Meeresenergie: Die Hebung eines Schatzes beginnt
An der Küste der Orkney-Inseln wird der weltweit größte Wellengenerator installiert. Eine Testanlage in Hawaii lief noch mit halber Kraft. Schuld waren die Wellen. Die sind im Pazifik kleiner.
Die Internationale Energie Agentur (IEA) in Paris beziffert das Potenzial der Meeresenergie auf bis zu 80 000 TWh/a. Zum Vergleich: Deutschland verbraucht pro Jahr gut 500 TWh. Dieser gewaltige umweltverträgliche Schatz ist noch weitgehend ungehoben. Lediglich Gezeitenkraftwerke gibt es bereits mit nennenswerten Leistungen. Wellen und Meeresströmungen sind noch weitgehend ungenutzt.
Berühmt und berüchtigt für mächtige Wellen
Das soll sich mit „OE35“ ändern. Dabei handelt es sich um eine Demonstrationsanlage mit einer elektrischen Leistung von 1,25 MW, die an der Küste der schottischen Orkney-Inseln errichtet wird. Diese ist für mächtige Wellen berühmt und berüchtigt. OE35 wird vom irischen Unternehmen OceanEnergy auf dem Testgelände des European Marine Energy Centre installiert.
Vorbild auf der schottischen Insel Islay
Die Technik ist die gleiche, die Limpet verwendete, ein Wellenkraftwerk, das jahrelang auf der schottischen Insel Islay Strom erzeugte. Mit einer Leistung von 250 kW war es aber gerade mal ein Fünftel so groß wie die jetzt konzipierte Anlage. Beide bestehen aus mächtigen Kammern, die im unteren Bereich zum Meer hin offen sind, sodass Wellen hineinschwappen können. Dort verdrängen sie Luft, die mit lautem Getöse durch eine Röhre schießt, in der eine Wells-Turbine rotiert. Diese hat der britische Ingenieur Alan Wells in den 1970er-Jahren in Belfast entwickelt. Sie treibt einen Generator zur Stromerzeugung an.
Strom rund um die Uhr
Wenn sich das Wasser aus der Kammer zurückzieht, kehrt Luft durch das Rohr zurück. Diese lässt die Turbine weiter rotieren – sie dreht sich, weil die Flügel entsprechend ausgerichtet sind, stets in die gleiche Richtung. Wenn der Wellengang ausreicht – in Orkney ist das fast immer der Fall – erzeugt das Kraftwerk rund um die Uhr an allen Tagen des Jahres Strom.
Gewicht von 826 Tonnen
Die OE35 ist testweise bereits an einer Küste der Hawaii-Inselgruppe installiert worden, die mit sanfteren Umweltbedingungen aufwartet als die Küsten der Orkney-Inseln. Das Kraftwerk hat beachtliche Ausmaße: Es ist 38 m breit, 18 m tief, 9,5 m hoch und wiegt stolze 826 t. Es kam vor Hawaii allerdings nur auf eine Leistung von 500 kW, weil die Wellen nicht hoch genug waren.
Gebaut wurde das Monstrum von der Schiffswerft Vigor in Portland im US-Bundesstaat Oregon. Das 12-Mio.-US-$-Projekt wurde teilweise vom Büro für Energieeffizienz und erneuerbare Energien (EERE) des US-Energieministeriums und der Sustainable Energy Authority of Ireland (SEAI) finanziert. Zuvor hatte OceanEnergy bereits mehrere Prototypen getestet, darunter eine Anlage mit einer Leistung von 40 kW.
Drei Meereskraftwerke in Betrieb
Auf den Orkney-Inseln sind bereits drei Meereskraftwerke in Betrieb, die eine Leistung von jeweils 1,5 MW haben. Diese nutzen allerdings nicht die Kraft der Wellen, sondern Unterwasserströmungen. Dazu kommt eine 2-MW-Anlage, die die Kraft der Gezeiten in Strom umwandelt. Damit sind in Schottland alle Möglichkeiten großtechnisch realisiert, die das Meer zur Stromerzeugung bietet.
Die Europäische Union forciert die Wellenenergie
Die Europäische Union will die Kommerzialisierung der Wellenenergie im Forschungsprojekt „Wedusea“ (Wave Energy Demonstration at Utility Scale to Enable Arrays) voranbringen, das mit 19,6 Mio. € ausgestattet ist. Beteiligt sind 14 Partner aus Industrie und Wissenschaft aus Irland, Frankreich, Deutschland, Spanien und – obwohl nicht mehr EU-Mitglied – Großbritannien. Koordiniert wird es von der irischen Firma OceanEnergy. Großbritannien hat in Europa die für die Nutzung der Wellenenergie am besten geeignete Küsten.
Meeresenergie gegen den Klimawandel
„Das Projekt wird zeigen, dass sich die Wellentechnologie auf einem Kostensenkungspfad befindet und somit ein Sprungbrett für die Ausweitung größerer kommerzieller Arrays und eine weitere Industrialisierung sein wird“, sagt Tony Lewis, Chief Technical Officer bei OceanEnergy. „Wir prognostizieren, dass die natürliche Energie der Weltmeere eines Tages einen Großteil des Stromnetzes versorgen wird“, so dessen höchst optimistische Einschätzung. „Wir erwarten, dass Wedusea durch Innovation, strenge Tests und Forschung einen wesentlichen Beitrag zur Bewältigung der Herausforderungen des Klimawandels und der Energiekrise leisten wird“, sekundiert Professor Lars Johanning, der die Arbeitsgruppe Offshore Renewable Energy an der University of Exeter in Großbritannien leitet.