Namibia: Wasserstoff aus der einstigen Diamanten-Hochburg
In Namibia entsteht ein gigantischer Wind- und Solarpark. Der dort produzierte Wasserstoff soll teilweise Deutschland zugutekommen. Dann wäre das Attribut „grün“, das Europa Erdgaskraftwerken verleihen will, zumindest teilweise gerechtfertigt.
Wo einst das Deutsche Reich als Kolonialmacht Diamanten abbaute, wird künftig Wasserstoff unter anderem für das heutige Deutschland produziert. Im sonnenverwöhnten Tsau-Khaeb-Nationalpark, nahe der im Südwesten des afrikanischen Staates Namibia gelegenen Hafenstadt Lüderitz, errichtet Hyphen Hydrogen Energy, eine Projektentwicklungsgesellschaft in der namibischen Hauptstadt Windhoek, gemeinsam mit dem Energieunternehmen Enertrag aus Dauerthal im Bundesland Brandenburg, für 9,4 Mrd. US-$ Wind- und Solarkraftwerke mit einer Gesamtleistung von 5 GW. Dazu kommen Elektrolyseure mit einer Leistung von 3 GW, eine Meerwasserentsalzungsanlage und eine Produktionsstätte für Ammoniak aus Stickstoff und Wasserstoff. Der kleine Hafen des Städtchens Lüderitz wird ausgebaut, sodass Wasserstoff und Ammoniak exportiert werden können. Pro Jahr werden, wenn die Anlage komplett fertig ist, 300 000 t Wasserstoff pro Jahr produziert. Dessen Energieinhalt liegt bei fast 10 Mrd. kWh. Das Projekt gehört zu den wichtigsten, die das Namibia Investment Promotion and Development Board (NIPDB) bisher angestoßen hat.
Gigantisches Wind- und Wasserstoff-Projekt
Wasserstoff aus Namibia konkurrenzlos billig
„Wir gehen davon aus, dass 1 kg Wasserstoff aus Namibia am Ende zwischen 1,50 und 2 € kosten wird“, sagte die damalige Bundesforschungsministerin Anja Karliczek im Sommer 2021, als sie und Obeth M. Kandjoze, der Generaldirektor der namibischen Planungskommission, eine Wasserstoff-Partnerschaft zwischen Deutschland und Namibia schlossen. „Das wäre ein weltweiter Spitzenwert, der zu einem gewaltigen Standortvorteil für Wasserstoff made in Namibia werden kann.“ Derzeit kostet ein 1 kg Wasserstoff an der Tankstelle, hergestellt aus Erdgas, fast 10 €. Die kostengünstige Produktion basiert auf zwei Tatsachen. Mit 3 500 Sonnenstunden pro Jahr kommt der Südwesten Namibias auf 2 500 Stunden mehr als die besten Standorte in Deutschland. Zudem bläst der Wind dort kräftig und beständig.
Klimaschutz mit Erdgas und Kernenergie
Deutschland ist dringend auf Wasserstoffimporte angewiesen, will es sein Versprechen gegenüber der Europäischen Kommission einhalten, Erdgaskraftwerke auf mittlere Sicht zumindest teilweise mit Wasserstoff zu betreiben. Erst dieses Zugeständnis macht die umstrittene Einstufung dieser Art der Stromerzeugung als „grün“ möglich – neben der tatsächlich weitgehend emissionsfreien, aber dennoch ebenso umstrittenen Kernenergie.
Platz genug für Wind- und Solarkraftwerke in Deutschland
Für Strom und synthetische Treibstoffe
Außer aus Namibia wird Deutschland auch aus Australien und Chile, möglicherweise auch aus Kasachstan, Wasserstoff beziehen. Dort sollen Wind- und Solarkraftwerke mit einer Gesamtleistung von 45 GW Strom für die Produktion von grünem Wasserstoff liefern. Er wird nicht nur in Erdgaskraftwerken benötigt, sondern auch zur Herstellung von synthetischen Treibstoffen. Diese finden Einsatz in Lkw, Schiffen und Flugzeugen, die alle nicht so leicht elektrifiziert werden können, aber dennoch emissionsfrei unterwegs sein sollen.
Produktionsbeginn in vier Jahren
2026 soll in Namibia der erste Wasserstoff produziert werden. Bis dahin sind dann 4,4 Mrd. US-$ der insgesamt 9,4 Mrd. US-$ investiert. „Das Projekt wird während der Aufbauphase mit einer Dauer von insgesamt vier Jahren fast 15 000 Arbeitsplätze schaffen und einen wesentlichen Beitrag zur regionalen Wirtschaft leisten“, so Tobias Bischof-Niemz, Bereichsleiter Neue Energielösungen bei Enertrag und Direktor der Hyphen Hydrogen Energy Ltd. „Während der Betriebsphase werden zudem 3 000 dauerhafte Arbeitsplätze geschaffen, die voraussichtlich zu 90 % von lokalen Arbeitskräften besetzt werden.“
Wasserstoffträger Ammoniak
Grünes Ammoniak lässt sich in flüssiger Form bei einem Druck von etwa 10 bar transportieren. Am Zielort angekommen könnte es als Gas verbrannt werden, um Strom und Wärme zu erzeugen, wieder in Wasser- und Stickstoff getrennt werden, um den Wasserstoff ins Erdgasnetz einzuspeisen oder direkt zu verstromen, oder zur Düngemittelproduktion genutzt werden. Heute werden pro Jahr 200 Mio. t Ammoniak zu Dünger verarbeitet. Der dazu benötigte Wasserstoff wird aus Erdgas hergestellt, belastet also die Umwelt. Mit grünem Ammoniak kann das nicht passieren.
Wasserstoff: Wertschöpfungsketten und Anwendungsfelder
Versorgung aus Belgien und den Niederlanden?
Wasserstoff lässt sich auch in flüssiger Form bei einer Temperatur von – 253 °C drucklos transportieren. Trotz bester Isolation wird allerdings immer ein Teil des Wasserstoffs während der Reise etwa von Namibia nach Europa wieder zu Gas. Das kann für den Antrieb der Schiffsmotoren genutzt werden. Am Ziel angekommen wird der flüssige Wasserstoff in ein Gas zurückgewandelt und per Pipeline verteilt. Im belgischen Zeebrügge ist bereits ein Flüssiggas-Terminal in Betrieb, allerdings für Erdgas. Es ließe sich in einigen Jahren auf Wasserstoff umrüsten. Für Deutschland wäre das ideal, denn Zeebrügge ist bereits per Pipeline mit einer Verdichterstation am Rand von Aachen verbunden.
Eine andere Möglichkeit wäre der Import aus Rotterdam, das sich zum großen Umschlagplatz für Erdgas mausern will. Am Rand der Stadt entsteht derzeit die europaweit größte Anlage zur Herstellung von jährlich 2 000 t grünen Wasserstoffs, und die Hafengesellschaft will ein Flüssigwasserstoff-Terminal errichten. Einer der Kunden soll Deutschland sein.