Radar schützt Vögel vor Kollisionen
Auf dem St. Gotthard-Pass werden die fünf Windgeneratoren automatisch gestoppt, wenn sich Vogelschwärme nähern. Ein norwegisches Konzept soll sogar einzelne Tiere schützen können.
Die Flügelenden von großen Windenergieanlagen erreichen eine Geschwindigkeit von einigen 100 km/h. Vögel und Fledermäuse haben kaum eine Chance, den rasenden Massen auszuweichen. Schätzungen zufolge sollen in Deutschland pro Jahr 100 000 Vögel, vor allem größere, durch Windkraftanlagen getötet werden. Doch die Zahl ist nicht gesichert.
Schutz für Millionen Zugvögel
Gefährdet sind die Vögel vor allem von Windparks in den Alpen. Millionen Zugvögel queren zweimal im Jahr dieses Gebirge, oft in riesigen Schwärmen. Der Parco eolico del San Gottardo SA auf dem Gotthardpass in mehr als 2 000 m Höhe mit fünf Generatoren, die eine Gesamtleistung von 11,75 MW haben, sind für die Tiere jedoch kaum eine Gefahr. Seit der Inbetriebnahme im Jahr 2020 ist die Anlage, die der Tessiner Energieversorger Azienda Elettrica Ticinese (AET) aus Bellinzona betreibt, radarüberwacht.
Ebenfalls interessant: Wasserstoff speichern – Neuer Katalysator beschleunigt die Freisetzung
654 Stunden Pause zugunsten von Vögeln
Die Antikollisionsradare, die in der Baugenehmigung als Teil der Ausgleichsmaßnahmen für den Windpark aufgeführt waren, erkennt Zugvogelschwärme, die den Gotthardpass überqueren wollen. Bevor sie dem Windpark bedrohlich nahekommen werden die Anlagen gestoppt, sodass die Tiere schadlos durchkommen. 2023 betrug die Ausfallzeit des Windparks aufgrund von Radareingriffen 654 h. Die Wirksamkeit der Maßnahme überwacht der Biologe Federico Tettamanti vom Studio Alpino, das sich dem Umweltmonitoring verschrieben hat. Im Herbst will er seine Ergebnisse vorstellen.
Patrouillen suchen nach toten Vögeln
Die Überwachung findet während der Vogelflugperioden statt: zwischen März und Juni sowie zwischen August und November. In diesen Zeiträumen sind regelmäßig Patrouillen unterwegs, um eventuelle Überreste von Vögeln am Fuß der fünf Windenergieanlagen zu finden. Die Suche wird von spezialisiertem Personal durchgeführt, auch mithilfe von Hunden, die für diesen Zweck ausgebildet wurden. Die Ergebnisse jeder Patrouille werden auf der Grundlage eines statistischen Modells verarbeitet, das es ermöglicht, die Kollisionsrate unter Berücksichtigung der Effizienz der Suche und des Prozentsatzes des Verschwindens von Vogelresten durch Raubtiere zu bestimmen. Die bisher verfügbaren Daten beziehen sich auf fünf Migrationsperioden zwischen Herbst 2021 und Herbst 2023, was insgesamt 73 Patrouillen entspricht. Die vorläufigen Ergebnisse der Untersuchung belegen die Wirksamkeit des Radareinsatzes zum Schutz der Vogelwelt.
„Skarv“ kann sogar einzelne Vögel schützen
Ein Konzept namens Skarv, ersonnen von Ingenieurinnen und Ingenieuren des norwegischen Forschungszentrums Sintef in Trondheim, ist nicht nur wirksam, wenn sich ganze Vogel- und Fledermausschwärme nähern. Es schützt auch einzelne Tiere deren Flugbahn vorausberechnet wird. Daraufhin wird die Rotorgeschwindigkeit so angepasst, dass es keine Kollision gibt.
Lesen Sie auch: Windkraftanlagen bremsen auch für Vögel
80 Prozent weniger Kollisionen
Skarv ist sowohl für neue Windparks als auch zur Nachrüstung bestehender Anlagen geeignet. Bisher wird das System noch nicht eingesetzt. „Wir bemühen uns jetzt um eine Demonstration von Skarv in der Praxis“, so Paula B. Garcia Rosa, wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Sintef auf dem Gebiet der umweltfreundlichen Energie. Sie schätzt aufgrund von Computersimulationen, dass Skarv die Zahl der Kollisionen um 80 % reduzieren kann.
Schwarzer Anstrich hilft ein wenig
Andere Maßnahmen gegen das Vogelsterben durch Windenergieanlagen sind eher dem Low-tech-Bereich zuzuordnen. Auf der Insel Smøla nördlich von Kristiansund sind einige Flügel in einem der größten Windparks des Landes teilweise schwarz gestrichen worden. Der Schwarz-Weiß-Kontrast ist für Vögel auffälliger. In der Folge beobachtete man einen Rückgang der tödlichen Kollisionen von Seeadlern mit Rotoren um 70 %. Das Konzept ist im vergangenen Jahr auf den niederländischen Windpark Westereems an der Emsmündung übertragen worden.