Versorgungssicherheit in Belgien gerät in Gefahr
In vielen Nachbarregionen von belgischen Kernkraftwerks-Standorten atmeten Menschen auf, als der Beschluss gefasst wurde, bis 2025 alle Anlagen abzuschalten. Jetzt ist fraglich, ob es gelingt.
Bis 2025 sollen alle Atomkraftwerke in Belgien vom Netz genommen werden. Das ist im Koalitionsabkommen der Regierung aus Sozialisten, Liberalen, Grünen und Christdemokraten festgeschrieben, zur Freude in Aachen und anderen Regionen, die von einem nicht beherrschbaren Störfall betroffen wären. Doch ob es tatsächlich so kommt ist offen, weil die Versorgungssicherheit nicht gewährleistet ist. Sie soll durch den Bau von zwei bis drei großen Gaskraftwerken erreicht werden. Doch zwei Anlagen, die die Stromversorger RWE in Essen und Engie in Belgien – der Betreiber der Kernkraftwerke – bauen sollten, sind bereits im Genehmigungsverfahren gescheitert. Unter anderem deswegen, weil Zuhal Demir, die Umweltministerin Flanderns, eine Gegnerin des Atomausstiegs ist. Gaskraftwerke emittieren, im Gegensatz zu Kernkraftwerken, große Mengen an Kohlenstoffdioxid, argumentiert sie.
Grüner Abgeordneter verteidigt Erdgas
Das lässt Samuel Cogolati, Abgeordneter der Grünen und Energieexperte seiner Partei aus Tihange nahe Lüttich, einem der beiden Kernkraftwerks-Standorte in Belgien, nicht gelten. Gaskraftwerke seien, anders als Kernkraftwerke, flexibel und könnten abgeschaltet werden, wenn genügend Wind- und Solarstrom ins Netz eingespeist wird.
Renaissance des Kugelhaufenreaktors
Doch erstmal müssen sie gebaut werden. Das in vier Jahre zu schaffen ist höchst sportlich. Tinne van der Straeten, grüne Energieministerin der Zentralregierung, denkt deshalb darüber nach, die beiden jüngsten der sieben Kernkraftwerke in Tihange und Doel bei Antwerpen länger laufen zu lassen. Das wiederum hält Betreiber Engie für unmöglich. Alle Investitionen, die nötig wären, um die Anlagen über 2025 hinaus zu betreiben, seien bereits gestoppt worden. Das sei unumkehrbar. „Wir hatten die Regierung gebeten, uns bis Dezember 2020 zu sagen, ob es bei dem Ausstiegsbeschluss bleibt“, lässt Engie verlauten. Dieser Zeitpunkt sei schon so lange überschritten, dass der Stilllegungszug abgefahren sei. Beobachter in Belgien vermuten allerdings, dass Engie sich mit viel Geld doch noch dazu bringen ließe, die Laufzeit von zwei Anlagen zu verlängern.
Mehr als ein Drittel des Stroms betroffen
38,3 % des belgischen Stroms kamen 2020 aus Kern-, 39,2 % aus Erdgaskraftwerken. Der Anteil der Erneuerbaren lag bei 16,7 %. Das bedeutet, dass das Land gewaltige Anstrengungen unternehmen muss, um die nukleare Lücke zu schließen, die sich 2025 auftun wird. Zwar nimmt der Anteil der Erneuerbaren zu, doch die sind ja nicht immer verfügbar. Ohne Erdgas wird es nicht gehen, also nicht ohne einen Anstieg der Emissionen von Kohlenstoffdioxid. Da kein Unternehmen Anlagen bauen wird, die in vielleicht zehn Jahren nicht mehr gebraucht werden und auch sonst lediglich als Lückenbüßer dienen, also keinen Gewinn abwerfen können, will die belgische Regierung Bau und Betrieb der Erdgaskraftwerke massiv subventionieren. Die Europäische Kommission hat das Vorhaben abgesegnet, weil sie den Bau der Kraftwerke für unabdingbar hält, wenn das belgische Stromnetz nicht zusammenbrechen soll. Da Europas Netze eng zusammenhängen wären die Folgen auch für die Nachbarn fatal.
Nachbarn profitieren von deutschem Ökostrom
Infrastruktur für Flüssig-Erdgas ist schon da
An Erdgas wird es nicht mangeln. Belgien betreibt in Zeebrüge ein Terminal, an dem Flüssig-Erdgastanker ihre Ladung löschen können. Der Energieträger kommt vor allem aus Norwegen und Großbritannien. Er ist für das Inland bestimmt, aber auch für Nachbarn, etwa Deutschland. Über eine kürzlich in Betrieb genommene Pipeline wird es zu einer Verdichterstation am Rande von Aachen geliefert. Von dort fließt es per Pipeline weiter bis ins Münsterland.
25-Megawatt-Batterie geplant
Um die Versorgungssicherheit mit Strom aus erneuerbaren Quellen zu verbessern haben das japanische Ingenieur- und Infrastrukturunternehmen Nippon Koei und das belgische Unternehmen für erneuerbare Energien Yuso den Zuschlag für den Bau einer Batterie mit einer Leistung von 25 MW und einer Kapazität von 100 MWh erhalten. Sie wird in Ruien in Ostflandern zwischen Gent und Brüssel errichtet und soll mit überschüssigem Wind- und Solarstrom aufgeladen werden. Wenn es klemmt, soll dieser Strom wieder ins Netz eingespeist werden. Bei einem Jahresbedarf von rund 90 Mio. MWh/a ist dieser Energiespeicher allerdings ziemlich klein geraten. Wenn er pro Jahr 100 Mal be- und entladen würde könnte er gerade mal 10 000 MWh einspeisen.