Renaissance des Kugelhaufenreaktors
Eine in Deutschland entwickelte und nicht weiter verfolgte Technologie ist von chinesischen Wissenschaftlern optimiert worden. Jetzt gehen die ersten beiden Reaktoren in Betrieb.
Der erste von zwei baugleichen Hochtemperatur-Kugelhaufenreaktoren (HTR-PM), die der in Staatsbesitz befindliche chinesische Energiekonzern China Huaneng Group nach modifizierten deutschen Plänen in Shidaowan bauen lässt, ist vor wenigen Tagen kritisch geworden, das heißt, es haben erstmals Kernspaltungen stattgefunden. Noch in diesem Jahr soll er ans Netz gehen, also Strom erzeugen.
104 000 tennisballgroße Brennstoffkugeln
Am 21. August hatte die Beladung des Reaktorkerns begonnen, der aus 104 000 tennisballgroßen Grafitkugeln aufgebaut wird. In jeder dieser Kugeln befinden sich zahlreiche coated particles, winzige Uranbällchen, die ihrerseits von einer Grafithülle umgeben sind. Der elf Meter hohe Reaktorkernbehälter mit einem Durchmesser von drei Metern läuft nach unten konisch zu. Durch eine dort befindliche Schleuse fallen kontinuierlich Brennstoffkugeln. Sie werden überprüft, ob sie noch genügend Brennstoff enthalten. Wenn es reicht werden sie von oben erneut in den Behälter gerollt. Abgebrannte und defekte Kugeln werden aussortiert. Der Reaktor muss, da er im laufenden Betrieb neuen Brennstoff erhält, nur selten ausgeschaltet werden, etwa für Wartungsarbeiten.
Helium transportiert die Reaktorwärme ab
Der Reaktor wird mit dem Edelgas Helium gekühlt oder anders ausgedrückt: Helium holt die durch Kernspaltung entstehende Wärme aus dem Kern heraus und leitet sie in einen Wärmetauscher. Hier entsteht Dampf, der einen 210-MW-Turbogenerator antreibt. Anfangs läuft er mit reduzierter Leistung. Auf volle Kraft schaltet er erst, wenn der zweite Reaktor in Betrieb geht. Jeder Reaktor hat eine Leistung von 105 MW.
Den Zusatz „Hochtemperatur“ bekam diese Reaktorbauart, weil die Temperatur des Heliums, das aus dem Kern strömt, mit 750 °C etwa doppelt so hoch ist wie die des Kühlmittels in klassischen Reaktoren. Das hat den Vorteil, dass der Dampf 566 °C erreicht. Damit lässt sich eine klassische Turbine antreiben – bei anderen Kernkraftwerken sind es wegen der deutlich niedrigeren Dampftemperaturen Spezialanfertigungen, die einen niedrigeren Wirkungsgrad haben.
Lesen Sie auch: Rückbau von Kernkraftwerken: Vier auf einen Streich
Ungekühlt schaltet sich der Reaktor ab
Der HTR-PM ist inhärent sicher, das heißt, er schaltet sich selbstständig ab, wenn der Heliumstrom abreißt, der Kern also nicht mehr gekühlt wird. Entscheidend ist allerdings, dass kein Sauerstoff in den Kern eindringt, der das Grafit entzünden würde. Wenn Sauerstoff aber fehlt halten die Brennstoffkugeln eine Temperatur von 2500 Grad aus.
Dass der HTR inhärent sicher ist zeigte ein Versuch am AVR in der damaligen Kernforschungsanlage Jülich (heute Forschungszentrum Jülich), dem ersten Kugelhaufenreaktor der Welt, der nach dem Plan des Jülicher Professors Rudolf Schulten 1967 mit einer elektrischen Leistung von 15 MW in Betrieb ging. Als der Kühlmittelstrom gestoppt wurde, endete nach kurzer Zeit auch die Kernspaltung, sodass keine zusätzliche Wärme erzeugt wurde. Dieser Versuch wurde später an einem ähnlich aufgebauten Hochtemperaturreaktor nahe Peking wiederholt, der nach dem Vorbild des AVR gebaut worden war, allerdings modifiziert von Wissenschaftlern des Institute of Nuclear and New Energy Technology der Tsinghua University in Peking, die auch großen Anteil an der Entwicklung der beiden jetzt vor der Inbetriebnahme stehenden Reaktoren haben.
HTR-PM kann seinen Brennstoff selbst produzieren
Das Uran für die Reaktoren in China ist auf 8,5 % angereichert, das heißt, der Brennstoff enthält 8,5 % spaltbares Uran 235 – der Rest ist nicht spaltbares Uran 238. Der Brennstoff in klassischen Kernkraftwerken enthält nur halb so viel spaltbares Material. Möglicherweise werden die chinesischen HTR-PM neben Kugeln, die Uran enthalten, auch mit gleich großen Elementen gefüttert, die Thorium enthalten. Dieses Metall, das in China sehr häufig zu finden ist, fängt Neutronen ein, die ansonsten Kernspaltungen im Uran auslösen. Dadurch verwandeln sich die Thorium- in Uran-233-Atome, die ebenfalls spaltbar sind. Damit produziert der Reaktor einen Teil seines Brennstoffs selbst. Thorium wurde schon im AVR genutzt, später auch im Thorium-Hochtemperatur-Reaktor 300 in Hamm-Uentrop, der 1985 in Betrieb ging. Die 300-MW-Anlage wurde nach mehreren Störfällen 1989 in erster Linie aus wirtschaftlichen Gründen endgültig abgeschaltet.
18 weitere Reaktoren sind geplant
Lesen Sie auch: Stromversorgung in China: Wasser, Wind, Sonne und Kernkraft sollen es richten
China lässt sich von solchen Hiobsbotschaften nicht beeindrucken. Dort, wo die beiden HTR-PM jetzt in Betrieb gehen, sollen 18 weitere baugleiche Reaktoren gebaut werden. Jeweils sechs sollen eine Turbine mit einer Leistung von 650 Megawatt antreiben.