Auf 130 Metern entsteht das Wasserstoffnetz der Zukunft
Nicht weit von der ehemaligen Transrapid-Teststrecke im Emsland ist ein neues Wasserstoff-Pilotnetz in Betrieb genommen worden: Auf gerade einmal 130 Metern soll es dabei helfen, wichtige Erkenntnisse für das geplante, bundesweite Wasserstoffnetz von 9 700 Kilometern zu gewinnen.
Das neue Wasserstoff-Leitprojekt „TransHyDE“, eine Initiative des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF), hat vor Kurzem auf dem Gelände von RWE in Lingen ein Pilotnetz gestartet, das einen bedeutenden Schritt in Richtung eines umfassenden Wasserstoff-Transportnetzes markieren soll. Die dort durchgeführten Tests sollen dazu beitragen, bestehende technologische Hürden zu überwinden und die Voraussetzungen für eine großflächige, sichere Wasserstoffinfrastruktur zu schaffen.
Die Tests sind Teil des geplanten Aufbaus eines Wasserstoff-Transportnetzes. Die Bundesregierung plant den Aufbau des kompletten Wasserstoffnetzes bis 2037. Etwa 60 % der dafür erforderlichen Leitungen sollen aus umgewidmeten Erdgasleitungen bestehen. „Das Kernnetz bringt uns vom Henne-Ei-Problem zur Henne-Ei-Lösung: Es verbindet Quellen und Senken und wird sich zum Flächennetz entwickeln”, sagt die promovierte Thermodynamikerin Dr. Ann-Christin Fleer, die seit über vier Jahren als Referentin für erneuerbare Gase beim Ferngasnetzbetreiber OGE arbeitet.
Herausforderung Umwidmung
Die Umwidmung klingt zunächst simpel, ist aber technisch anspruchsvoll, da Wasserstoff aufgrund seiner geringen Molekülgröße und seiner speziellen chemischen Eigenschaften höhere Anforderungen an die Dichtigkeit der Leitungen als Erdgas stellt. Um diesen Herausforderungen zu begegnen, entwickelt TransHyDE nicht nur die technischen Voraussetzungen für den sicheren Transport, sondern arbeitet auch an regulatorischen Rahmenbedingungen, Standards und Zertifizierungsverfahren. Ziel ist es, alle Technologien zur Wasserstoffaufbereitung, -speicherung und zum -transport so weit zu optimieren, dass sie flächendeckend eingesetzt werden können.
Die Relevanz eines bundesweiten Wasserstoffnetzes unterstreicht Dr. Frank Graf, Leiter der Bereiche Gastechnologie und Innere Dienste der DVGW-Forschungsstelle am Engler-Bunte-Institut des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT): „Für die Versorgung von Deutschland und Europa mit Wasserstoff wird eine leistungsstarke Gasinfrastruktur benötigt. Der Aufbau des H2-Kernnetzes in Deutschland ist hierfür ein wichtiger Baustein.“
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Wasserstoff-Tests: Schwerpunkte unter anderem Transport und Qualität
Das Testnetz in Lingen, das sowohl neue, dedizierte Wasserstoffleitungen als auch umgewidmete Erdgasleitungen umfasst, bietet eine weltweit einzigartige Testumgebung für Technologien, die den zukünftigen Wasserstofftransport prägen werden. Ein Schwerpunkt der Tests ist die Erprobung der Messtechnik zur Bestimmung der Wasserstoffqualität. Der Wasserstoff, der durch das zukünftige Leitungsnetz fließen soll, wird in verschiedenen Reinheitsgraden benötigt, abhängig von der Anwendung. Während für die Stahlindustrie beispielsweise weniger reiner Wasserstoff ausreicht, erfordert die Halbleiterproduktion besonders hohe Reinheit. Hierbei kommt ein Gaschromatographie-System zum Einsatz, das die Reinheit des Wasserstoffs direkt in der Pipeline misst und sicherstellt, dass er den Anforderungen entspricht. In diesem Zusammenhang werden auch Technologien zur Wasserstoff-Aufreinigung getestet. Da der Wasserstoff aus Pipelines für bestimmte Anwendungen weiter gereinigt werden muss, sind dazu bestimmte Aufbereitungsprozesse erforderlich und müssen getestet werden. Zu diesem Zweck wird eine Containeranlage eingesetzt, die den Wasserstoff je nach Bedarf auf die erforderliche Reinheitsstufe aufbereitet.
Darüber hinaus ist die präzise Messung von Durchflussmengen entscheidend für die Abrechnung zwischen Netzbetreibern und Kunden. Im Testnetz werden daher Systeme zur eichfähigen Messung des Wasserstoffstroms evaluiert. Diese Geräte sollen künftig die Grundlage für eine genaue Abrechnung und Netzsteuerung bilden.
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Materialverträglichkeit wichtig
Eine weitere zentrale Fragestellung ist die Verträglichkeit von Materialien mit Wasserstoff, insbesondere unter hohen Temperaturen. Diese Frage kommt besonders im Hinblick auf die Umwidmung bestehender Gasnetze zum Tragen. Mithilfe eines speziell entwickelten Prüfstands untersucht TransHyDE die Auswirkungen des Wasserstoffflusses auf verschiedene Materialien, sowohl auf neue als auch auf vorbelastete Leitungen. Die Ergebnisse sollen wichtige Erkenntnisse für die Materialauswahl künftiger Wasserstoffpipelines liefern.
Um die Sicherheit der Wasserstoffpipelines zu gewährleisten, sind regelmäßige Inspektionen unerlässlich. TransHyDE testet unter anderem den Einsatz von Helikoptern, die mit speziellen Detektionsgeräten aus der Luft kleinste Leckagen aufspüren können. Ein Laser-basiertes Leckage-Detektionssystem wird unter Laborbedingungen erprobt, um Sicherheitsstandards zu gewährleisten. Darüber hinaus wird ein sogenannter „Molch“ (autonom operierender Roboter für die Pipelineinspektion) getestet, der die Leitungen von innen inspizieren und reinigen kann.
Wasserstoff-Testumgebung gibt Gelegenheit für umfassende Untersuchungen
Um eine präzise Abrechnung zwischen Netzbetreibern und Kunden zu ermöglichen, werden auch Systeme zur Messung der Wasserstoff-Durchflussmengen erprobt. Diese Systeme helfen dabei, den Wasserstoffstrom innerhalb des Netzes zu überwachen. „Die TransHyDE-Testumgebung bietet uns die einzigartige Gelegenheit, umfassende Untersuchungen zum Aufbau und Betrieb einer sicheren und zuverlässigen Infrastruktur durchzuführen“, erläutert Philipp Schulte im Walde, Projektleiter für Wasserstoffprojekte bei der RWE Generation SE.
Zusätzlich wird im Rahmen des Projekts mit einem speziellen Prüfstand untersucht, wie sich der Wasserstofffluss bei erhöhten Temperaturen auf verschiedene Materialien auswirkt. Diese Materialtests sind wichtig, um die langfristige Beständigkeit der Leitungen sicherzustellen. Die hierfür entwickelten Lasersysteme werden aus Sicherheitsgründen jedoch in Laboren und nicht direkt im Feld erprobt.
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Mit dem Pilotnetz in Lingen legt TransHyDE den Grundstein für die Zukunft der Wasserstoffinfrastruktur in Deutschland. „Aus TransHyDE lässt sich lernen, wie Wasserstoffnetze betrieben, geplant und für die Zukunft optimiert werden können“, sagt Prof. Dr.-Ing. Joachim Müller-Kirchenbauer, Leiter des Fachgebiets Energie- und Ressourcenmanagement (E&R) an der Technischen Universität Berlin. TransHyDE ist eines von drei Wasserstoff-Leitprojekten des BMBF. Die Leitprojekte sollen Hürden beseitigen, die einer deutschen Wasserstoff-Wirtschaft noch im Weg stehen.