„Deutschland könnte von anderen Ländern lernen“
Marie-Luise Pörtner, Geschäftsführerin von BayWa r.e. Wind, sieht Licht und Schatten beim Ausbau der Windkraft in Deutschland. Wichtigen Schub brachte aus ihrer Sicht die finanzielle Beteiligung der Kommunen. Doch ein Hemmnis brennt der Branche besonders unter den Nägeln.
Frau Pörtner, die jüngsten Ausschreibungsrunden für Windkraft an Land waren deutlich unterzeichnet. Woran liegt das vor allem?
Marie-Luise Pörtner: Grundsätzlich betrachtet, liegt das daran, dass die Anzahl der genehmigten Projekte noch nicht ausreicht, um die sich aus dem angestrebten Ausbaupfad für Windenergie an Land ergebenden Ausschreibungsvolumina zu füllen. Schaut man etwas genauer hin, gab es allerdings allein im ersten Halbjahr 2023 585 neu genehmigte Windenergieanlagen mit insgesamt knapp 3 200 MW Leistung, von denen jedoch im Mittel nur um die 60 % tatsächlich teilgenommen haben. Neben den sozusagen „klassischen“ Themen, wie noch offenen Widersprüchen oder Klagen gegen die Genehmigung oder anderer noch nicht vollständig beseitigter Projektentwicklungsrisiken, spielen nach meiner Einschätzung vor allem wirtschaftliche Gründe eine Rolle.
Welche sind das?
Zahlreiche der in den vergangenen Jahren entwickelten und jetzt genehmigten Projekte lassen sich angesichts massiv gestiegener Anlagenpreise und dem im Vergleich zu den Vorjahren hohen Zinsniveau schlichtweg nicht mehr wirtschaftlich umsetzen. Hinzu kommt das Risiko der Umsetzungsfrist, die vor dem Hintergrund langer Lieferzeiten für Windenergieanlagen, Transformatoren, Umspannwerke usw. deutlich zu kurz ist. Sofern Projektierer die gemäß EEG fälligen Pönalen beziehungsweise den Verlust des Zuschlags vermeiden wollen, müssen sie alle „Langläufer“ bereits vor dem Erhalt eines Zuschlags verbindlich bestellen. Das geht aber in den meisten Fällen nicht, ohne die Finanzierung des Projektes abgeschlossen zu haben, was in der Regel wiederum einen Zuschlag voraussetzt. Die Lösung für dieses Dilemma liegt schlicht in einer deutlichen Verlängerung der Umsetzungsfrist – die aktuell vorgeschlagenen drei Monate reichen dafür nicht aus – und einer längerfristigen Fixierung beziehungsweise Indexierung der Höchstpreise, um allen Projektentwicklern mehr Sicherheit zu geben.
Wie stark machen Ihnen schleppende Genehmigungen für Schwertransporte für Windkraftkomponenten zu schaffen? Ist die zuständige Autobahn GmbH des Bundes überfordert?
Das Thema Transportgenehmigungen und -bedingungen betrifft zwar mittelbar auch uns als Projektentwickler beziehungsweise Bauherren, die wir mit einem verbindlichen Projektzeitplan und Inbetriebnahme-Terminen rechnen, in erster Linie sind jedoch die Windenergieanlagenhersteller davon betroffen, die für den Transport der Komponenten an die Projektstandorte verantwortlich sind.
Die Probleme sind seit langem bekannt und auch von den entsprechenden Unternehmen und Verbänden vielfach adressiert: fortschreitender Verschleiß der Infrastruktur in Deutschland (zum Beispiel eine Vielzahl maroder Brücken und Straßen), der die Suche nach geeigneten Transportrouten erschwert; mangelnder Überblick über durch Bauarbeiten bedingte Straßensperrungen; langwierige, zu teure, uneinheitliche und nicht praktikable Antrags- und Genehmigungsverfahren, die Planung und Kalkulation der Projekte nahezu unmöglich machen. Vor allem der letzte Punkt treibt die Hersteller nahezu täglich zur Verzweiflung, da Genehmigungen maximal zwölf Wochen vor Beginn der Anlieferung zur Baustelle beantragt werden können, die Bearbeitungsdauer aber in der Regel deutlich über zwölf Wochen liegt, sodass sich das Projekt verschiebt und die gesamte Logistik neu geplant werden muss beziehungsweise sich der gleiche Prozess wenige Wochen später wiederholt Auch die Anforderung, in den Transportanträgen das Kennzeichen des am Tag X konkret verwendeten Transportfahrzeugs anzugeben, gleicht in Anbetracht der sehr komplexen Logistikprozesse in den Projekten einem Schildbürgerstreich.
Wie könnte es denn hier zu einer Beschleunigung kommen? Was müsste passieren?
Auch hier liegen viele Vorschläge und Empfehlungen auf den Tischen der zuständigen Ministerien: Strukturen vereinheitlichen, zum Beispiel durch zentrale Koordinierungsstellen mit geschultem Personal in den Ländern (auch zur Entlastung der Kommunen); Vereinfachung der Antragsinhalte (zum Beispiel Clusterung von Fahrzeugtypen) und bundeseinheitliche Festlegung der erforderlichen Unterlagen; Vorgabe der maximalen Verfahrensdauer und nicht zuletzt die verstärkte Digitalisierung aller Antrags- und Genehmigungsprozesse. Auch braucht es digitale Karten auf Basis bundeseinheitlicher, von den Behörden der Länder und der Kommunen sowie der Autobahn GmbH zu pflegender Datenbanken, aus denen tagesaktuelle Informationen zu Baustellen, Engpässen, Sperrungen usw. hervorgehen.
Deutschland könnte – wie auf anderen Gebieten – vermutlich auch hier von anderen Ländern lernen. In den Niederlanden beispielsweise dauert der Genehmigungsprozess nach Aussage von Transportunternehmen einen bis fünf Tage.
Haben sich denn die bundesweiten Regelungen zur kommunalen Beteiligung bewährt?
Die Anfang 2021 mittels § 6 EEG bundesweit eingeführte finanzielle Beteiligung der Kommunen im Umfeld eines Windprojekts hat sich unseres Erachtens absolut bewährt, da den Gemeinden damit über 20 Jahre signifikante Beträge zufließen und sich ihr Interesse und ihre Kooperationsbereitschaft sowie die Akzeptanz insgesamt vor Ort dadurch klar verbessert haben, ohne die Projekte wirtschaftlich über Gebühr zu belasten. Ich denke auch, dass es sich kein Projektentwickler heute noch leisten kann, diese finanzielle Beteiligung nicht anzubieten, sie de facto also verpflichtend ist, selbst wenn das Gesetz nach wie vor lediglich eine „Soll-Bestimmung“ enthält.
Wie sieht es mit weitergehenden Bürgerinnen- und Bürgerbeteiligungs- und Teilhabemöglichkeiten an Windprojekten aus?
Diese sind bisher nicht bundeseinheitlich geregelt. Wir als BayWa r.e. fordern diesbezüglich schon seit langem eine ergänzende Regelung beziehungsweise ein Instrument im EEG, das es uns ermöglicht, Anwohnerinnen und Anwohnern konkrete Angebote zu machen, ohne in einem rechtlichen Graubereich zu agieren. Über beispielsweise einen ergänzenden § 6a EEG ließen sich eine Vielzahl an attraktiven Beteiligungsangeboten, Bürgerstromtarifen und Finanzierungsmodellen – auch für kommunale Einrichtungen – rechtssicher gestalten. Dies würde den Gemeinden einen weiten Gestaltungsspielraum geben, anstatt die kommunale Entscheidungshoheit durch einen verbindlichen, engen Maßnahmenkatalog zu beschneiden. Die Vertreterinnen und Vertreter der Gemeinden wissen ja in der Regel sehr gut, welche Maßnahmen und Angebote vor Ort wirklich gewünscht und akzeptanzsteigernd sind.
Da dieser auch vom Bundesverband Windenergie immer wieder vorgebrachte Vorschlag auf Bundesebene bislang nicht aufgegriffen wurde, sehen wir nun zahlreiche Gesetze beziehungsweise Gesetzesentwürfe zu diesem Themenbereich in verschiedenen Bundesländern.
Mit drohender zusätzlicher Bürokratie und infolgedessen mehr Rechtsunsicherheit?
Leider wird durch diesen „Flickenteppich“ an länderspezifischen Regelungen und Überregulierungen die Rechtsunsicherheit steigen, was die Energiewende nach unserer Einschätzung nicht fördert, sondern zusätzlich erschwert. Auch im Hinblick auf ihr eigentliches Ziel, nämlich die Akzeptanzsteigerung, sind die vorgeschlagenen Gesetze größtenteils weder effektiv noch effizient. Stattdessen entstehen, wie das Beispiel des Bürger- und Gemeindebeteiligungsgesetzes in Mecklenburg-Vorpommern zeigt, bürokratische Ungetüme, die sehr viel Aufwand und hohe Kosten verursachen, ohne den in den unterschiedlichen Regionen sowie in den einzelnen Projekten sehr individuellen und vielfältigen Beteiligungs- und Teilhabewünschen der Bevölkerung vor Ort gerecht zu werden. Insbesondere gesellschaftsrechtliche Beteiligungen von Anwohnerinnen und Anwohnern an Projektgesellschaften, die in den meisten Landesgesetzen zur Beteiligung als Standardfall vorgesehen sind, erfordern einen hohen und damit teuren Strukturierungsaufwand, der in der Regel in keinem Verhältnis zu dem tatsächlich eingeworbenen Kapital steht.
Bräuchte es also eine noch stärkere Koordination der Energiewende auf Bundesebene, um den Ausbaubooster zu erreichen?
Im Hinblick auf die schon diskutierten Problemfelder der Transporte und der gesetzlichen Regelungen für Bürgerinnen- und Bürgerbeteiligung sind bundeseinheitliche Regelungen meines Erachtens dringend erforderlich. Auf allen anderen Gebieten, die zu einem schnelleren Ausbau der Windenergie an Land beitragen können, das heißt im Hinblick auf die Flächenausweisung beziehungsweise auf Planungsrecht, den Umgang mit Natur- und Artenschutz, das Genehmigungsverfahren nach Bundes-Immissionsschutzgesetz usw. sind auf Bundesebene – und auch auf EU-Ebene – ja bereits viele wichtige Gesetze in Kraft getreten oder befinden sich im Gesetzgebungsprozess. Diese brauchen zum Teil noch etwas Zeit, bis sie sich auf den konkreten Zubau auswirken. In allen genannten Bereichen und Projektphasen gibt es aber auch immer noch viele Hemmnisse und Punkte, die weiter vereinfacht und verbessert werden können. So dauern viele Genehmigungsverfahren beispielsweise noch immer so lange, dass der beantragte Anlagentyp zum Zeitpunkt der Genehmigung gar nicht mehr verfügbar ist. Hier bedarf es ergänzender Regelungen, um in solchen Fällen schnell und unbürokratisch auf einen vergleichbaren Anlagentyp wechseln zu können.
Wie schnell kommen Wind-Wasserstoffprojekte? Oder ist das noch vielfach Zukunftsmusik?
Ich denke, dass es tatsächlich noch etwas dauern wird, bis wir in Deutschland nennenswerte Mengen an grünem Wasserstoff aus Windenergie produzieren werden. Das liegt zum einen daran, dass wir noch nicht ausreichend Windenergiekapazität dafür haben: der von der Bundesregierung prognostizierte Bedarf an Wasserstoff im Umfang von 110 TWh im Jahr 2030 würde, sofern nur grüner Wasserstoff genutzt werden soll, rund 40 GW Elektrolysekapazität erfordern, was wiederum schätzungsweise 80 bis 100 GW zusätzlicher Windenergieleistung entspricht. Zum anderen sind wir noch ein gutes Stück davon entfernt, die Wirtschaftlichkeit von Wind-Wasserstoffprojekten verlässlich bewerten zu können, da die meisten der hierfür benötigten Parameter (Strompreisentwicklung, Nachfrage und Preisentwicklung Wasserstoff, Verfügbarkeit Transportinfrastruktur, bevorzugte Betreibermodelle und andere) noch zu unklar sind. Nichtsdestotrotz sind wir als BayWa r.e. dabei, derartige Projekte zu entwickeln und haben in den Niederlanden mit dem Projekt „SinneWetterstof“ auch bereits ein Pilotprojekt umgesetzt, in dem pro Jahr 100 t grüner Wasserstoff produziert werden.
Frau Pörtner, vielen Dank für das Gespräch.
Marie-Luise Pörtner ist Geschäftsführerin der BayWa r.e. Wind