Energieträger der Zukunft
Wasserstoff ist derzeit in aller Munde. Bereits im vergangenen Jahr wurde dargelegt [1], dass ein wissenschaftlicher und politischer Konsens besteht, Wasserstoff als Energieträger der Zukunft zu betrachten. Der kohlenstofffreie Energieträger kann wesentlich dazu beitragen die fluktuierende Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien zugänglich zu machen und die Energieversorgung vieler Sektoren zu dekarbonisieren. Damit stellen Wasserstofftechnologien wichtige Werkzeuge dar, um die klimapolitischen Ziele in Deutschland, der EU und der Welt zu erfüllen. Durch den Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine rücken in diesem Jahr zudem die Versorgungssicherheit und die Überwindung der Energieabhängigkeit von Russland in den Fokus. Es zeigt sich schon jetzt, dass dieser Aspekt den politischen Willen zum Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft stärkt und so der Markthochlauf wohl deutlich beschleunigt wird. Dieser Bericht zeigt auf, wie sich die aktuelle Entwicklung auf die Wasserstoffwirtschaft auswirkt, wie die gesetzten Ziele erreicht werden sollen und welche Neuerungen es im vergangenen Jahr bei den Wasserstofftechnologien gab.
Aktuelle Entwicklungen auf dem Energiemarkt
In der angewandten Energieforschung wird grüner Wasserstoff als Energieträger und Rohstoff der Zukunft seit mehreren Jahrzehnten bereits intensiv diskutiert. Die Auswirkungen der Ölkrisen Ende der 1970er-Jahre beziehungsweise Anfang der 1980er-Jahre und die hierdurch deutlich gewordene Vulnerabilität des Wirtschaftssystems mit Blick auf Preisschwankungen und Versorgungsengpässe im Energiemarkt, aber auch das Reaktorunglück von Tschernobyl 1986 führten zu einer ersten Hochphase für Wasserstoff. Im selben Jahr startete beispielsweise das Projekt „HYSolar“ [2], eine deutsch-saudi-arabische Kooperation zur Technologieentwicklung für solaren Wasserstoff. Etwa zehn Jahre später kündigte der Automobilkonzern Daimler öffentlichkeitswirksam das erste Brennstoffzellenfahrzeug in Serie für das Jahr 2002 an, was eine neuerliche Boom-Phase auslöste. Bestand hatte auch diese Phase nicht, da die Umsetzung der Ankündigung ausblieb. Wiederum etwa zehn Jahre später startete die Bundesregierung im Jahr 2007 mit dem Nationalen Innovationsprogramm Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie (NIP) [3], einer hochbudgetierten Forschungs- und Entwicklungsinitiative, um die mit einer Wasserstoffindustrie für Deutschland verbundenen Chancen erschließbar zu machen. Im Rahmen dieses und weiterer Förderprogramme konnten viele Entwicklungslücken geschlossen werden, sodass Deutschland aus Sicht der Technologieentwicklung, auf die in der im Juni 2020 verabschiedeten Nationale Wasserstoffstrategie (NWS) vorgesehenen Industrialisierungsschritte gut vorbereitet ist. Zudem liegt ein breiter Konsens in Wissenschaft, Industrie und Politik vor, dass Wasserstoff im Energiesystem der Zukunft als Energieträger und Rohstoff eine wichtige Funktion einnehmen wird [4]. Diese Sicht ist im Wesentlichen durch fünf Sachverhalte begründet:
- Es besteht ein breiter gesellschaftlicher und politischer Konsens für mehr Klimaschutz;
- Klimaneutralität im Sinne des Green Deal ist ohne Wasserstoff nicht zu erreichen;
- erneuerbare Energien sind weltweit vielfach wettbewerbsfähig zur fossilen und nuklearen Stromerzeugung;
- die Schlüsseltechnologien für die Erzeugung und Nutzung von Wasserstoff sind reif für den Markthochlauf;
- große Kapitalmengen stehen auch seitens institutioneller Investoren zur Verfügung.
Die Wasserstoffnachfrage belief sich im Jahr 2020 weltweit auf rund 90 Mio. t (Bild 1), wobei mehr als 70 Mio. t als reiner Wasserstoff und weniger als 20 Mio. t gemischt mit kohlenstoffhaltigen Gasen in der Methanolproduktion und der Stahlherstellung verwendet wurden. Fast der gesamte Bedarf entfällt auf die Raffination und die industrielle Nutzung. Derzeit wird Wasserstoff vor allem aus fossilen Brennstoffen hergestellt, was zu fast 900 Mio. t CO2-Emissionen pro Jahr führt.
Von einem Durchbruch von grünem Wasserstoff auf den Weltmärkten kann aktuell noch nicht die Rede sein. In Deutschland handelt es sich beispielsweise bislang vorwiegend um einzelne Installationen auf Pilotanlagenniveau zur Herstellung von grünem Wasserstoff. Aber die politischen Weichen sind gestellt. So bietet der Koalitionsvertrag [6] der Bundesregierung eine gute Ausgangslage für den anstehenden Transformationsprozess und sendete bereits ein deutliches Signal für die Ausgestaltung der Wasserstoff-Marktwirtschaft in Deutschland. Auch die Industrie hat bereits in der Planung und im Aufbau zahlreicher Großanlagen zur Herstellung von grünem Wasserstoff gezeigt, wie hoch das Interesse und die Zuversicht bezüglich des Zukunftsmarktes Wasserstoff sind (siehe Abschnitt Wasserstofferzeugung).
Mit dem russischen Angriff auf die Ukraine gibt es zudem neue Bestrebungen, unabhängiger von fossiler Energie zu werden. Die bisherige Abhängigkeit von Gasimporten und die Option, dass grüner Wasserstoff dabei helfen kann diese zu verringern, beschleunigen aktuell die Entwicklungen. Hinzu kommen stark gestiegene Preise fossiler Brennstoffe, die nachhaltige Energieträger auch aus ökonomischer Sicht attraktiver gestalten. So wurde vom Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, Robert Habeck, im Rahmen des sogenannten Osterpakets am 6. April 2022 angekündigt, dass Wasserstoff stärker als bisher gefördert wird [7; 8]. Zusätzlich zu diesem Energiesofortmaßnahmen-Paket wurden in jüngster Zeit Energiepartnerschaften zur Förderung von grünem Wasserstoff geschlossen (siehe Abschnitt Umsetzung der Nationalen Wasserstoffstrategie). Hiermit ist das eindeutige Signal der Bundesregierung verbunden, dass Wasserstoff ein zentraler Schlüssel für den Weg zu einer nachhaltigen Energieversorgung werden soll. Dennoch gilt es dabei zu bedenken, dass in Deutschland noch ein Großteil des Systems für die Wasserstoffherstellung und -verteilung aufgebaut werden muss. Es müssen Elektrolyseanlagen installiert und für ihre Versorgung zusätzliche Kapazitäten an erneuerbaren Stromerzeugungsanlagen aufgebaut werden. Der Ausbau entsprechender Kapazitäten müsste daher also noch stärker vorangetrieben werden. Des Weiteren müssen auch Transportinfrastruktur über Tanker und Pipelines eingerichtet (siehe Abschnitt Wasserstofftransport und -import in und nach Europa) und auch die Ausbildung und Anstellung von Fachpersonal parallel entwickelt werden. Aus diesen Gründen vertritt die Bundesregierung die Ansicht, dass eine Wasserstoffwirtschaft nur mittel- bis langfristig in Deutschland entstehen kann und eine kurzfristige Lösung für die Herstellung von großen Mengen grünen Wasserstoffs am Standort Deutschland aus heutiger Sicht als nicht realistisch zu bewerten ist. Ein Großteil des Bedarfs muss sehr wahrscheinlich über Importe gedeckt werden [9]. In sonnen- und/oder windreichen Regionen wie Zentralafrika, der Golfregion oder Westaustralien kann zudem grüner Wasserstoff aus heutiger Sicht kostengünstiger hergestellt werden. Die zuvor genannten Energiepartnerschaften könnten dabei helfen, den Energieträger aus dem Ausland zu importieren. Bei hohen Importquoten wäre Deutschland aber erneut abhängig von Krisen und Konflikten in anderen Ländern. Vor allem im afrikanischen Raum, aber auch in den Golfstaaten könnte die politische Unsicherheit die Energieimporte daher gefährden. Dennoch ist davon auszugehen, dass die Abhängigkeit als geringer zu bewerten sein dürfte, als die aktuell bestehende Abhängigkeit im Kontext von Öl, Kohle und Gas, da die Diversität der möglichen globalen Standorte zur Wasserstoffherstellung deutlich höher sein dürfte. Hierdurch könnte sich ein Welthandelsmarkt für Wasserstoff entwickeln, der deutlich variablere Bezugsquellen zulassen würde.
Szenarien zur Entwicklung des Wasserstoffmarktes
Die zukünftige Entwicklung des Wasserstoffmarktes ist derzeit heiß diskutiert und zugrundeliegende Studien der letzten Jahre [10 bis 15] zeigen noch erhebliche Unterschiede bei den benötigten Wasserstoffvolumina der Zukunft – und diese Diskussion hat sich durch den Ukrainekrieg noch verstärkt. Dies liegt einerseits an der Neuheit des Marktes andererseits aber auch an den großen wirtschaftlichen Interessen verschiedener Marktteilnehmer. Dass Wasserstoff jedoch ab etwa 2040 eine gewichtigere Rolle im Energiesystem spielen wird (Bild 2), scheint in diesen Studien aus heutiger Sicht unumstritten zu sein – auch wenn die Herkunft des Wasserstoffs, die Volumina und auch die Verwendung noch in Teilen unklar sind. Insofern werden im Folgenden ein paar Gemeinsamkeiten der Studienergebnissen aufgezeigt.
Generell wird Wasserstoff bis 2030 nur eine sehr untergeordnete Rolle im nationalen Energiesystem spielen, da nur wenige Produktionskapazitäten geschaffen wurden und Produktionskosten (insbesondere bei grünem Wasserstoff) noch eine verstärkte Nachfrage verhindern. Auch die Steigerungen der Gasknappheit durch den Ukrainekrieg mit einer einhergehenden Gaspreissteigerung haben den frühen Aufschwung des Marktes durch erdgasbasierte Übergangstechnologien (das heißt grauer, blauer oder türkiser Wasserstoff) derzeit eingetrübt. Dieser Effekt kann aber mittelfristig durchaus einen positiven Einfluss auf die Produktion von grünem Wasserstoff haben. In der frühen Marktphase werden insbesondere Industriesektoren, die erhebliche Klimagasemissionen aufweisen und diese gleichzeitig nur mit hohem Aufwand ohne Wasserstoff verringern können, den Wasserstoff nachfragen. Wenn hier der politische Druck zur Energiewende groß genug ist, wird der Wasserstoff auch bereits zu hohen Preisen nachgefragt. Dies betrifft insbesondere die Stahl- und Zementindustrie, die zusammen immerhin knapp 25 % der Energienachfrage des Industriesektors (des nationalen Bruttoenergiebedarfs) ausmachen. Ab 2040, wenn das europäische Energiesystem weitgehend auf erneuerbaren Energiequellen basiert, wird der Wasserstoff auch in der Energiewirtschaft – insbesondere als Saisonspeicher – stärker eingesetzt und damit steigt auch die nationale Produktion. Bis dahin – so die Studien – wird von einer hohen Importquote ausgegangen (siehe Abschnitt Aktuelle Entwicklungen auf dem Energiemarkt), da der grüne Wasserstoff, der politisch gewollt ist, in Ländern entlang des Äquators (über Solar) und windreichen Regionen zu deutlich günstigeren Gestehungskosten erzeugt werden kann. Jedoch gibt es hier noch Uneinigkeit über die Transportwege und -arten (siehe Abschnitt Wasserstofftransport und -import in und nach Europa).
Wie in Bild 2 dargelegt werden in 2045 bis zu 500 TWh/a in Deutschland an Wasserstoff nachgefragt – der allergrößte Teil von der Industrie. Der Gebäudebereich oder der Verkehrssektor spielen hier eher eine nachgelagerte Rolle, wobei eine Nachfrage des Verkehrs nach synthetischen Kraftstoffen insbesondere des Flug- und Schiffsverkehrs sowie nach Wasserstoff zur Deckung eines Teils des Schwerlastverkehrs (siehe Abschnitt Straßenverkehr) erwartet wird. Die Studien sind sich einig, dass im Individualverkehr die direkte Elektrifizierung der Nutzung von Wasserstoff in großen Teilen vorgezogen wird. Auch wenn – nach Einschätzung der Studien – Deutschland wohl keine große eigene Wasserstoffproduktion aufbauen wird, ist es dennoch in einer hervorragenden Ausgangssituation in dem noch sehr jungen Markt für Elektrolyseure [17; 38].
Umsetzung der Nationalen Wasserstoffstrategie
Die NWS soll den Rahmen für private Investitionen in die wirtschaftliche und nachhaltige Erzeugung, den Transport und die Nutzung von grünem Wasserstoff schaffen. Durch einen 38 Maßnahmen umfassenden Aktionsplan soll der Markthochlauf, insbesondere von grünem Wasserstoff und dessen Folgeprodukten, gestaltet werden (Bild 3).
Im Rahmen der NWS und um den Erfolg der Umsetzung der NWS bewerten zu können, wurden von der Bundesregierung sieben strategische Ziele [19] definiert. Im Folgenden wird die aktuelle Zielerreichung beschrieben.
Ziel 1: Regulatorische Rahmenbedingungen für den Markthochlauf von Wasserstoff, einschließlich einheitlicher Nachhaltigkeitsstandards, sind geschaffen
Einen wesentlichen Punkt für einen erfolgreichen Wasserstoffhochlauf stellt ein verlässlicher regulatorischer Rahmen für Erzeugung, Transport und Verwendung von Wasserstoff dar, der Investitionen, Anreize, Wettbewerb und Risikobewertung für Geschäftsmodelle ermöglicht. Hierzu wurden beispielsweise bereits wichtige Gesetzesentwicklungen umgesetzt. Hierzu zählen:
- EnWG-Novelle 2021 als Einstieg in die Regulierung reiner Wasserstoffnetze,
- Wasserstoffnetzentgeltverordnung im Bereich von Infrastrukturen,
- EEG-Novelle 2021, die zur EEG-Umlagebefreiung für die Erzeugung von grünem Wasserstoff führt,
- Clean Vehicles Directive (Richtlinie (EU) 2019/1161) sowie
- SaubFahrzeugBeschG im Bereich Verkehr zur Beschaffung sauberer Straßenfahrzeuge.
Des Weiteren arbeitet die Bundesregierung aktuell an der Umsetzung von Bilanzierungs- und Zertifizierungssystemen sowie an Nachhaltigkeitsstandards [20]. Entsprechende Vorschläge bringt die Bundesregierung derzeit auf europäischer und internationaler Ebene ein.
Ziel 2: Erzeugungskapazitäten für grünen Wasserstoff und Folgeprodukte sind in Deutschland ausgebaut
Durch die zuvor erwähnte EEG-Umlagenbefreiung wurde ein zentrales Hemmnis für den Hochlauf von grünem Wasserstoff aufgelöst. Eine wichtige europäische Maßnahme, die die Entwicklung von Kapazitäten vorantreiben soll, ist der Start der sogenannten „Important Projects of Common European Interest“, den sogenannten IPCEI-Vorhaben [21; 22]. Diese umfassen unter anderem Elektrolyseprojekte zur Wasserstofferzeugung mit über 2 GW Leistung. Dabei wird auch die Nutzung von Offshore-Windenergie als attraktive Technologie zur Erzeugung von erneuerbarem Strom und grünem Wasserstoff gestützt. Mit der „Verordnung zur Vergabe von sonstigen Energiegewinnungsbereichen in der ausschließlichen Wirtschaftszone“ [23] sollen auch Offshore-Elektrolyse-Vorhaben umgesetzt werden.
Ziel 3: Die Infrastruktur für Wasserstoff-Wertschöpfungsketten, einschließlich Wasserstoff-Tankstellen, ist ausgebaut
Die „Adern“ für den Transport und die Verteilung von Wasserstoff stellen künftig unter anderem Pipelines dar. Sie sind erforderlich, um größere Mengen von Wasserstoff vom Erzeuger zum Anwender zu transportieren. Mit der oben erwähnten EnWG-Novelle wurde für Betreiber von Wasserstoffnetzen ein regulierungsrechtlicher Einstieg geschaffen, der Planungs- und Investitionssicherheit bis zum Vorliegen eines europäischen Rahmens gewährleisten soll. Sie umfasst unter anderem Regelungen zur Entflechtung, Netzanschluss und -zugang sowie kostenbasierte Entgeltbildung. Des Weiteren umfasst die Novelle Regelungen zur Umstellung von bestehenden Gasleitungen auf Wasserstoff. Die Umsetzung weiterer Wasserstoffinfrastrukturprojekte plant die Bundesregierung zudem im Rahmen der IPCEI-Förderung. Zu den bislang ausgewählten IPCEI-Projekten zählen unter anderem Infrastrukturprojekte, die insgesamt etwa 1 700 km Wasserstoffleitungen umfassen und deren Inbetriebnahme bis 2028 erfolgen soll. Ergänzt werden die Transportoptionen unter anderem über Straße und Schiene. Dabei wird der Aufbau einer Wasserstofftankstelleninfrastruktur mit Fokus für Nutzfahrzeuge und Betriebstankstellen der Industrie von der Bundesregierung unterstützt und mittels neuer Fördermodelle fortgesetzt.
Ziel 4: Die Wettbewerbsfähigkeit von grünem Wasserstoff und seinen Folgeprodukten ist verbessert
Die bisherigen Preise für grünen Wasserstoff wirken dämpfend auf den Markthochlauf und somit auch auf die Dekarbonisierung der verschiedenen Sektoren. Grüner Wasserstoff und dessen Folgeprodukte müssen daher unabhängig von aktuellen Krisen langfristig wettbewerbsfähiger im Verhältnis zu ihren fossilen Alternativen werden. Die zuvor erwähnte Umlagenbefreiung von grünem Wasserstoff im Rahmen der EEG-Novelle 2021 stellt einen wichtigen Schritt in diese Richtung dar. Zukünftig kann die Gestaltung der Emissionshandelssysteme ebenfalls einen wichtigen Beitrag hierzu leisten. Durch Klimaschutzdifferenzverträge, sogenannte „Carbon Contracts for Difference“ (CCfD) zur Transformation der Industrie, werden Unternehmen unter anderem dabei unterstützt grünen Wasserstoff einzusetzen und dabei weiterhin wettbewerbsfähig zu produzieren. Durch dieses Instrument sichert der Staat Investitionen von Unternehmen in Technologien und Infrastruktur zur CO2-Reduktion langfristig ab. Dies ist aus heutiger Sicht erforderlich, um möglichen Bedenken hinsichtlich Spekulationen auf den CO2-Preis entgegen zu wirken. Denn Anreize zur Investition in klimafreundliche Technologien sind vermutlich nur dann attraktiv für Unternehmen, wenn der Preis für CO2 langfristig hoch bleibt.
Ziel 5: Durch den Einsatz von Wasserstoff sind Fortschritte bei der Dekarbonisierung in den Bereichen Verkehr und Industrie erreicht
Im Verkehr kann der Einsatz von Wasserstoff insbesondere in nicht-elektrifizierbaren Bereichen oder in Bereichen, die den Transport schwerer Güter umfassen aus Effizienz- und Kostengründen sinnvoll beziehungsweise notwendig sein, um die Klimaschutzziele zu erreichen. Dies umfasst beispielsweise den Schiffs- und Flugverkehr sowie Teile des Schwerlast-, Schienen- und Busverkehrs. Mit dem „Gesetz zur Weiterentwicklung der Treibhausgasminderungsquote“ [24] und einer angestrebten Treibhausgas (THG)-Minderungsquote von 25 % bis 2030, wird eine deutliche Übererfüllung der EU-Vorgaben der RED II angestrebt. Hierdurch sollen Anreize für die Produktion und den Einsatz von grünem Wasserstoff und darauf basierenden Kraftstoffen im Verkehr geschaffen werden. Flankiert werden diese regulatorischen Maßnahmen durch Fördermaßnahmen des Bundes für Forschung und Entwicklung sowie Marktaktivierung im Fahrzeugbereich, der Betankungsinfrastruktur und den strombasierten Kraftstoffen, um die Dekarbonisierungsziele im Verkehrssektor zu unterstützen.
Der deutsche Industriesektor ist bekanntlich zweitgrößter THG-Emittent. In diesem Bereich steht ein sehr grundlegender technologischer Transformationsprozess bevor, um die gesetzten Dekarbonisierungsziele zu erreichen und dabei die Wettbewerbsfähigkeit nicht zu verlieren. Um dies zu ermöglichen, hat die Bundesregierung das Förderprogramm „Dekarbonisierung in der Industrie“ [25] ins Leben gerufen. Dadurch wird die energieintensive Industrie – insbesondere auch der Chemie- und Stahlsektor – auf dem Weg zur THG-Neutralität vor allem in den Bereichen Forschung und Entwicklung sowie bei großtechnischen Klimaschutzinnovationen unterstützt.
Ziel 6: Deutschland ist als Leitanbieter im Bereich grüner Wasserstofferzeugungs- und -anwendungstechnologien positioniert
Um dies zu erreichen wurde die anwendungsorientierte Grundlagenforschung wie im „Ideenwettbewerb Wasserstoffrepublik Deutschland“ über die angewandte Energieforschung in der „Technologieoffensive Wasserstoff“ bis zur Erprobung im industriellen Maßstab in den „Reallaboren der Energiewende“ durch die Bundesregierung unter dem Dach der neu geschaffenen ressortübergreifenden Forschungsoffensive „Wasserstofftechnologien 2030“ gebündelt. Fünf Reallabore [26] der Energiewende sollen im Wasserstoffbereich die Forschungsergebnisse in die Praxis umsetzen und die Marktreife voranzutreiben. Hierzu gehören:
- Energiepark Bad Lauchstädt,
- H2-Stahl,
- H2-Wyhlen,
- NRL – Norddeutsches Reallabor,
- Westküste 100.
Des Weiteren existieren mittlerweile drei Wasserstoff-Leitprojekte [27], die die Serienfertigung von Elektrolyseuren, Transportlösungen sowie die Offshore-Erzeugung adressieren:
- H2Giga: Serienfertigung,
- H2Mare: Offshore,
- TransHyDE: H2-Transport.
Ziel 7: Internationale Kooperationen (in und außerhalb der EU) im Hinblick auf Wasserstoffimport und Technologieexport sind aufgebaut
Den wesentlichsten Schlüssel für die zukünftige Versorgungssicherheit Deutschlands und Exporte deutscher Wasserstofftechnologien stellt der Aufbau stabiler und nachhaltiger internationaler Kooperationen dar. Mithilfe von zahlreichen Klima- und Energiepartnerschaften sowie Forschungskooperationen baut Deutschland die internationale Zusammenarbeit im Bereich Wasserstoff kontinuierlich aus.
Flankiert werden diese Maßnahmen durch unterschiedliche Förderinstrumente zur Entwicklung eines Wasserstoffmarktes. So fördert beispielsweise H2Global [28[ die Herstellung von grünem Wasserstoff und dessen Folgeprodukten außerhalb der EU sowie deren Anwendung in Deutschland. Die Förderung umfasst ein Gesamtvolumen von 900 Mio. €, die die Bundesregierung im Jahr 2021 zur Verfügung gestellt hat. Im Rahmen der NWS wurden zudem verschiedene bilaterale Abkommen und Projekte zur Wasserstoffzusammenarbeit gestartet (Afrika, Australien, Saudi-Arabien, Kanada, Algerien, Brasilien, Südafrika). Dazu gehören unter anderem Wasserstoffallianzen und Arbeitsgruppen zur Entwicklung von nationalen Wasserstoffstrategien und dem Bau von Pilotanlagen, die den Markthochlauf in den jeweiligen Partnerländern unterstützen beziehungsweise flankieren sollen.
Dabei scheinen sich der im vergangenen Jahr vorgestellte Plan des Aufbaus einer 100-MW-Elektrolyseanlage in Marokko und des Wasserstofftransports nach Deutschland [1] vorerst zu verzögern, was auf politische Unstimmigkeiten zurück zu führen ist. Da Deutschland die Souveränität Marokkos über die Westsahara nicht anerkennt, wurde die deutsch-marokkanische Zusammenarbeit erst einmal ausgesetzt [29]. Hingegen wurde im August 2021 bekannt, dass Deutschland mit Namibia Absichtserklärung zum Aufbau einer Wasserstoffpartnerschaft unterzeichnet hat [30]. Einen Startpunkt dieser Partnerschaft stellt das Wasserstoffprojekt im Tsau-Khaeb-Nationalpark dar, wo Hyphen Hydrogen Energy gemeinsam mit Enertrag Wind- und Solarkraftwerke mit einer Leistung von 5 GW sowie Elektrolyseure mit einer Leistung von 3 GW, eine passende Meerwasserentsalzungsanlage und eine Produktionsstätte für Ammoniak aus Stickstoff und grünem Wasserstoff plant [31]. Der nahe gelegene Hafen in Lüderitz soll zudem ausgebaut werden, um den Wasserstoff und Ammoniak zu exportieren. Ab 2026 sollen so jährlich 300 000 t Wasserstoff produziert und teilweise exportiert werden sowie rund 3 000 Arbeitsplätze entstehen. Aufgrund der großen Anzahl an Sonnenstunden und dem starken Wind werden hohe Auslastungen der Anlagen erwartet, was Wasserstoffpreise zwischen 1,50 und 2,00 € ermöglichen soll. Da Namibia das trockenste Land der Subsahara-Region ist, handelt es sich dabei auch um ein Demonstrationsprojekt für die Kombination aus Meerwasserentsalzung und Wasserstoffproduktion, die sich bei Erfolg auf andere Regionen übertragen lässt und damit eine Basis für den weltweiten Aufbau der Wasserstoffwirtschaft legen kann. Zudem wurde im März 2022 eine Wasserstoffkooperation mit den Arabischen Emiraten vereinbart, die die zukünftige Lieferung von Wasserstoff und Ammoniak vorbereiten und die dazu benötigte Forschungskooperation zwischen beiden Ländern fördern soll [32]. So sollen noch in 2022 erste Wasserstofflieferungen nach Deutschland ermöglicht werden.
Trotz der bereits vorliegenden Erfolge, soll und muss der Aufbau der Wasserstoffwirtschaft weiter vorangetrieben und Entscheidungsprozesse weiter beschleunigt werden. Die Maßnahmen zum Markthochlauf der Wasserstofftechnologie sollen daher weiter angepasst werden, unter anderem auch um die Produktionskapazitäten von grünem Wasserstoff gegenüber den bisherigen Plänen zu verdoppeln. Dafür soll die NWS noch im Jahr 2022 fortgeschrieben und zusätzliche Förderprogramme sollen auf den Weg gebracht beziehungsweise bestehende aufgestockt werden. Ziel der Fortschreibung ist es, den Handlungsrahmen für Innovationen und Investitionen für grünen Wasserstoff weiter zu verbessern und vor allem prioritäre Maßnahmen darzustellen, die das Erreichen der angehobenen Ziele gewährleisten. Die aktuelle Situation des russischen Angriffskriegs in der Ukraine ist eine fundamentale neue Entwicklung, deren vollständige Bewertung auch eine neue Dimension für die Ausrichtung und Umsetzung der NWS bedeutet. Die Diversifizierung aller Energieimporte und der beschleunigte Ausbau erneuerbarer Energien sind essenziell für die Energieversorgungssicherheit. Wasserstoff und Power-to-X (PtX)-Folgeprodukte leisten dazu einen Beitrag. Die mit ihnen verbundenen Nutzungsoptionen in allen volkswirtschaftlichen Sektoren, ihr klimapolitischer Beitrag zur Erreichung der Pariser Klimaziele und nicht zuletzt ihr geopolitisches Potenzial zur Diversifizierung der energiepolitischen Abhängigkeiten unterstreichen ihre strategische Bedeutung für Deutschland und die EU.
Wasserstofferzeugung
Noch im vergangenen Jahr wurde dargelegt, wie bunt die Wasserstoffwelt geworden ist und wie sich die verschiedenen Arten der Wasserstofferzeugung unterscheiden (Bild 4). Die eingesetzten Brückentechnologien erschienen unverzichtbar, um Preisziele zu erreichen, Märkte und Infrastruktur aufzubauen und schnell erste Erfolge bei der Erreichung der Klimaziele realisieren zu können [1]. Jedoch beruhen grauer, blauer und türkiser Wasserstoff auf der Nutzung von Methan. Solange hier Erdgas als Quelle dient, wird dies mittlerweile aus Sicht der Versorgungssicherheit, aber auch der Klimabilanz, deutlich kritischer gesehen und der Aufbau der Brückentechnologien scheint daher weniger attraktiv, auch für die NWS. Bei Nutzung von Biogas als Methanquelle sowie der Herstellung von gelbem Wasserstoff mithilfe von Kernenergie sieht dies anders aus und deren Nutzung wird weiterhin diskutiert und erste Pilotprojekte werden gefördert. Im vergangenen Jahr war aber eine ganz klare Verschiebung zu erkennen und der volle Fokus liegt jetzt auf grünem Wasserstoff. Zudem hat die Preisentwicklung auf den Gasmärkten dazu geführt, dass dieser auch wirtschaftlich deutlich früher attraktiv wird als erwartet wurde. So meldete das Handelsblatt am 10. April 2022, dass grüner Wasserstoff zum ersten Mal günstiger ist als grauer Wasserstoff aus Erdgas [33]. Aus diesem Grund liegt der Fokus des Beitrags in diesem Jahr auf der Herstellung von grünem Wasserstoff und einige Folgeprodukte, deren Nutzung immer stärker nachgefragt werden, werden vorgestellt.
Neue Elektrolyseprojekte für grünen Wasserstoff
Die Anzahl und Größe der geplanten und in Betrieb genommenen Elektrolyseanlagen ist weltweit und auch in Deutschland in den vergangenen Jahren stetig gewachsen, was auch gut an den BWK-Jahresübersichten der vergangenen Jahre verfolgt werden kann. In den Jahren 2015 [34] und 2016 [35] konnte noch von wenigen Anlagen in der Größenordnung von 1 bis 2 MW, beispielsweise in Hamburg-Reitbrook, im Energiepark Mainz und im bayrischen Haßfurt, berichtet werden. In 2017 wuchs die Anschlussleistung der Anlagen bereits auf 4 bis 6 MW, beispielsweise in Hamburg Neuhof, im österreichischen Völs und im österreichischen Linz [36]. In 2018 wurde dann über Anlagengrößen von 10 bis 20 MW in der Raffinerie Rheinland im Werk Wesseling sowie in Kanada berichtet [37]. In diesen Jahren blieb die Anlagenanzahl jedoch weiterhin sehr überschaubar. In 2019 wurden dann deutlich mehr Anlagen im Leistungsbereich von 10 bis 100 MW im japanischen Fukushima, im dänischen Fredericia, in den Niederlanden (Eemshaven und Delfzijl) sowie in Deutschland (Bad Leuchstädt und Lingen) geplant [38]. Und im letzten Jahr konnte über Pläne zum Auf- und Ausbau von Anlagen im kanadischen Québec, in der Region Heide in Schleswig-Holstein und in Moorburg bei Hamburg berichtet werden, die perspektivisch im Bereich 100 MW bis 5 GW liegen[1]. Und die Anlagengrößen nehmen weiter zu. Zudem hat die Anzahl der geplanten Anlagen mittlerweile so deutlich zugenommen, dass hier nur noch eine Auswahl von Projekten vorgestellt werden kann, die von der Planung in die Umsetzung gelangen oder deren Planung erst im vergangenen Jahr bekannt wurde.
So ist die Anlage von Cummins in Québec in 2021 in Betrieb genommen worden [39]. Wenn auch noch nicht mit der vollen geplanten Leistung, stellt der laufende 20-MW-PEM-Elektrolyseur den bisher weltweit größten seine Art dar und produziert Wasserstoffmengen von 8,2 t7d beziehungsweise 3 000 t/a. Zudem hat die geplante 500-MW-Elektrolyse in Hamburg Moorburg in einer ersten Studie die technische Machbarkeit und die bessere Wirtschaftlichkeit im Vergleich zu Biomasse- und Gaskraftwerken unter Beweis gestellt und soll nun bis 2026 umgesetzt werden [40].
Unterdessen wurden neue Pläne aus dem portugiesischen Sines bekannt, wo durch KEME Energy im Hafen eine Elektrolysekapazität von 265 MW bis 2025 und perspektivisch bis zu 2,5 GW bis 2030 aufgebaut werden sollen [41]. Im Oktober 2021 wurden zudem weitere Pläne laut denen in der west-kasachischen Region Mangystau eine 30-GW-Elektrolyseanlage mit Anbindung an Wind- und Solarkraftanlagen entstehen soll, die bis zu 2 Mio. t grünen Wasserstoff pro Jahr liefern kann [42]. Das Projekt wird federführend von der schwedisch-deutschen Svevind-Gruppe vorangetrieben und die entsprechende Absichtserklärung wurde bereits mit der Kazakh Invest National Company JSC unterzeichnet.
Zudem steht die Offshore-Wasserstofferzeugung weiterhin hoch im Kurs. Nach der reinen Konzeptvorstellung für eine Hochseeplattform mit einer Elektrolyseleistung von 400 MW für bis zu 80 000 m3 Wasserstoff pro Stunde durch den Ingenieurdienstleister Tractebel im vergangenen Jahr [1], gelangen diese Konzepte nun schrittweise in die Erprobungsphase. Vor der Küste von Le Croisic (Loire-Atlantique) soll im Spätsommer 2022 die erste Offshore-Anlage durch die im französischen Nantes befindliche Firma Lhyfe errichtet werden. Dabei handelt es sich um eine schwimmende Insellösung mit einem Elektrolyseur von Plug Power, die zunächst ihre Betriebstauglichkeit und Zuverlässigkeit unter den rauen Bedingungen vor der französischen Atlantikküste durch die Produktion von täglich 440 kg Wasserstoff unter Beweis stellen soll [43]. Nach dieser Validierung der Offshore-Wasserstoffproduktion ist die Markteinführung im industriellen Maßstab für 2024 geplant [44]. Grundsätzlich erscheinen solche Konzepte besonders attraktiv für die Umrüstung aufgegebener Offshore-Felder der Öl- und Gasförderung, bei denen bereits vorhandene Offshore-Inseln sowie Pipelinesysteme umgewidmet werden könnten. Inwiefern deren Umrüstung auf Wasserstoff jedoch realistisch ist, muss noch untersucht werden. Man geht jedoch davon aus, dass der Wasserstofftransport in Pipelines deutlich günstiger ist als der Stromtransport zum Festland mit dortiger Wasserstofferzeugung [43].
Des Weiteren erscheint die Offshore-Wasserstofferzeugung eine sehr attraktive Lösung, um einer mit steigender Elektrolyseleistung immer mehr in den Vordergrund rückenden Problematik entgegenzutreten. Denn neben der Versorgung mit erneuerbaren Energien muss auch der erhebliche Wasserverbrauch der Elektrolyseure beachtet werden [45]. Für Deutschland hat sich der Deutsche Verein des Gas- und Wasserfaches (DVGW) dieser Thematik in der Studie „Klimaschutz und Resilienz“ vom April 2021 gewidmet [46]. Es konnte gezeigt werden, dass selbst für die zukünftig prognostizierte Wasserstoffproduktion von bis zu 70 TWh nur von einem Wasserverbrauch von 19 Mio. m3/a auszugehen ist, was nicht mal einem Tausendstel der gesamten verbrauchten Wassermenge entspricht. Dennoch sollte die Standortwahl für Elektrolyseanlagen nicht nur vorhandene regenerative Energiequellen, sondern auch den Zugang zu entsprechenden Wassermengen berücksichtigen, um lokale Knappheiten in Trockenperioden zu meiden. Jedoch ist zu erwarten, dass diese Standortwahl mit zunehmender Trockenheit im Rahmen des Klimawandels immer herausfordernder wird. Dies ist schon heute ein kritischer Aspekt bei der Anlagenplanung in sonnenreichen Gegenden außerhalb Deutschlands und gerade in Ländern in Afrika, Australien und Südamerika. Aufgrund der hohen Sonneneinstrahlung und Windverfügbarkeit ist die Stromerzeugung dort zwar besonders attraktiv, diese verursacht aber auch eine Knappheit an Wasser. Bei der Konzeptionierung der Anlagen in Küstennähe oder Offshore vor der Küste kann dieses Problem umgangen werden und zudem der Export über Schiffe erleichtert werden. Die Meerwasserentsalzung und vor allem die Rückeinleitung der aufkonzentrierten Sole können jedoch im großen Maßstab auch negative Auswirkungen auf die Meeresbiologie und die Luftqualität haben [47]. Allerdings gibt es verschiedene technische Möglichkeiten, diese Auswirkungen zu mildern. Darüber hinaus kann die Sole als Rohstoff für verschiedene Anwendungen verwendet werden, anstatt sie wieder ins Meer zu leiten. Diese möglichen Auswirkungen sollten jedoch ebenfalls bei der Anlagenkonzeption beachtet werden.
Die notwendige Meerwasserentsalzung ist zudem mit erheblichem Mehraufwand an Energie verbunden. Zumindest wenn diese wie bisher üblich auf dem Prinzip der Umkehrosmose beruht. Einen anderen Weg geht der deutsche Automobilzulieferer Schäffler gemeinsam mit seinen niederländischen Partnern, der Universität Wageningen und der Hydron Energy B.V., im Projekt SEA2H2. Hier wird die energieeffiziente Meerwasserentsalzung durch die Kopplung der Abwärme aus der Elektrolyse mit einer Membran-Destillation untersucht [48]. Eine entsprechende Pilotanlage hat ihre Wirksamkeit bereits im Hafen der niederländischen Nordseeinsel Texel unter Beweis gestellt.
Der rasante Anstieg von Anlagenleistung und -anzahl zeigt deutlich wie schnell der Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft derzeit voranschreitet. Dies ist auch sehr deutlich an den steigenden Produktionskapazitäten zu erkennen, die die Elektrolyseurhersteller derzeit aufbauen. Im Januar 2022 wurden diese Bestrebungen in einem Artikel zusammengefasst [49]. Er kommt zu dem Schluss, dass die Herstellung von Wasserstoff inzwischen einer der weltweit gefragtesten Zukunftsmärkte ist und dass sich die Elektrolyseurhersteller derzeit einer enormen Nachfrage gegenübersehen, die es nun zu bedienen gilt. Dazu werden neue Produktionsstätten geschaffen, von denen einige beispielhaft vorgestellt werden sollen. Enapta startete im September 2021 im nordrhein-westfälischen Saerbeck den Bau einer Fabrik, in der ab 2023 monatlich bis zu 10 000 AEM-Elektrolyseure (Anion Exchange Membrane Electrolysis) gefertigt werden können. Das dänische Unternehmen Haldor Topsøe will bis 2023 eine Fabrik für Festoxidelektrolyseure (SOE; Solid Oxide Electrolysis) mit einer jährlichen Kapazität von 500 MW Elektrolyseleistung aufbauen, die auf bis zu 5 GW erweiterbar sein soll. Die größte Produktionskapazität gibt es jedoch bisher bei der etabliertesten Elektrolyseur-Technologie, der PEM-Elektrolyse (Proton Exchange Membrane Electrolysis). Die Thyssenkrupp Industrial Solutions AG hat bereits 2020 angegeben mit der hochautomatisierten Fertigung von solchen Elektrolyseuren im industriellen Maßstab eine jährliche Leistungsnachfrage von 1 GW bedienen zu können. Im Oktober 2021 wurde dann bekannt, dass eine weitere Hochskalierung im Rahmen des BMBF-geförderten H2Giga-Projekts umgesetzt und so auf eine automatisierte Gigawatt-Serienfertigung erweitert wird. Die so vorgefertigte Standardmodule können zu verschiedenen Anlagengrößen bis zu mehreren Gigawatt zusammengeschaltet werden. Im oben erwähnten Artikel sind die aktuellen und geplanten Produktionskapazitäten der größten Hersteller zusammengefasst [49], um zu veranschaulichen, dass mit den aktuellen und geplanten Produktionskapazitäten ein schneller Zuwachs an Elektrolyseleistung umgesetzt werden kann und dass sich die verschiedenen Hersteller auf den wachsenden Zukunftsmarkt ausgerichtet haben (Tabelle 1).
Auch wenn der Trend in der industriellen Anwendung derzeit zu immer größeren Elektrolyseanlagen geht, hat die neue Studie „Netzdienliche Wasserstofferzeugung“ vom Reiner Lemoine Institut im Auftrag von Green Planet Energy (früher Greenpeace Energy) herausgestellt, dass kleinere, dezentrale Elektrolyseure besonders geeignet sind, um einen wichtigen Beitrag zur Netzstabilität und Versorgungssicherheit zu leisten [50]. So können die Energieausbeute aus Wind- und Solaranlagen gesteigert und das Energiesystem resilienter gemacht werden. Zudem könnten sich die nötigen Netzausbaukosten verringern. Dieses netzdienliche Leistungsangebot sowie die dynamische Nutzung lokaler Energieüberschüsse machen den Betrieb solcher Elektrolyseure im Leistungsbereich bis 5 MW wirtschaftlich und könnten deutschlandweit betrachtet bis zu 13,7 TWh grünen Wasserstoff pro Jahr bereitstellen.
Somit ist in den kommenden Jahren mit einem breiten Spektrum an Elektrolyseuren zu rechnen und es ist noch nicht erkennbar, dass sich eine der verschiedenen Technologien ganz klar gegenüber den Alternativen durchsetzt. Die große Diversität in Anlagengröße und genutzter Elektrolysetechnologie liegt dabei vor allem in den breiten Anwendungsmöglichkeiten sowie den sehr unterschiedlichen Anforderungen an die Anlagen begründet.
Industrielle Anwendung von Wasserstoff
Weiterhin sind Raffinerien sowie die Stahl- und Zementindustrie die Branchen mit dem höchsten Bedarf mithilfe von grünem Wasserstoff die Herstellung ihrer Produkte umweltfreundlicher zu gestalten und sich für steigende Kosten durch Emissionszertifikate zu wappnen. Besonders deutlich wurde dies im vergangenen Jahr bei neuen Elektrolyseprojekten in Raffinerien, nicht zuletzt durch die Auswirkungen der RED II. Natürlich beruhen deren Produkte noch immer auf Erdöl und -gas als Ausgangsstoffe, aber durch Anpassungen im Produktionsprozess ist es möglich einen erheblichen Teil der fossilen Energieträger einzusparen, wenn beispielsweise der Wasserstoff für den Cracking-Prozess aus Elektrolyseuren und nicht aus der Erdgasreformierung stammt.
Entsprechend werden schon heute immer mehr Elektrolyseure in den Raffinerien eingesetzt und die Anlagenplanungen werden zunehmend ehrgeiziger. So ist in Wesseling bei Köln in diesem Jahr die 10-MW-Elektrolyseanlage in der Rheinland Raffinerie im Rahmen des Refhyne-Projekts in Betrieb genommen worden und produziert nun jährlich bis zu 1 300 t grünen Wasserstoff [51]. Zudem ist durch Shell bereits der Ausbau auf eine 100-MW-Anlage beziehungsweise eine Jahresproduktion von 15 000 t Wasserstoff über das Folgeprojekt Refhyne II geplant [52].
Ein weiteres Beispiel aus diesem Jahr ist das Reallabor-Projekt „Westküste100“ an der schleswig-holsteinischen Nordseeküste [53]. Im dortigen Heide wurde die Entwurfsplanung einer 30-MW-Elektrolyseanlage abgeschlossen, die bis 2023 grünen Wasserstoff für die Raffinerie Heide liefern, aber auch Wasserstoff für eine Tankstelle und das örtliche Gasnetz zur Verfügung stellen soll. Zudem gab es „grünes Licht“ für die Nutzung der dortigen Kaverne zur Wasserstoffspeicherung. Allerdings soll hier die konkrete Bauplanung erst umgesetzt werden, wenn die RED II auch in nationales Recht umgesetzt wurde.
In der Raffinerie von Neste in Rotterdam entsteht derzeit mit einer Leistung von 2,6 MW eine der größten Hochtemperatur-Elektrolyseanlagen der Welt im EU-Projekt MultiPLHY (Multi-Megawatt-Hochtemperatur-Elektrolyseur zur Erzeugung von grünem Wasserstoff für die Herstellung von hochwertigen Biokraftstoffen) [54]. Aufgrund des außerordentlich hohen Wirkungsgrades dieser Technologie von bis zu 85 % sollen damit 60 kg Wasserstoff pro Stunde erzeugt werden und die Anlage soll perspektivisch auf 100 MW skaliert werden.
Neben der direkten Nutzung von Wasserstoff rückt immer mehr die Herstellung weiterer Energieträger auf Basis des grünen Wasserstoffs in den Fokus [55]. Die sogenannte Power-to-X (PtX)-Synthese ist die Umwandlung von erneuerbaren Energien mit grünem Wasserstoff in verschiedene Energieträger wie Methan (Power-to-Gas, PtG), Ammoniak oder flüssige Energieträger (Power-to-Liquid, PtL). Zu letzteren zählen Methanol, Ethanol, synthetisches Benzin und synthetisches Kerosin, die häufig als eFuels bezeichnet werden. Ganz generell ist jeder PtX-Schritt gegenüber der direkten Nutzung von grünem Wasserstoff mit zusätzlichen Effizienzverlusten und Kosten verbunden. Wie Bild 5 zeigt fallen diese vor allem bei der PtL-Herstellung besonders ins Gewicht. Dennoch sind diese Technologien und die entstehenden Energieträger von hohem Interesse für bestimmte Anwendungen. So können die hohen benötigten Energiedichten für Langstreckenflüge nur über eFuels erreicht werden und Ammoniak und Methanol erleichtert den Transport und den Import von erneuerbaren Energieträgern. Dies kann die geringere Effizienz und die höheren Kosten rechtfertigen und es bleibt abzuwarten, wie sich die Kostenentwicklung, Skaleneffekte und Verbreitung der verschiedenen Produkte auf die Implementierung in weiteren Sektoren auswirken. Zudem muss zur Erreichung der globalen Klimaziele in einem realistischen Zeithorizont beachtet werden, dass dies nicht nur durch die Einführung neuer Technologien wie elektrischen Fahrzeugen und Brennstoffzellen zu erreichen ist. Hierzu muss auch der bereits vorhandene Gesamtbestand an Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor sowie Heizungen zur individuellen Wärmeversorgung auf einen möglichst klimaneutralen Betrieb umgerüstet werden. Dies ist mit den eFuels ohne hohe individuelle Investitionskosten möglich, was entscheidend sein kann, um die Emissionsziele nicht nur in den Industrieländern, sondern auch in den Schwellen- und Entwicklungsländern zu erreichen [56].
Eine dieser PtX-Anwendung für grünen Wasserstoff, die zunehmend interessanter wird, ist die Herstellung von Ammoniak. Jährlich werden weltweit etwa 200 Mio. t Ammoniak (NH3) hergestellt, wovon etwa 75 % für die Düngemittelproduktion verwendet werden [57]. Dafür werden ungefähr 2 % der Welt-Energieproduktion aufgewandt und 1,8 % der globalen THG-Emissionen sind auf diesen Prozess zurückzuführen. Die NH3-Herstellung erfolgt nach dem Haber-Bosch-Verfahren aus Luft-Stickstoff und Wasserstoff, der derzeit über Erdgas-Reformierung gewonnen wird. Durch die Nutzung von grünem Wasserstoff und die Energiebereitstellung aus erneuerbaren Energien kann dieser Prozess deutlich klimafreundlicher gestaltet werden. Zudem kann NH3 als kohlenstofffreier Energieträger genutzt werden. Er ist leichter zu verflüssigen als Wasserstoff und besitzt eine hohe Energiedichte, was die Speicherung erleichtert und ihn gerade für den Energieimport und als Kraftstoff für maritime Anwendungen sehr attraktiv macht.
Besonders interessant sind hier verschiedene Projekte, die derzeit in Chile in Planung sind. Chiles Grüner-Wasserstoff-Strategie hat sich das Ziel gesetzt bis 2030 der günstigste Hersteller von Wasserstoff zu sein und bis 2050 zu den drei weltgrößten Exporteuren zu gehören. Hierzu werden Anlagen für grünen Wasserstoff, aber auch für die Weiterverarbeitung zu Ammoniak, Ethanol und weiteren synthetischen Kraftstoffen vorangetrieben. Am 27. Dezember 2021 gab die staatliche Entwicklungsagentur Corfo (Corporación de Formento de la Prodcción de Chile) die Gewinner der internationalen Ausschreibungsrunde für staatlich geförderte Wasserstoffprojekte bekannt (Tabelle 2). Insgesamt weisen die Projekte eine Elektrolysekapazität von 388 MW beziehungsweise 45 000 t grüner Wasserstoff im Jahr aus. Ziel sei dabei eine Inbetriebnahme bis Ende 2025 [58]. Zudem sind bereits die Planungen für zwei weitere Projekte in Chile bekannt. Im Haru-Oni-Projekt sollen schon ab Ende 2022 unter Beteiligung von Siemens Energy und der Porsche AG synthetische, klimaneutrale Elektrokraftstoffe hergestellt werden [59]. Baubeginn der ersten Pilotanlage für 130 l eFuels war der 10. September 2021. In zwei Stufen soll die Kapazität dann bis 2024 auf rund 55 Mio. l und bis 2026 auf rund 550 Mio. l erweitert werden. Des Weiteren wurde im Dezember die Umsetzung des Projektes H2-Magallanes bekannt, dessen Baubeginn für 2025 und dessen Fertigstellung für 2027 vorgesehen sind [58]. Das Projekt umfasst den Aufbau von 10 MW Windenergie, 8 MW Elektrolyse, einer Entsalzungsanlage, einer NH3-Anlage sowie einem Hafen für den NH3-Export. Auch dieses Projekt setzt also auf Ammoniak als Energieträger und Exportgut.
Auch auf der arabischen Halbinsel stehen Wasserstoff und die Produktion von Ammoniak hoch im Kurs. So haben sich im Oman Firmen aus Hongkong, Kuwait und dem Oman zur Umsetzung des „Green fuels mega project“ zusammengeschlossen, indem über eine 25-GW-Elektrolyseanlage grüner Wasserstoff erzeugt und in Form von Ammoniak exportiert werden soll [60]. Und in Saudi-Arabien entsteht nahe dem Suez-Kanal die Planstadt „Neom“, deren Energieversorgung ausschließlich auf erneuerbaren Energien beruhen soll [61]. Hier wird Wasserstoff als wichtiger Aspekt für die Energiespeicherung genutzt und eine 20-MW-Elektrolyseanlage soll von thyssenkrupp Uhde Chlorine Engineers ausgebaut werden. Zudem sollen bis 2025 in der zweiten Projektphase eine Produktionsanlage für täglich 650 t grünen Wasserstoff und 3 000 t Ammoniak aufgebaut werden. Die Ammoniak-Technik für diese „Helios Green Fuels Project“ soll von Haldor Topsøe aufgebaut werden. Beide Großprojekte nutzen den Zugang zum Meer um über Entsalzungsanlagen das Wasser für die Elektrolyseure bereitzustellen sowie den erzeugten Ammoniak leicht exportieren zu können.
Wasserstofftransport und -import in und nach Europa
Neben dem Ausbau der regenerativen Energieerzeugung und dem Ausbau der Produktionskapazität von grünem Wasserstoff ist die Verteilung und Bereitstellung des Wasserstoffs für die Endkundinnen und -kunden ein zentrales Thema aller Wasserstoffstrategien. Dies betrifft sowohl den innereuropäischen und innerdeutschen Transport als auch den Import aus weiteren Ländern. Innerhalb Europas zeigt die im November 2021 erschienene Studie „Fit for 55 Package and Gas for Climate“ der Initiative „European Hydrogen Backbone“ hierfür einen möglichen Weg auf. Der Aufbau der Gasinfrastruktur ist dabei ein entscheidender Baustein, um das EU-Ziel der Reduktion der THG-Emission um 55 % bis 2030 im Vergleich zu 1990 zu erreichen [62]. Wie bereits im vergangenen Jahr berichtet, haben sich dazu die europäischen Fernleitungsnetzbetreiber in der „European Hydrogen Backbone (EHB)“-Initiative zusammengeschlossen [1], deren Pläne sich nun noch einmal konkretisiert haben. Im April 2022 wurden die neuesten Versionen der EHB-Karten veröffentlicht (Bild 6), die die Vision der paneuropäischen Vernetzung der 28 beteiligten Staaten zeigt [63]. Diese trägt der notwendigen Beschleunigung des Aufbaus des Wasserstoffmarktes Rechnung und soll Industriegebiete, Häfen und Wasserstofferzeuger bis 2040 mit einer Netzlänge von 53 000 km verbinden und dazu fünf Verteilungs- und Importkorridore aufbauen: Nordsee, Baltikum-Ost-Europa, Süd-Ost-Europa, Nord-Afrika/Italien und Süd-West-Europa. Durch Investitionen von 80 bis 143 Bill. € sollen so innerhalb Europas Transportkosten über 1 000 km von 0,11 bis 0,21 €/kg erreicht werden, was den Pipeline-Transport zur günstigen Transportmöglichkeit für große Wasserstoffmengen machen würde.
Wichtige Rollen beim Wasserstoffimport nehmen jedoch auch die Häfen ein. Rotterdam ist bereits heute der größte Energiehafen Europas und positioniert sich derzeit sehr deutlich, um diesen Status auch beim europäischen Wasserstoffimport einzunehmen und wichtigste Anlaufstelle im Nordsee-Korridor zu werden [64]. So sollen bis 2050 etwa 20 Mio. t Wasserstoff über Rotterdam umgesetzt werden, von denen rund 90 % importiert, 10 % in der Region erzeugt und bis zu 60 % nach Deutschland weitertransportiert werden sollen [65]. Dazu gibt es Pläne zum sogenannten Delta-Korridor, einer Pipeline, die als eine der ersten grenzüberschreitenden Wasserstoffpipelines ab 2026 Rotterdam über den Industriepark Chemelot-Limburg bei Maastricht mit Nordrhein-Westfalen verbinden soll. Unter anderem soll so auch der Wasserstoff im deutsch-australischen Kooperationsprojekt HySupply über Rotterdam per Pipeline nach Deutschland importiert werden [66]. Ebenfalls eine wichtige Position in diesem Korridor spielt die geplante Wasserstoffpipeline zwischen Norwegen und Deutschland [67]. Eine Machbarkeitsstudie soll dabei klären, wie möglichst schnell großvolumige Wasserstoffimporte umgesetzt werden können und welche Rolle dabei blauer Wasserstoff als Übergang auf dem Weg zum grünen Wasserstoff spielen kann [68].
Im Korridor Baltikum-Ost-Europa waren bis Ende 2021 ebenfalls bereits Pläne für den Hochlauf der Wasserstoffproduktion und den Aufbau von Pipelines erarbeitet worden. Eine Absichtserklärung im Rahmen der Deutsch-Ukrainischen Energiepartnerschaft sollte unter anderem die Integration erneuerbarer Energien und die Produktion von grünem Wasserstoff in der Ukraine stärken [69]. Zudem sollte geprüft werden inwiefern bestehende Erdgasleitung umgewidmet und erweitert werden können (Bild 6). Im Herbst 2021 gaben die Gasnetzbetreiber GTSOU (Ukraine), Eustream (Slowakei), NET4GAS (Tschechien) und OGE (Deutschland) die Planung des „Central European Hydrogen Corridor“ bekannt [70]. Dieses Leitungsnetz soll es ermöglichen täglich bis zu 120 GWh beziehungsweise jährlich bis zu 43,8 TWh Wasserstoff aus der Ukraine über die Slowakei und Tschechien nach Deutschland zu transportieren. Ein ähnliches Vorhaben mit einem Transportvolumen bis zu 80 TWh/a verfolgt den Transport über die Slowakei und Österreich und wird derzeit im Projekt H2EU+Store geprüft [71]. Alternativ wird ebenfalls der Einsatz von Schiffen geprüft, die Wasserstoff über die Donau nach Mitteleuropa liefern sollen [69]. Ob überhaupt, in welcher Form und in welchem Zeithorizont solche Pläne noch umgesetzt werden können, ist im Angesicht der aktuellen Lage jedoch nicht abzusehen.
In den anderen Korridoren sind die Pläne noch nicht so konkret, allerdings gibt es neben dem Fernleitungsausbau verschiedene regionale Projekte, um den Wasserstofftransport bis zu den Endkundinnen und -kunden zu ermöglichen. In Deutschland ist das beispielsweise das Pipeline-Projekt HyPipCo, in dem bestehende Wasserstoffproduktionsstätten und geplante Pipelines in den Chemieparks und Raffinerien in und um Köln verbunden und eine Verbindung der Kölner Region zum nördlichen Ruhrgebiet und zu den Wasserstoff-Produktionsstätten in Norddeutschland geschaffen werden soll [72]. Ein weiteres Beispiel ist der Aufbau eines ostdeutschen Wasserstoff-Hubs durch die Verbindung von Wasserstoffprojekten in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Berlin, Sachsen und Sachsen-Anhalt über die Initiative „doing hydrogen“ [73]. Durch die Nutzung eines 475 km langes Startnetzes sowie ergänzenden neuen Leitungen soll bis 2026 so ein regionales Pipelinenetz aufgebaut werden [74].
Neben den geplanten Pipelines sind gerade für den Wasserstoffimport über die Häfen die benötigten Transportschiffe von großer Bedeutung. Diese müssen große Mengen Wasserstoff über weite Distanzen sicher und effizient transportieren können. Für den Transport in Tankschiffen kommen dabei verflüssigter Wasserstoff (liquid hydrogen, LH2) oder flüssige Speichermedien mit hoher Wasserstoffdichte wie Ammoniak und Methanol infrage. Die beiden letzteren werden für den vereinfachten Transport auf Basis von grünem Wasserstoff synthetisiert. Der weltweit erste Seetransport von LH2, einschließlich Be- und Entladung, wurde bereits in diesem Jahr umgesetzt [75]. Die Suiso Frontier verließ Japan im Dezember 2021 und kam im Januar 2022 in Australien an. Im Hafen von Hastings, Victoria, nahm das Schiff den LH2 auf und transportierte ihm über 9 000 km nach Kobe, wo er im Februar 2022 wieder entladen wurde. Ein kleiner Wermutstropfen ist die Tatsache, dass es sich dabei noch um grauen Wasserstoff aus der Braunkohlevergasung handelte. Aber die Umstellung auf grünen Wasserstoff soll zeitnah erfolgen. Die Betreiber erwarten den vollständig kommerziellen Betrieb bis 2030 und planen mit einer jährlichen Transportleistung von etwa 225 000 t Wasserstoff [76].
Wasserstoffnutzung
Bereits seit einigen Jahren kann man deutlich verfolgen, dass die Erreichung der Emissionsminderungsziele die EU und Deutschland gerade im Verkehrssektor vor große Herausforderungen stellt. Während sich die Elektromobilität nun mithilfe batteriebetriebener Pkw zunehmend etabliert, benötigt die Dekarbonisierung von Verkehrsanwendungen mit einem hohen Leistungsbedarf und kurzen Standzeiten noch immer enorme Anstrengungen, um klimafreundlichere Lösungen im Markt zu etablieren. Je nach Anwendung können grüner Wasserstoff und darauf basierende, synthetische Kraftstoffe ein Mittel zur Umsetzung dieser Ziele darstellen.
Flugverkehr
Gerade die Luftfahrbranche benötigt dringend Konzepte, um das Fliegen in den kommenden Jahren umweltfreundlicher zu gestalten und die Vorgaben im europäischen Green Deal zu erfüllen. Nur so ist es möglich, dass der Flugverkehr in den kommenden Jahrzehnten weiterhin der Motor der Wirtschaft, des internationalen Handels und des interkulturellen Austauschs bleibt, und gleichzeitig die klimapolitischen Ziele erreicht werden. Wie bereits im vergangenen Jahr berichtet, arbeiten verschiedene Hersteller und Forschungseinrichtungen an neuen Antriebsmöglichkeiten und Flugzeugtypen [1]. Aufgrund der Speicherdichten der möglichen Treibstoffe und der Antriebsgrößen herrscht dabei Konsens, dass Langstreckenflüge nur mit regenerativ erzeugtem Kerosin auf Wasserstoffbasis umgesetzt werden können, während direkte Wasserstoffantriebe in Form von Wasserstoffturbinen auf der Mittel- und Kurzstrecke oder Brennstoffzellen auf der Regional- und Kurzstrecke möglich sind. Jedoch benötigen die Herausforderungen im Flugverkehr neben neuen Antrieben einen ganzheitlichen Ansatz, wie ihn das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt e. V. (DLR) in seiner im Dezember 2021 erschienenen Luftfahrstrategie „Auf dem Weg zu einer emissionsfreien Luftfahrt“ [77] beschreibt und in den Projekten Exact (Exploration of Electric Aircraft Concepts and Technologies) [78], Perfect (Preliminary design and evaluation of future engine concepts) [77] und Eclif (Emissions and CLimate Impact of alternative Fuels) [79] umsetzt. Trotz klimapolitischer Diskussionen ist weiterhin davon auszugehen, dass sich das Luftverkehrsaufkommens wie bisher etwa alle 15 Jahre verdoppelt während im vergleichbaren Zeitraum neue Entwicklungen lediglich zu eine Effizienzsteigerung von etwa 15 % führen. Ohne korrigierende Maßnahmen würden sich die Emissionen so bis zum Jahr 2050 voraussichtlich mehr als vervierfachen (Bild 7). Wesentliches Ziel muss es sein, dass das Wachstum des Luftverkehrs zukünftig nicht mehr zu steigenden Emissionen führt und diese langfristig gesenkt werden. Dazu müssen die Emissionen vom exponentiell steigenden Luftverkehrsaufkommen entkoppelt werden, um eine klimaneutrale Luftfahrt zu ermöglichen. Vier Themengebiete sind dabei wesentlich, um dieses Ziel erreichen zu erreichen: der emissionsarme Luftfahrtantrieb, das energieeffiziente Flugzeug, das emissionsreduzierte Lufttransportsystem und die Digitalisierung. Die Ziele sowie die zu bearbeitenden Themenfelder sind dabei eng mit dem Nationalen Wasserstoffrat und dessen Stellungnahme „Wasserstoff für die Luftfahrt in Deutschland“ abgestimmt [80]. Durch den Einsatz energieeffizienter Flugzeuge und Antriebe sowie der Optimierung der Flugrouten, erscheint es zwar bereits möglich die nötige Entkopplung zu erreichen, allerdings kann so lediglich der Emissionsanstieg bis 2050 auf etwa 50 % gegenüber 2020 begrenzt werden. Insgesamt würden die Emissionen aber noch immer steigen. Eine Verringerung ist erst durch die Nutzung von regenerativ erzeugtem Kerosin möglich. So ließen sich diese Emissionen bereits auf nur noch knapp 30 % des Niveaus von 2020 verringern. Werden zudem noch die effizienteren Wasserstoffantriebe auf Kurz- und Regionalstrecken implementiert und alle Potenziale zur Emissionsreduktion in einem Best-Case-Szenario umgesetzt, erscheint es technisch möglich die Emissionen bis 2050 auf 17 % des Niveaus von 2020 zu verringern.
Anhand von Bild 7 wird klar, dass gerade der Einsatz von regenerativ erzeugtem Kerosin einen der wesentlichen Hebel zur Emissionsreduktion darstellen kann. Dies wird vor allem deutlich, wenn man die Emissionsquellen im Flugverkehr betrachtet, wie es eine Untersuchung von Eurocontrol getan hat [81]. Hier wird klar, dass Langstreckenflüge über 1 500 km zwar nur knapp 25 % aller Flüge im europäischen Luftraum ausmachen, aber über drei Viertel aller CO2-Emissionen in diesem Sektor verursachen. Gerade für diese Flüge stellt das synthetische Kerosin die bisher einzige Möglichkeit dar, die Emissionen nachhaltig und kurzfristig um bis zu 80 % zu reduzieren. Der kurzfristige Umstieg ist möglich, da es sich bei dem synthetischen Kerosin um einen sogenannten Drop-in-Kraftstoff handelt. Er kann also mit minimalen technischen Modifikationen der Triebwerke und der vorhandenen Infrastruktur auf bestehende Flugzeugflotten übertragen werden. Zudem kann er durch steigende Beimischungsraten schrittweise und politisch gelenkt in den kommerziellen Einsatz überführt werden. Dieses Vorgehen unterstützt den notwendigen Aufbau der Produktionskapazitäten und die Reduktion der Herstellungskosten.
Hingegen sind die nötigen Anpassungen bei der Nutzung von Wasserstoffantrieben deutlich höher und erfordern unter anderem neue Konzepte für Tanksysteme sowie zum Teil neuartige Flugzeugkonzepte. Dennoch bieten diese Antriebe aufgrund der vollständigen Dekarbonisierung sowie der höheren Effizienz einen weiteren wichtigen Hebel für die Klimaneutralität des Flugsektors, zumindest für die Regional-, Kurz- und Mittelstrecke. Aufgrund des erhöhten Forschungsbedarfs soll zunächst innerhalb von fünf Jahren die kommerzielle Anwendbarkeit in Flugzeugen bis hin zur Demonstration vorbereitet werden. Jedoch betont der Nationale Wasserstoffrat, dass die Luftfahrtbranche schon heute den Weg in eine mögliche Kommerzialisierung einschlagen muss, da die Entwicklung und Zertifizierung von Flugzeugen mehr als zehn Jahre und eine substanzielle Flottenerneuerung mindestens weitere zehn Jahre dauern [80].
Die ersten Schritte sind dabei von der Industrie bereits auf den Weg gebracht und werden immer konkreter. So hat Airbus im Februar 2022 die Kooperation mit dem Triebwerksbauer CFM bekannt gegeben, der zu Safran (Frankreich) und General Electric (USA) gehört [82]. Gemeinsam sollen Wasserstofftriebwerke und -tanks für einen Airbus A380 entwickelt werden. Das Demonstrationsflugzeug mit Wasserstoffdirektverbrennung soll bis Mitte des Jahrzehnts umgesetzt und ab 2035 im Passagierverkehr genutzt werden. Für die Nutzung auf Regional- und Kurzstrecken entwickeln auch die Brennstoffzellenhersteller spezielle Systeme und Stacks, die den Anforderungen in dieser speziellen Anwendung gerecht werden. So arbeitet die Aerostack GmbH, ein Joint Venture von Airbus und ElringKlinger, gemeinsam mit Ekpo Fuel Cell Technologies an der Entwicklung von für Luftfahrtanwendungen optimierte PEM-Brennstoffzellenstacks und -systemen [83]. Dazu werden die Stacks auf Basis der NM12-Plattform von Ekpo (205 kW(el.) und 6,0 kW/l) in neuartige Systeme integriert, um diese für die Luftfahrt nutzbar zu machen.
Maritime Anwendungen
Auch bei den Schiffsanwendungen rücken umweltfreundliche Antriebe auf Wasserstoffbasis stärker in den Fokus, um die deutlich sinkenden Emissionsgrenzwerte – gerade in Küstennähe – einhalten zu können. Neben dem Einsatz von reinem Wasserstoff, werden hier derzeit auch Ammoniak und Methanol untersucht, um höhere Speicherdichten und eine vereinfachte Lagerung gerade auf großen Schiffen zu gewährleisten. Beide Speichermedien können synthetisch auf Basis von grünem Wasserstoff und Stickstoff beziehungsweise Kohlenstoffdioxid aus der Luft gewonnen werden, wozu elektrische Energie aufgewendet werden muss. Aus diesem Grund werden diese Kraftstoffe dann auch gerne als eFuels bezeichnet. Diese werden in den meisten Fällen vor der Rückverstromung noch einmal in einem Reformer zu Wasserstoff umgesetzt und so einer Brennstoffzelle zugeführt.
Während in den vergangenen Jahren noch Machbarkeitsstudien, erste Konzepte und sehr kleine Demonstrationsprojekte im Vordergrund standen, kommen die maritimen Wasserstoffantriebe der kommerziellen Anwendung immer näher. In San Francisco ist nach dreijähriger Planung im April 2022 die Sea Change, die erste emissionsfreie, mit Wasserstoff-Brennstoffzellen ausgerüstete Hochgeschwindigkeits-Passagierfähre der Welt, zu Wasser gelassen worden [84]. Die 21 m lange Fähre für 75 Passiere wird direkt mit Wasserstoff betrieben und nutzt ein Cummins-Brennstoffzellensystem mit einer Leistung von 360 kW sowie Hexagon-Wasserstoffspeicher für 246 kg Wasserstoff [85]. Noch in diesem Jahr wird die Sea Change in der Bucht von San Francisco ihre dreimonatige Datenerfassungs- und Testphase absolvieren, bevor sie dann den vollen Fährbetrieb aufnimmt.
Im November 2021 präsentierte Rolls-Royce im Rahmen der UNO-Klimakonferenz in Glasgow ein neues Brennstoffzellensystem für Schiffsantriebe, das von MTU in Friedrichshafen entwickelt wurde [86]. Die Komplettlösungen zur Stromversorgung im Megawatt-Bereich soll ab 2025 zum Serieneinsatz kommen. Parallel entwickelt Rolls-Royce Wasserstoff- und Methanolmotoren als Alternative für den maritimen Einsatz.
Auch PowerCell aus Schweden arbeitet an Lösungen im Megawatt-Bereich, um den hohen Leistungsanforderungen im maritimen Bereich gerecht zu werden [87]. Im Mai 2021 wurde das PowerCellution Marine System 200 präsentiert. Dabei handelt es sich um ein 200 kW starkes PEMFC-Modul auf Basis des S3-Stacks, das durch Parallelisierung in den Megawatt-Bereich skaliert werden kann. Zur Anwendung sollen so Systeme mit Leistungen bis zu 3,2 MW kommen, die beispielsweise vom norwegischen Schifffahrtsunternehmen Havyard Hydrogen AS nachgefragt werden.
Und auch Ballard Power macht seine Module im großen Leistungsbereich seetauglich [87]. Gemeinsam mit Hobro aus Dänemark wurde dafür das ebenfalls 200 kW starke FCwaveTM-Modul entwickelt, das FCgen-LCS-Stacks nutzt. Das System soll unter anderem im gemeinsam mit Global Energy Ventures aus Australien geplanten Schiff C-H2 zum Einsatz kommen. Dies soll mit einer Antriebsleistung von 26 MW ausgerüstet werden und dem Transport von bis zu 2 000 t Wasserstoff dienen.
Die Nutzung von Ammoniak und Methanol zur Energiespeicherung in Schiffen wird unter anderem von der Freudenberg & Co. KG verfolgt, die für die notwendige Reformierung zu Wasserstoff das Hydrogen-Supply-Modul entwickelt, das dann mit einem nachgeschalteten PEMFC-Brennstoffzellensystem gekoppelt wird [87]. Durch die Integration einer Brennstoffzellen-Batterie-Hybridlösung soll so der gesamte Energiebedarf von großen Schiffen im zweistelligen Megawatt-Bereich gedeckt werden.
Die Proton Motor Fuel Cell GmbH erarbeitet zusammen mit verschiedenen Partnern ebenfalls Brennstoffzellensysteme, die speziell auf die Versorgung kleinerer Schiffe ausgerichtet sind [87]. So wurde im Januar 2022 die Auslieferung des PEMFC-Systems HyShip 72 mit zwei PM400-120-Stacks und einer Leistung von 142 kW an die italienischen Firma Fincantieri S.p.A. bekannt, die dieses in ihre Zeus-Modelle (Zero Emission Ultimate Ship) integrieren wird. Ebenfalls mit dem PM400 soll das Deep-Blue-Hybrid-System der Torqeedo GmbH aus Gilchingen ausgestattet werden.
Aufgrund der höheren volumetrischen Energiedichte von flüssigem Ammoniak (11,4 GJ/m3) gegenüber flüssigem Wasserstoff (8,5 GJ/m3) und der vereinfachten Lagerung an Bord, wird Ammoniak auf Basis von grünem Wasserstoff (siehe Abschnitt Industrielle Anwendung von Wasserstoff) beispielsweise in den Projekten ShipFC und Campfire als alternativer, maritimer Kraftstoff getestet [88]. Dabei setzt das ShipFC-Projekt auf eine Kombination aus thermo-katalytischer Ammoniakspaltung und einem 2-MW-SOFC-System, um das Versorgungsschiff Viking Energy anzutreiben. Eine große Herausforderung sind die Korrosivität und die reizende Wirkung von Ammoniakresten, weshalb die Wahl auf die deutlich robustere Hochtemperatur-Brennstoffzelle fiel und eine Abgasnachbehandlung erforderlich ist. Hingegen setzt das Campfire-Projekt auf den Einsatz von Verbrennungsmotoren, die mit Ammoniak betrieben werden. Aufgrund der begrenzten Entflammbarkeit sowie der langsamen Brenngeschwindigkeit, kommt hier ein Gasgemisch aus on-demand erzeugtem Wasserstoff und Ammoniak zum Einsatz. Bis Ende 2023 soll hier zunächst ein 15 kW starker Demonstrationsmotor für diese Anwendung entwickelt werden. Durch die Verbrennung des Ammoniaks mit einer geringen Beimischung von Wasserstoff sollen auch mögliche Effizienzvorteile untersucht werden, da der Energieaufwand zur Spaltung des Ammoniaks deutlich verringert wird. Jedoch befinden sich im Abgas der Motoren gewisse Restmengen des Ammoniaks sowie Stickoxide und Lachgas, weshalb auch hier eine Abgasnachbehandlung notwendig ist.
Schiene
Neben dem generellen Hochlauf der Wasserstofftechnologien und den steigenden Anstrengungen die gesetzten Klimaziele einzuhalten, hat die Europäische Kommission das Jahr 2021 zum „Europäischen Jahr der Schiene“ erklärt und Innovationen zur Klimaneutralität dieses Sektors werden so noch stärker gefördert [89]. Besonders deutlich ist dies in Deutschland zu erkennen, wo mittlerweile die größte wasserstoffbetriebene Zugflotte der Welt entsteht. Laut dem aktuellen Maßnahmenkatalog des NIP vom Dezember 2021 werden von 2022 bis 2024 insgesamt 43 solcher Nahverkehrszüge sowie drei entsprechende Wasserstofftankstellen in den Bundesländern Brandenburg, Hessen und Niedersachsen in den Betrieb gebracht [90]. Zudem besteht ein hohes Interesse an wasserstoffbetriebenen Rangierloks und Straßenbahnen, wofür entsprechende Lösungen bis 2025 entwickelt werden sollen.
So entsteht die weltweit größte zusammenhängende Flotte an Brennstoffzellenzügen im hessischen Taunus, wo bis zum Fahrplanwechsel 2022/2023 vom Rhein-Main-Verkehrsverbund 27 Züge vom Typ Coradia iLint 54 von Alstom geliefert werden sollen [91]. Der erteilte Auftrag beinhaltet dabei auch die Versorgung mit Wasserstoff und die Instandhaltung für die nächsten 25 Jahre. Die Wasserstoffbereitstellung erfolgt dabei in Kooperation mit der Infraserv GmbH & Co. Höchst KG auf dem Gelände des Industrieparks Höchst. Nach einer Pressemeldung vom 30. Juni 2022 ist die nötige Infrastruktur bereits so gut wie betriebsbereit [92]. Dazu wurden neue Gleisanlagen verlegt und die erste von vier vorgesehenen Möglichkeiten zur Betankung installiert. Zudem werden in einem neuen Gebäude ein Elektrolyseur und sechs Verdichteranlagen vorbereitet, mit denen der Wasserstoff zur Betankung auf 500 bar verdichtet wird. Nach ersten Tests im Sommer werden ab Dezember 2022 die ersten Fahrzeuge im Taunusnetz unterwegs sein. Dafür sind vier bislang teilweise nicht elektrifizierte Strecken vorgesehen (Frankfurt/Königstein, Frankfurt/Brandoberndorf, Bad Homburg/Friedberg und Frankfurt-Höchst/Bad Soden).
Bisher ist der bereits vorgestellte Coradia iLint von Alstom der einzige, zugelassene Personenzug mit Wasserstoffnutzung [35]. Nach den beiden ersten Coradia iLints im realen Betrieb soll die Flotte in Niedersachsen bis Ende 2022 auf 14 Regionalzüge erweitert werden. Um diese zu versorgen wird in Bremervörde eine Betankungsstation für die Züge mit einer Kapazität von 1 600 kg Wasserstoff pro Tag aufgebaut [93]. Zudem nahm das US-amerikanische Unternehmen Cummins nach der Übernahme von Hydrogenics im Jahr 2019 im März 2022 eine neue Brennstoffzellenfabrik in Herten in Betrieb [94]. Diese besitzt zunächst eine jährliche Kapazität von 10 MW für die Produktion von PEM-Brennstoffzellenmodulen, die im Wesentlichen in diesen Zügen eingesetzt werden sollen.
Des Weiteren präsentierten die Deutsche Bahn und Siemens Mobility im Mai 2022 in Krefeld den neu entwickelten Mireo Plus H, ein zweiteiliger Personennahverkehrszug mit einer Reichweite von bis zu 800 km, einer Antriebsleistung von 1,7 MW und einer Höchstgeschwindigkeit von bis zu 160 km/h [95]. Eine dreiteilige Variante des Zuges kann eine Reichweite von bis zu 1 000 km abdecken. Testfahrten sind für 2023 in Baden-Württemberg geplant und ab 2024 soll er regulär zwischen Tübingen, Horb und Pforzheim betrieben werden. Zudem wurde bekannt, dass Siemens bis zum Herbst 2024 sieben Mireo Plus H an die Brandenburgischer Verkehrsbetrieb liefern wird, wo sie ab Ende 2024 auf der Heidekrautbahn im Einsatz sein sollen [96].
Straßenverkehr
Nutzfahrzeuge (NFZ) emittieren etwa ein Drittel der Treibhausgase im innerdeutschen Verkehrssektor mit einem Hauptanteil bei schweren Nutzfahrzeugen (26 bis 40 t). Es scheint unstrittig, dass für diesen Bereich mit erhöhtem Energieverbrauch Wasserstofflösungen aufgrund der schnellen Betankung und hohen Reichweiten vorteilhaft sind. Daher wird erwartet, dass die Wasserstofftechnologien zuerst in diesem Bereich in den Transportsektor eingeführt werden und erst danach die Nutzung im Pkw vorangetrieben wird. Derzeit werden in der Industrie zwei mögliche Wasserstoffantriebe als Problemlösung der Emissionsproblematik von NFZ diskutiert, eine Kombination aus Brennstoffzelle mit Elektromotor und der Wasserstoffverbrennungsmotor. Die nötigen Tanksysteme und die Wasserstoffinfrastruktur sind bei beiden Technologien gleich. Die Studie „Systemvergleich zwischen Wasserstoffverbrennungsmotor und Brennstoffzelle im schweren Nutzfahrzeug“ von e-mobil-BW von Juli 2021 kommt zu dem Ergebnis, dass sich die Brennstoffzellen hier langfristig zur führenden Technologie entwickeln dürfte [97]. Jedoch wird auch eine parallele Entwicklung des Wasserstoffverbrenners empfohlen, um dem höheren Entwicklungsaufwand, den Risiken und den noch notwenigen Kostensenkungen für die Brennstoffzellenlösung Rechnung zu tragen. Jedoch wird beim Verbrenner weiterhin eine Abgasnachbehandlung benötigt, um die geforderten Grenzwerte der Luftschadstoffe einzuhalten. Vorteilhaft ist hier jedoch die vereinfachte Umrüstung bestehender NFZ-Modelle auf den neuen Kraftstoff. Ein wesentliches Argument für eine Brennstoffzellenlösung stellt der höhere Wirkungsgrad des Systems und damit die effizientere Nutzung des Wasserstoffs dar (Bild 8). Wie die Studie gezeigt hat, sind vor allem die Verluste im Verbrennungsmotor mit bis zu 62 % erheblich. Diese Verluste sind in der Brennstoffzelle mit etwa 49 % zwar erheblich geringer, was jedoch zum Teil durch zusätzliche Verluste in den elektrischen Komponenten kompensiert wird. Dennoch verringert sich der Energieverbrauch bei Nutzung der Brennstoffzellenlösung um 12 bis 31 %. Eine technische Realisierbarkeit bis 2025 erscheint für beide Lösungen machbar, wobei bis 2030 ein deutlicher Kostenvorteil bei Nutzung des Verbrennungsmotors erwartet wird. Nach 2030 werden vergleichbare Kosten für die beiden Systeme erwartet. Dennoch zeigt die Studie auch auf, dass eine Markteinführung nur mithilfe geeigneter Fördermaßnahmen, wie einer Mautbefreiung und einem Zuschuss zu den Anschaffungskosten, gelingen kann.
Natürlich muss die Markteinführung solcher Wasserstofflösungen auch durch den Hochlauf der Betankungsinfrastruktur begleitet werden. Wie und mit welcher Technologie dieser Aufbau bewerkstelligt werden kann, hat die Studie „Wasserstoffbetankung von Schwerlastfahrzeugen – die Optionen im Überblick“ von H2-Mobility betrachtet [98]. Ziel war es die Betankungstechnologie hinsichtlich der Vor- und Nachteile, der Kosten, der Sicherheit, des Platzbedarfs und der Verfügbarkeit für die neue Anwendung zu bewerten. Denn während die Betankungstechnologien für Pkw, Busse und leichte NFZ mit geringen Betankungsmengen bereits gut erprobt sind und das entsprechende Netz an Wasserstofftankstellen (Hydrogen Refueling Stations, HRS) bereits weit fortgeschritten ist, befinden sich die Technologien für die schweren NFZ mit höheren Betankungsmengen und trotzdem kurzer Betankungsdauer noch in der Entwicklung. Dabei werden Betankungszeiten von 10 bis 15 min bei aufgenommenen Wasserstoffmengen von 40 bis 100 kg angestrebt. In den letzten Jahren wurden im Wesentlichen öffentlich zugängliche HRS in der Größe S und M in urbanen Gebieten aufgebaut (Bild 9), an denen Pkw mit 700 bar und Busse mit 350 bar betankt werden konnten. Ziel der neuen Infrastruktur für NFZ ist nun die Ertüchtigung transeuropäischer Verkehrskorridore und die Versorgung wichtiger Logistik- und Verteilerzentren. Insbesondere die benötigten Wasserstoffmengen bei zeitgleicher Betankung von mehreren schweren NFZ machen den Zubau neuer oder die Nachrüstung bestehenden HRS notwendig, was je nach Platzangebot generell möglich ist. Hier liegt der Fokus nun auf dem Aufbau von HRS der Größe L bis XXL. So können in der XXL-Konfiguration mehr als 40 schwere NFZ pro Tag und bis zu acht pro Stunde abgefertigt werden. Dabei spielt auch die Anlieferung des Wasserstoffs zur HRS eine wichtige Rolle. Bei den großen benötigten Wasserstoffmengen erscheint lediglich der Antransport von flüssigem Wasserstoff in Trailern oder der Anschluss an eine Wasserstoffpipeline als sinnvoll. Bei Letzterem wird jedoch vermutlich eine Vorort-Aufbereitung nötig sein, um die benötigte Wasserstoffqualität für die Nutzung in Brennstoffzellen gewährleisten zu können.
Ebenfalls von entscheidender Bedeutung bei der Bewertung der HRS ist die Frage in welcher Form der Wasserstoff in den NFZ gelagert wird. Die Studie betrachtet hier vier Optionen der Betankung, die derzeit in der Entwicklung sind: komprimierten, gasförmigen Wasserstoff bei 15 °C und 350 beziehungsweise 700 bar (Compressed Gaseous Hydrogen, CGH2), flüssigen Wasserstoff bei – 247 °C und 16 bar (subcooled Liquid Hydrogens,LH2) und kryokomprimierten Wasserstoff bei – 219 °C und 300 bar (Cryo-compressed Hydrogen, CcH2). Aufgrund der hohen Reichweitenanforderungen erscheinen vor allem sLH2- und CcH2-Tanks zielführend mit der höchsten Speicherdichte bei CcH2 (Bild 9). Jedoch ist auch klar, dass der technologische Reifegrad bei diesen Technologien noch am niedrigsten ist und es noch verstärkter Forschungstätigkeiten bedarf um die Technologie zur Marktreife zu entwickeln. Die hohe Markreife und die reduzierten Kosten sind die wesentlichen Gründe, warum die ersten NFZ, die zeitnah auf den Straßen zu erwarten sind, auf 350-bar-CGH2 basieren werden. Die Studie kommt zu dem Schluss, dass es wichtig ist, alle vier Optionen zu erforschen und zu testen, es jedoch unwirtschaftlich wäre alle umzusetzen. Vielmehr müssen die nächsten zwei Jahre intensiv genutzt werden, um die am besten geeignete Technologie zu identifizieren und voranzutreiben. Diese kann dann in den folgenden Jahren ausgerollt werden.
Zusammenfassung und Ausblick
Das Thema Wasserstoff ist aus der heutigen energiepolitischen Diskussion nicht mehr wegzudenken. Gerade die Themen Versorgungssicherheit und Energieabhängigkeit werden voraussichtlich den Markhochlauf der benötigten Technologien zur Herstellung von grünem Wasserstoff enorm beschleunigen. In gleichem Maß muss nun auch die Infrastruktur zum Import und zur Verteilung des Wasserstoffs vorangetrieben werden. Die Entwicklung auf den Energiemärkten und die Tatsache, dass grüner Wasserstoff aufgrund der gestiegenen Erdgaspreise an Wirtschaftlichkeit gewonnen hat, wird diese Prozesse weiter antreiben und die Umsetzung der NWS zeigt erste Erfolge. Dies ist vor allem im zunehmenden Ausbau der Elektrolysekapazitäten und den steigenden Importbemühungen zu verfolgen. Hier ist in den nächsten Jahren mit einem diversen Angebot an Technologien und Anlagengrößen zu rechnen, da diese je nach Anwendung verschiedene Vorteile aufweisen. Bei der Wasserstoffanwendung steht weiterhin die industrielle Nutzung an erster Stelle, um schnelle Erfolge bei der Reduktion der CO2-Emissionen zu erreichen. Von besonderem Interesse ist hier mittlerweile auch die Produktion von Ammoniak für die Düngemittel-Herstellung, aber auch für den leichteren Transport des Energieträgers Wasserstoff. Die Anwendung im Transportsektor beschränkt sich zunehmend auf den Schwerlast-, Schiffs- und Flugverkehr, also auf Anwendungen in denen die direkte Elektrifizierung aufgrund der hohen Leistungs- und Reichweitenanforderungen nicht möglich ist. Nicht zu vernachlässigen sind auch synthetische Kraftstoffe auf Wasserstoffbasis (eFuels), die für bestimmte Anwendungen wie Langstreckenflüge derzeit alternativlos erscheinen und zudem einen schnellen Weg zur Dekarbonisierung von Bestandsflotten mit Verbrennungsmotoren darstellen können.
Hinweis: Dies ist die Langfassung des Beitrags „Energieträger der Zukunft“, erschienen in BWK 74 (2022), Ausgabe 9/10, S. 54-59.
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Dr. rer. nat. Jens Mitzel
Wissenschaftlicher Mitarbeiter Polymerorientierte Elektrochemie, Elektrochemische Energietechnik am Institut für Technische Thermodynamik des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt e. V. (DLR)
jens.mitzel@dlr.de
Prof. Dr. rer. nat. K. Andreas Friedrich
Abteilungsleiter Elektrochemische Energietechnik am Institut für Technische Thermodynamik des DLR
andreas.friedrich@dlr.de
Dr. rer. nat. Thomas Vogt
Abteilungsleiter Energiesystemanalyse am Institut für Vernetzte Energiesysteme des DLR
Dr. rer. pol. Patrick Jochem
Abteilungsleiter Energiesystemanalyse am Institut für Vernetzte Energiesysteme des DLR