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Sicherheit der Energieversorgung 13.09.2024, 14:00 Uhr

Wie Deutschland der Wetterfalle entkommen kann

Laut Bundesnetzagentur (BNetzA) soll die Industrie künftig bevorzugt Strom verbrauchen, wenn er von Wind und Sonne im Überfluss produziert wird. Doch es gibt noch andere Lösungen wie Batterien. 50 MW sind im Bau, 900 MW sollen es werden.

Am 28. August um die Mittagszeit produzierten Sonne, Wind, Wasser und andere Erneuerbare 88 % des Stroms, der in Deutschland verbraucht wurde. Erdgas und Kohle waren mit mageren 12 % dabei. Teilweise musste der Strom sogar exportiert werden. Früh am Morgen hatte es noch ganz anders ausgesehen. Die fossilen Stromerzeuger lieferten 40 %, die erneuerbaren 35 %. Der Rest wurde importiert. So kann es nicht weitergehen, sagt die BNetzA. Bisher bekommen Industriebetriebe, die traditionell große Mengen an Strom rund um die Uhr beziehen, satte Rabatte. Das rührt aus einer Zeit, in der die Betreiber von Braunkohle- und Kernkraftwerken froh waren, wenn auch in der Nacht Strom abgenommen wurde, denn die Produktion ließ sich kaum anpassen.

Zu wenig Pufferspeicher

Heute liefern Erneuerbare bis zu 90 % des benötigten Stroms, manchmal aber auch weniger als 10 %. Dass Wetter ist der entscheidende Faktor. Vor allem nachts, wenn die gigantischen Solaranlagen, die bei maximaler Sonneneinstrahlung Deutschland nahezu komplett versorgen können, gar nichts produzieren, wird es eng. Die Kapazität für die Aufnahme von Überschussstrom von Pumpspeicherkraftwerken, Batterien und Elektrolyseuren, die Wasserstoff erzeugen, reicht bei weitem nicht aus, um wetterbedingte Engpässe zu überbrücken.

„Verheerendes Signal für den Wirtschaftsstandort“

Es gibt verschiedene Lösungsmöglichkeiten. Eine nennt die BNetzA. Sie will, dass die Industrie ihren Stromverbrauch besser ans Wetter anpasst. Stahlhersteller sollen ihre Lichtbogenöfen und die chemische Industrie ihre Anlagen am besten nur bei Sturm oder strahlender Sonne laufen lassen, was in der Praxis kaum machbar ist. Der Wirtschaftsrat der CDU hat deshalb in einem Brief an Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) und BNetzA-Chef Klaus Müller vor einem „verheerenden Signal für den Wirtschaftsstandort Deutschland“ gewarnt.

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Alle könnten Strom wetterabhängig verbrauchen

Doch im Grunde hat Müller Recht. Alle Verbraucher, ob private, gewerbliche oder industrielle, sollten Strom vor allem dann verbrauchen, wenn genug ins Netz eingespeist wird. Doch die Politik versäumt parteiunabhängig seit vielen Jahren, die Voraussetzungen dafür zu schaffen: die flächendeckende Einführung von intelligenten Strommessern. Mittlerweile werden sie zwar vermehrt eingebaut, doch meist fehlt ihnen das Entscheidende: Die Information, wann Strom im Überfluss vorhanden ist und wann Engpässe auftreten. Dabei ließe sich diese Information leicht via Internet übermitteln. Verbraucher aller Art könnten sich daran orientieren und Haushaltsgeräte und Großverbraucher wie Kühlhäuser bevorzugt dann laufen lassen, wenn Strom im Überfluss produziert wird. Wenn dieser Strom deutlich billiger angeboten würde als üblich ließen sich sogar Skeptikerinnen und Skeptiker überzeugen. Via Internet bekämen die Verbraucherinnen und Verbraucher dann ständig angezeigt, wie teuer der Strom gerade ist. Mit internetfähigen Geräten ließe sich diese Information auch automatisch nutzen: Die Waschmaschine würde dann anlaufen, wenn der Strom gerade billig ist.

Derzeit würde es für 20 Tage reichen

Doch alles auf eine Karte zu setzen wäre leichtsinnig. Puffer schaffen mit grünem Wasserstoff, der mit Überschussstrom hergestellt wird, grünen Treibstoffen für Autos mit Verbrennungsmotor, Schiffe, Bahnen und Flugzeugen, intelligentem Stromverbrauch und anderen Maßnahmen, die den Stromverbrauch ans Wetter anpassen, sind unumgänglich. Batterien werden dabei eine wichtige Rolle spielen. Bisher sind in Deutschland Speicher mit einer Leistung von knapp 10 MW und einer Kapazität von rund 14 GWh Installiert. Das reicht für ganze zehn Tage. Nimmt man die übrigen Speicher hinzu, vor allem Pumpspeicherkraftwerke, sind es rund 20 Tage, allerdings nicht am Stück. Pufferspeicher liefern in der Regel nur kurzzeitig Strom, etwa im Stundenbereich.

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Versorgungslücken werden größer

Dunkelflauten, wie Zeiten genannt werden, in denen weder Solar- noch Windstrom produziert wird, treten weitaus häufiger auf und halten länger an. Hinzu kommen noch Tage oder gar Wochen, an denen Wind und Sonne nicht ausreichen. Dazu kommt zum einen, dass der Stromverbrauch wegen der Zunahme von Elektromobilität und des Einsatzes von Wärmepumpen steigt, zum anderen, dass immer mehr Kraftwerke abgeschaltet werden, die wetterunabhängig Strom liefern – die Versorgungslücken werden größer.

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In einem Dörfchen im Norden geht es los

Da trifft es sich gut, dass die Aquila Group in Hamburg, spezialisiert auf Investitionen für die globale Dekarbonisierung, ein Programm zum Bau von Batteriespeichern aufgelegt hat. Im schleswig-holsteinischen Dörfchen Strübbel hat der Bau einer 50-MW-Anlage begonnen, die eine Kapazität von 100 MWh hat. Insgesamt sollen in Deutschland 14 Projekte dieser Art mit einer Gesamtleistung von 900 MW und einer Kapazität von schätzungsweise 1,8 GWh realisiert werden. Sie sollen in den Regelenergiemarkt integriert und auch an Großhandelsmärkten angeboten werden. Puffer, die für Regelenergie ausgelegt sind, speichern Strom, wenn Überfluss herrscht, und geben ihn wieder ab, wenn es daran mangelt. Betreiber profitieren davon, dass Überschussstrom quasi verramscht wird, um das Herunterregeln von Wind- und Solarkraftwerken zu vermeiden, Strom in Mangelzeiten aber Rekordpreise erzielt.

Konzept des Batteriespeichersystems. Foto: PantherMedia / malpetr

Von Wolfgang Kempkens