Neues Kernkraftwerk stopft die Lücke
Nach dem Stopp der russischen Lieferungen wegen des Beitrittswunsches zur Nato hat Finnland außer der Eigenerzeugung noch drei Lieferländer, die den Ausfall kompensieren.
Finnland hatte stets ein besonderes Verhältnis zur einstigen Sowjetunion und zum heutigen Russland. Den Grundstein für den Balanceakt zwischen Ost und West legte in den 1950er-Jahren Finnlands damaliger Präsident Urho Kaleva Kekkonen. Das Land profitierte so von wirtschaftlichen Beziehungen zu seinen direkten und entfernteren Nachbarn. Damit ist jetzt Schluss. Russlands Präsident Wladimir Putin ordnete den Stopp der russischen Stromlieferungen an den Nachbarn an als Reaktion auf den Wunsch Finnlands, seine Neutralität aufzugeben und dem westlichen Verteidigungsbündnis Nato beizutreten. Offizielle Begründung des Stromstopps ist allerdings ein angeblicher Zahlungsverzug Finnlands.
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Zehn Prozent des Stroms aus Russland
Das Land mit einer mehr als 1 000 km langen gemeinsamen Grenze mit Russland bezog bisher gut 10 % seines Strombedarfs von seinem östlichen Nachbarn. Die beiden Netze sind allerdings nicht miteinander verknüpft, sodass eine direkte Lieferung nicht möglich war. Das hätte, da das russische Netz keineswegs so stabil ist wie das westeuropäische, die Versorgungssicherheit nicht nur Finnlands gefährdet, sondern weiter Teile Europas.
HGÜ der kurzen Wege
Mit einem technischen Trick gelang es trotzdem, den russischen Strom zu beziehen, ohne die Instabilität zu importieren. Als Puffer dient die HGÜ-Kurzkupplung in der russischen Stadt Wyborg, die 9 km östlich der Grenze zu Finnland liegt. HGÜ bedeutet Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung, ein weltweit vielfach genutztes Verfahren zum verlustarmen Stromtransport über weite Entfernungen. Im Fall Wyborg wird HGÜ gewissermaßen zweckentfremdet. Die Entfernung, die der Gleichstrom zurücklegt, ist nur ein paar Dutzend Meter lang.
Wenn Russland den Hahn zudreht…
Der russische Strom wird in Wyborg in Station eins gleichgerichtet und an Station zwei geleitet. Dort wird er zurückverwandelt in Drehstrom, der, anders als der ankommende russische Strom, stets die exakt richtige Frequenz von 50 Hz hat, sodass er gefahrlos ins finnische Netz eingespeist werden kann, bisher jedenfalls. Die Schwankungen im russischen Netz steckt die Gleichrichterstation locker weg.
Rückhalt von fünf Kernkraftwerken
Das in Helsinki ansässige Unternehmen Rao Nordic, das zu Inter Rao gehört, Russlands größtem Energiekonzern im Import-Export-Geschäft, wurde von der Ankündigung aus Russland kalt erwischt. Doch die Finnen sind sicher, dass sie den Ausfall verkraften können. Immerhin betreiben sie fünf Kernkraftwerke, von denen Olkiluoto 3, das jüngste und mit einer Leistung von 1 600 MW größte, allerdings noch in der Inbetriebnahmephase steckt. Ab Juli soll es mit voller Leistung laufen. Gebaut hat es das französische Unternehmen Framatome.
Finnland bezieht seinen Strom zu 91 % aus Kernkraftwerken und erneuerbaren Quellen wie Wind- und Wasserkraftwerken, also CO2-frei. Nur 9 % des Stroms kommen aus Erdgas-, Öl- und Kohlekraftwerken. Stolze 13,5 % des Bedarfs von knapp 70 TWh sind Importe, bisher vor allem aus Russland.
Auch Estland kann einspringen
Für Inter Rao ist Finnland der wichtigste Exportmarkt. 2021 verkaufte das Unternehmen 8,2 TWh dorthin. Schon im April hatte der finnische Stromnetzbetreiber mitgeteilt, wegen der internationalen Lage seine Geschäfte mit Russland zu reduzieren und den Import zu senken. Einspringen sollen Schweden und Norwegen, die Strom über drei Land- und zwei Seeverbindungen liefern können. Dazu kommt ein Seekabel nach Estland, das bei elektrischer Energie allerdings auch nicht aus dem Vollen schöpfen kann. Eine wichtige Rolle wird das bald mit voller Leistung laufende 1 600-MW-Kernkraftwerk Olkiluoto 3 des Betreibers Teollisuuden Voima Oyj spielen, damit in Finnland die Lichter nicht ausgehen.