Sorgen um die Sicherstellung der Energieversorgung
Die Dekarbonisierung des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) ist herausfordernd für Städte und Gemeinden. Zwar ist der Übergang zu emissionsfreien Antrieben, sei es durch Elektrifizierung oder Wasserstoff, im Grunde bereits beschlossene Sache, doch die Umsetzung bleibt komplex. Eine neue Studie im Auftrag des Spezialmaschinenbauunternehmens IMI zeigt nun, dass mehr als 90 % der Entscheidungsträger im öffentlichen Verkehr Bedenken haben, ob die Kapazität der Stromnetzinfrastruktur dem erhöhten Leistungsbedarf durch Batterieantriebe oder Elektrolyseure gewachsen ist.

Wasserstoff im deutschen ÖPNV steht vor großen Herausforderungen, zeigt eine Studie.
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Im Rahmen der IMI-Untersuchung wurden 300 Expertinnen und Experten befragt. Dabei ging es um die Einführung von Wasserstoff als alternative Energiequelle im öffentlichen Verkehr. Insbesondere Deutschland, Italien und Großbritannien stehen dabei im Fokus, da diese Länder bereits umfassende Strategien zur Reduzierung der Emissionen im Verkehrssektor entwickelt haben. Der Bericht zeigt, dass Deutschland trotz erheblicher Investitionen in Wasserstofffahrzeuge und Betankungsstationen noch immer mit infrastrukturellen Herausforderungen kämpft. So gaben 77 % der deutschen Befragten an, bereits in Wasserstofftechnologie investiert zu haben oder dies innerhalb der nächsten zwei Jahre zu planen. Gleichzeitig bestätigt jedoch nur ein Bruchteil von 27 %, dass eine dauerhafte Wasserstoff-Infrastruktur verfügbar ist. Diese Diskrepanz verdeutlicht, dass die Einführung von Wasserstoff als nachhaltige Kraftstofflösung im öffentlichen Verkehr in Deutschland noch immer von Unsicherheiten begleitet wird.
Laut Dr. Cornelia Neumann, Sales and Business Development Manager für Wasserstoff bei IMI, bietet der öffentliche Verkehr großes Potenzial für die Umstellung auf Wasserstoff. Während energieintensive Industrien von groß angelegten Dekarbonisierungsprojekten wie dem Hydrogen Core Network (HCN) profitieren, müssen sich Betreiber öffentlicher Verkehrsflotten eigenständige Lösungen suchen. Dies macht Investitionen in alternative Betankungstechnologien und dezentrale Wasserstoffproduktion umso relevanter. Eine der vielversprechendsten Lösungen ist die Vor-Ort-Produktion mittels Elektrolyse. Anstatt auf eine flächendeckende Infrastruktur zu warten, könnten Transportunternehmen Wasserstoff direkt vor Ort erzeugen und damit ihre Fahrzeuge flexibel und unabhängig von externen Versorgungsnetzen betreiben.
Mehr Zweifler in Deutschland als in UK und Italien
Die Studie zeigt auch deutliche Unterschiede zwischen den befragten Ländern hinsichtlich ihrer Zuversicht, ausreichend saubere Energie für ihre Flotten bereitstellen zu können. Während lediglich 12 % der Befragten in Italien und 8 % im Vereinigten Königreich an der Sicherstellung der Energieversorgung zweifeln, sind es in Deutschland ganze 35 %. Das verdeutlicht die Herausforderungen, mit denen deutsche Verkehrsunternehmen konfrontiert sind: einerseits ambitionierte Klimaziele, andererseits eine Netzinfrastruktur, die diesen Anforderungen noch nicht gewachsen ist. Angesichts dieser Unsicherheiten ist die dezentrale Elektrolyse eine vielversprechende Option, um bestehende Defizite zu überbrücken.
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Ein weiteres entscheidendes Kriterium für die Einführung von Wasserstoffflotten ist die Kapitalrendite. Nachhaltigkeit allein reicht nicht aus, um Investitionen zu rechtfertigen – Unternehmen müssen auch wirtschaftliche Vorteile erkennen. Besonders im öffentlichen Verkehrssektor, der auf staatliche Fördermittel angewiesen ist, wird die Rentabilität von Wasserstofflösungen zunehmend diskutiert. Die hohen Vorlaufzeiten für den Bau von Wasserstofftankstellen und Produktionsanlagen stellen eine zusätzliche Herausforderung dar. Dies zeigt sich auch in der Untersuchung: 81 % der befragten Experten betonten, dass technisches Wissen eine zentrale Rolle bei der Beschaffung neuer Fahrzeuge spielt. Fehlendes Know-how kann zu Fehlinvestitionen führen oder den Prozess der Umstellung erheblich verlangsamen.
Trotz dieser Herausforderungen eröffnen sich Chancen für Unternehmen, die mit Entwicklern kleinerer Elektrolyseure zusammenarbeiten. Diese Technologie ermöglicht es Transportunternehmen, die Wirtschaftlichkeit und Praxistauglichkeit von Wasserstoffflotten in kleinem Maßstab zu testen, bevor großflächige Investitionen getätigt werden. Durch solche Pilotprojekte könnten bestehende Vorbehalte abgebaut und die Akzeptanz von Wasserstoff als alternative Kraftstofflösung im öffentlichen Verkehr gesteigert werden.
Die Ergebnisse der Studie wurden im Bericht „The Road Ahead“ veröffentlicht, der sich mit der Rolle der Dezentralisierung für die Markteinführung von Wasserstoff im Verkehrssektor befasst. Neben einer Analyse der wichtigsten Herausforderungen und Chancen beschreibt der Bericht auch die potenziellen Auswirkungen der Vor-Ort-Elektrolyse auf den Einsatz von Wasserstoff als Kraftstoff. Dabei wird insbesondere auf die Belastung europäischer Stromnetze eingegangen, die eine zentrale Hürde für die flächendeckende Einführung wasserstoffbetriebener Fahrzeuge darstellt.
Verfügbarkeit von Wasserstoff ist der Schlüsselfaktor
Die Diskussion über die Zukunft des öffentlichen Verkehrs und die Rolle von Wasserstoff wird zunehmend von regulatorischen Rahmenbedingungen und staatlichen Förderprogrammen beeinflusst. Die Europäische Kommission hat bereits 3 Mrd. € an staatlichen Beihilfen für den Aufbau eines Wasserstoffkernnetzes genehmigt, das als Rückgrat für die Wasserstoffwirtschaft dienen soll. Deutschland hat sich in diesem Kontext ambitionierte Ziele gesetzt, muss jedoch Lösungen für die bestehenden infrastrukturellen Defizite finden. Die Einführung dezentraler Elektrolyse könnte hier eine Schlüsselrolle spielen, indem sie kurzfristige Versorgungsengpässe überbrückt und den Weg für eine breitere Nutzung von Wasserstoff im öffentlichen Verkehr ebnet.
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Die vollständige Studie und weitere Einblicke in die Rolle der Dezentralisierung für den Wasserstoffmarkt sind über IMI verfügbar. Der Report „The Road Ahead“ liefert eine Analyse der aktuellen Herausforderungen und bietet Handlungsempfehlungen für Unternehmen und politische Entscheidungsträger, die den Wandel zu einer emissionsfreien Mobilität aktiv mitgestalten wollen.