeren Teil beanspruchen Elektrolyseure und andere Anlagen, die Wasserstoff erzeugen. Der wird benötigt, um Stromlücken zu überbrücken, die das Wetter reißt. An vielen Tagen im Jahr tragen, weil es an Wind und Sonne mangelt, fossile und Kernkraftwerke die Hauptlast der Stromerzeugung, manchmal zu 90 %. Das ist künftig die Aufgabe von Gaskraftwerken, die mit Wasserstoff befeuert werden.
Wirkungsgrad von mehr als 60 Prozent
Im Prinzip funktionieren sie wie Gas-und-Dampfturbinen (GuD)-Kraftwerke, die, mit Erdgas befeuert, auf einen Wirkungsgrad von mehr als 60 % kommen. Der Wasserstoff wird verbrannt und die Abgase treiben einen Turbogenerator an. Danach sind sie noch so heiß, dass sie einen Dampfkreislauf in Gang setzen können, um einen zweiten Turbogenerator anzutreiben. Denkbar ist auch die Stromerzeugung in Brennstoffzellen, die einen noch höheren Wirkungsgrad haben, wenn die Abwärme nutzbar ist.
Einseitiges Votum für die Wärmepumpe
Auch der Gebäudebereich erweist sich als stromhungrig. Zwischen 2030 und 2045 sollen pro Jahr 920 000 Wohnungen von Wärmepumpen mit Heizungswärme und warmem Wasser versorgt werden. Nach 2025 sollen nur noch in Ausnahmefällen Erdgasheizungen installiert werden. Die Option, die Erdgasnetze mit der Zeit in Wasserstoffnetze umzuwandeln, haben die Autoren nicht berücksichtigt. Mit einer solchen Maßnahme wäre neben der Klimaneutralität auch sichergestellt, dass Wasserstoffheizungen im großen Stil installiert werden können, entweder Brennwertgeräte oder Brennstoffzellen, die zusätzlich noch Strom für den Eigenbedarf erzeugen.
Industrie soll noch früher klimaneutral sein
Die Industrie könnte schon 2040 klimaneutral sein, so die Autoren der Studie. Fossile Rohstoffe werden unter Einsatz von elektrischer Energie durch Kohlendioxid ersetzt, das zu einem Teil aus Biogasanlagen, zum größeren Teil direkt aus der Luft oder aus den Abgasen von Anlagen zur Prozessdampferzeugung, die mit Biomasse betrieben werden, gewonnen wird. Auch die Industrie wird gewaltigen Bedarf an Strom und Wasserstoff anmelden, vor allem die Zement-, die chemische und die Stahlindustrie.
Die Kosten kann man nur erahnen, denn dazu sagen die Autoren nichts. Sie gehen, wie die Autoren anderer Studien, davon aus, dass sie durch Einsparungen kompensiert werden können.