Strom, Gemüse und Beeren vom gleichen Acker
In einer Zeit, in der durch den Krieg Russlands gegen die Ukraine Anbauflächen und damit Lebensmittel rar werden, können Äcker nicht mehr zugunsten von Solarkraftwerken umgewidmet werden. Die Lösung: Beides verträgt sich auf der gleichen Fläche.
Der Preis für Sonnenblumenöl hat sich im Supermarkt fast verdreifacht, seitdem die Hauptlieferanten Ukraine und Russland ausgefallen sind. Nicht ganz so schlimm, aber immer noch deftig teurer geworden sind auch viele andere Produkte. Jetzt noch Agrarland weggeben, um Solarstrom zu erzeugen? Das ist offensichtlich nicht angesagt. Dabei gibt es eine Lösung: Agri-Photovoltaik (PV). Auf landwirtschaftlichen Flächen werden Solarmodule so montiert, dass landwirtschaftliche Maschinen zwischen und unter ihnen durchfahren können. Auf dem Boden werden Gemüse, Obst und sogar Weizen und Raps angebaut. Die Ernte und die Stromerzeugung fallen zwar geringer aus als bei einer einseitigen Nutzung. Doch addiert ist der Nutzen größer.
Kraftwerke lernen das Schwimmen
Agri-PV ist noch ein Exot
Vor gut einem Jahr, als ich an dieser Stelle Agri-PV erstmals vorstellte, war diese Form der landwirtschaftlich-energetischen Mischnutzung noch eher exotisch, vor allem in Deutschland, auch wenn es einige Versuchsfelder gab. Heute ist Agri-PV in Deutschland immer noch ein Exot, obwohl das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE vorrechnet, dass mit dieser Kombitechnik allein in Deutschland 50 GW Solarenergie installiert werden könnten, ohne den Ertrag der heutigen Äcker zu schmälern, im Gegenteil: Es könnte mehr produziert werden, wenn landwirtschaftlich nutzbare Flächen neu erschlossen würden.
Die weltgrößte Anlage steht in China
Im Ausland sieht es ganz anders aus. Weltweit waren nach Fraunhofer-ISE-Schätzungen Agri-PV-Anlagen mit einer Leistung von insgesamt 14 GW in Betrieb, darunter eine chinesische 700-MW-Großanlage über einer Beerenplantage am Rande der Wüste Gobi. Das deutsche Unternehmen BayWa r.e. (r.e. steht für renewable energy) betreibt in Deutschland und vor allem in den Niederlanden Anlagen mit Himbeer- und Johannisbeer-Kulturen, Spalierobst sowie Testfarmen mit Erd-, Blau- und Brombeeren. „Der wirtschaftliche Betrieb von Agri-PV-Anlagen ist in den meisten Ländern noch eine Herausforderung“, sagt sagt Max Trommsdorff, Spezialist für Agri-PV beim Fraunhofer ISE. „So lange eine doppelte Nutzung landwirtschaftlicher Flächen rechtlich nicht klar geregelt ist, kann Agri-PV im Wettbewerb mit herkömmlichen Freiflächenanlagen kaum mithalten, auch aufgrund der Mehrkosten für die Aufständerung. Allerdings sehen wir hier viel Bewegung – auch in der Schweiz.“
Boom bei schwimmenden Solarkraftwerken
Die Schweiz entdeckt Agri-PV
In der Schweiz ist der Bau von PV-Freiflächenanlagen auf der grünen Wiese bisher nicht erlaubt. Das relativ kleine Land benötigt die wenigen landwirtschaftlich nutzbaren Flächen zum Anbau von Nahrungsmitteln und als Futterlieferant für Milchkühe. Da bietet sich eine Mischnutzung an. Tatsächlich wächst in der Schweiz das Interesse an einer Landwirtschaft, die neben Obst und Gemüse auch Solarstrom erntet. Am Versuchsstandort Conthey im Wallis, betrieben vom bundeseigenen Forschungsinstitut Agroscope, baute das Energieunternehmen Romande Energie Mitte 2021 eine 165 m2 große Pilotanlage. Dort sind Erdbeer- und Himbeerpflanzen mit Modulen des Westschweizer Start-ups Insolight überdacht und geschützt. Folientunnel, die die Früchte beim konventionellen Anbau vor den Unbillen der Witterung schützen, sind dort nicht mehr nötig.
Die erste Ernte war erfolgversprechend
Nach Auskunft von Bastien Christ, Leiter der Forschungsgruppe Beeren und Medizinalpflanzen bei Agroscope, sind die ersten Ergebnisse beim Anbau von Himbeeren im Herbst 2021 ermutigend ausgefallen: „Die Qualität der Früchte und ihre Größe waren ausgezeichnet. Ob beziehungsweise in welchem Maß die Früchte von der Schattierung durch die PV-Module profitieren, werden wir voraussichtlich Ende 2022 wissen, wenn die Ergebnisse des ersten Versuchsjahres vorliegen.“ Der Solarertrag der Anlage wird laut Schätzung der Projektverantwortlichen bei 110 kW/m2 und Jahr liegen, 25 % weniger als bei einer reinen Solaranlage.
Potenzial von bis zu 18 Terawattstunden
Mit dem Potenzial der Agri-PV befassen sich auch Forschende der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW). Nach einer ersten Schätzung hat Agri-PV in der Schweiz ein Potenzial von 10 bis 18 TWh/a. Dabei nahmen die Forschenden an, dass in den Talzonen 20 % der Spezialkulturen-Flächen, 5 % der offenen Ackerflächen und 3 % des Weide- und Grünlands für Agri-PV genutzt werden. Zum Vergleich: 2021 verbrauchte die Schweiz rund 58 TWh. Gleichzeitig sank die inländische Stromproduktion um 8,2 % oder 5,7 TWh. Grund genug, der Agri-PV höchste Aufmerksamkeit zu schenken.