Elektrische Energie von oben und unten
Bifaziale Solarzellen nutzen das Sonnenlicht von zwei Seiten. Trotzdem ist der Wirkungsgrad gering. Jetzt haben Forscher aus der Schweiz den Durchbruch geschafft und einen Rekord erzielt.
Mit einem Rekordwirkungsgrad von gut 30 % wartet eine neue Solarzelle auf, die Wissenschaftler am interdisziplinären Forschungsinstitut für Materialwissenschaften und Technologieentwicklung (Empa) an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich entwickelt haben. Es handelt sich um eine sogenannte bifaziale Dünnschichtsolarzelle auf der Basis von Kupfer-Indium-Gallium-Diselenid (CIGS). Diese Bauart hat eine Besonderheit: Sie verwandelt nicht nur das direkt einfallende Sonnenlicht in elektrische Energie, sondern auch das reflektierte, das die Rückseite der Zelle trifft.
Wirkungsgrad fast verdoppelt
Das Bauprinzip ist nicht neu. Es wird von mehreren Teams in verschiedenen Ländern verfolgt und auch schon kommerziell eingesetzt. Doch bisher hatten Solarzellen dieser Art einen großen Nachteil. Sie kamen nicht über einen Wirkungsgrad von rund 16 % hinaus. Das liegt daran, dass die elektrisch aktiven Schichten in einem Hochtemperaturprozess bei mehr als 550 °C abgeschieden werden, stellten die Empa-Forscher fest.
Ein bisschen Silber ist die Lösung
„Es ist wirklich schwierig, eine hohe Effizienz bei Solarzellen mit transparenten leitenden Kontakten sowohl auf der Vorder- als auch auf der Rückseite zu erreichen“, sagt Ayodhya N. Tiwari, Leiter des Empa-Labors für Dünnschicht und Photovoltaik. Deshalb ließ er seinen Doktoranden Shih-Chi Yang einen Niedertemperatur-Abscheidungsprozess entwickeln, um die Entstehung von Galliumoxid ganz oder weitgehend zu verhindern. Die Forscher fügten eine winzige Menge Silber hinzu, um den Schmelzpunkt der CIGS-Legierung zu senken und Lichtabsorberschichten mit guten elektrischen Eigenschaften bei einer Temperatur von nur noch 353 °C abscheiden zu können. Als sie die Mehrschichtstruktur mithilfe von Tiwaris ehemaligem Postdoc Tzu-Ying Lin, der zurzeit an der National Tsing Hua University in Taiwan arbeitet, mit hochauflösender Transmissionselektronenmikroskopie analysierten, entdeckten sie keinerlei Galliumoxid an der Grenzfläche mehr.
Marktanteil von 70 Prozent in Sicht
Das schlug sich in einer drastisch verbesserten Energieumwandlungseffizienz nieder: Die Zelle wandelte auf der Vorderseite 19,8 % des Sonnenlichts in elektrische Energie um und 10,9 % auf der Rückseite. Die Werte bestätigte das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE in Freiburg.
Darüber hinaus gelang es dem Team erstmals, eine bifaziale CIGS-Solarzelle auf einem flexiblen Polymersubstrat herzustellen, die aufgrund ihres geringen Gewichts und ihrer Flexibilität das Spektrum möglicher Anwendungen erheblich erweitert. Und schließlich kombinierten die Forscher zwei Photovoltaik-Technologien – CIGS- und Perowskit-Solarzellen – zu einer bifazialen Tandemzelle. Laut Tiwari hat die bifaziale CIGS-Technologie das Potenzial, Wirkungsgrade von mehr als 33 % zu erreichen. Laut der „International Technology Roadmap of Photovoltaics“, einem Plan für die Zukunft der Photovoltaik, den die Industrie entwickelt hat und fortschreibt, könnten bifaziale Solarzellen bis 2030 einen Marktanteil von 70 % erobern.
Senkrechte Montage könnte es bringen
Erst recht, wenn sich eine Idee von Forschenden der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur in Leipzig durchsetzt. Sie schlagen vor, bifaziale Solarzellen senkrecht zu montieren und die Flächen dazwischen landwirtschaftlich zu nutzen. Das würde die Stromerzeugung über den Tag gesehen vergleichmäßigen und zudem noch durch die Produktion von Gemüse einen Mehrwert schaffen. Heute werden Solarmodule so installiert, dass sie die Sonneneinstrahlung um die Mittagszeit besonders effektiv nutzen. Das führt in vielen Fällen dazu, dass in dieser Zeit das Solarstromangebot so groß ist, dass sich nicht genügend Abnehmer finden. Deshalb müssten eigentlich Pufferspeicher her. Bei senkrecht montierten Modulen gebe es den mittäglichen Peak dagegen nicht. Dafür würde mehr Strom in den Stunden nach dem Sonnenaufgang und vor dem Sonnenuntergang produziert. Dieses Konzept setzt unter anderem das Unternehmen Next2Sun – mit seinen Zentralen in Dillingen im Saarland und Saalfelden im österreichischen Pinzgau – bereits um, bisher allerdings mit Modulen mit bescheidenem Wirkungsgrad, verglichen mit der Empa-Entwicklung, für die allerdings noch eine industrielle Produktionstechnik entwickelt werden muss.