Wasserstoff überlistet das launische Wetter
Mit reversiblen Brennstoffzellen, die mal Wasserstoff, mal Strom erzeugen, lassen sich Stromlücken überbrücken und Überschüsse abfangen. Das kann sogar wirtschaftlich sein.
Ein Sturmtief, das nach wenigen Stunden abgezogen ist, oder ein sonniger Nachmittag nach einem bedeckten Vormittag können den Strommarkt ganz schön durcheinanderbringen. Wenn es weitaus zu teuer ist, Gas- oder Kohlekraftwerke abzuschalten und nach wenigen Stunden wieder hochzufahren, müssen ganze Windparks und Solarkraftwerke vom Netz genommen werden, weil es an Speicherkapazitäten fehlt. Oder der Strom, der im Überfluss produziert wird, muss zu Mini- und manchmal gar zu negativen Preisen verscherbelt werden. Es gibt einfach derzeit zu wenig Batterien und zu wenig Pumpspeicherkraftwerke.
Der massive Ausbau von Solar- und Windenergie allein bringt gar nichts
Wechsel innerhalb von wenigen Minuten
Reversible Brennstoffzellen, wie sie das Dresdner Unternehmen Sunfire entwickelt hat, könnten die Lösung sein. Zumindest mittelfristig, haben Forschende an der Stanford University im US-Bundesstaat Kalifornien und an der Universität Mannheim herausgefunden. Diese Zellen wandeln Überschussstrom in Wasserstoff um, der zwischengespeichert wird, bis sich Stromlücken auftun. Dann wird gewissermaßen ein Schalter umgelegt und die Zelle wandelt den Wasserstoff wieder in Strom um. Der Wechsel ist innerhalb von wenigen Minuten vollzogen. Mit der reversiblen Brennstoffzelle werden erneuerbare Energien planbar, was extrem wichtig ist für die Netzstabilität.
Normalerweise braucht man für einen Speicherprozess auf Wasserstoffbasis zwei eigenständige Geräte: Einen Elektrolyseur, der Wasserstoff erzeugt, und eine Brennstoffzelle, die den Prozess umkehrt beziehungsweise eine Gasturbine mit angeschlossenem Generator, in der der Wasserstoff verbrannt wird. Das treibt die Kosten.
Strommärkte werden immer volatiler
„Die globale Bewegung hin zu erneuerbaren Energiequellen führt dazu, dass die Strommärkte immer volatiler werden“, sagt Stefan Reichelstein, Professor an der Stanford Graduate School of Business und Senior Fellow am Precourt Institute for Energy. „Unsere Arbeit zeigt, dass reversible Power-to-Gas-Systeme auf dem besten Weg sind, eine kostengünstige Technologie zur Glättung der Stromversorgung zu werden.“
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Höhere Kapazitätsauslastung
„Der grundlegende Vorteil dieser Zellen ist die Flexibilität, in beide Richtungen zu operieren, was eine höhere Kapazitätsauslastung ermöglicht“, sagt Gunther Glenk, Assistenzprofessor für Erneuerbare-Energien-Studien an der Universität Mannheim, der mit Reichelstein zusammenarbeitet. Selbst wenn die reversible Brennstoffzelle die meiste Zeit Wasserstoff erzeugt, ist sie rentabel, weil sie in Zeiten mit Spitzennachfrage Strom liefern kann, sogar über längere Zeiträume, wenn sich zuvor genügend Wasserstoff angesammelt hat.
CO2-Emissionen würden sinken
Die Zelle löse gleich zwei Probleme, so Glenk. Statt Überschussstrom bei entsprechenden Wetterbedingungen zu Niedrigstpreisen verkaufen zu müssen, könne die reversible Brennstoffzelle ihn in speicherbaren Wasserstoff wandeln und dann wieder Strom produzieren, wenn die Nachfrage und damit die Preise an den Strombörsen hoch sind. Gleichzeitig könne das System Nachfrage und Angebot ausgleichen und damit für stabilere Preise sowie seltenere Einsätze von planbaren Stromerzeugern wie Kohle- und Gaskraftwerken sorgen. Insgesamt würden also die Emissionen an Kohlenstoffdioxid gesenkt.
„Viele Menschen haben Angst, dass die Gefahr eines katastrophalen Blackouts immer größer wird, je mehr erneuerbare Energie ins Stromnetz eingespeist wird“, sagt Glenk. Wenn reversible Brennstoffzellen im großen Stil eingesetzt würden wäre diese Angst nicht mehr begründet.
Extrem hohe Betriebstemperatur
Bei der Innovation von Sunfire handelt es sich um eine reversible Hochtemperatur-Festoxid-Brennstoffzelle mit einer Betriebstemperatur von 800 bis 1 000 °C. Der Elektrolyt besteht aus einer Keramik statt aus einer Folie aus speziellem Kunststoff. Beide haben die Aufgabe, Ionen beziehungsweise Elektronen passieren zu lassen, damit ein Strom fließt. Mit einem Wirkungsgrad von deutlich mehr als 80 % übertrifft diese Zelle die bisher gebräuchlichen. Wenn ein Teil der benötigten Wärmeenergie aus industrieller Abwärme stammt, etwa aus einem Stahlwerk, arbeitet die Zelle noch effektiver.