Wasserstoff aus Meerwasser: Neue Technologien nicht besser als Bewährtes?
Es klingt nach einem guten Plan: Neuartige Elektrolyseure sollen aus ungereinigtem Meerwasser mit Strom aus Sonne oder Wind direkt Wasserstoff erzeugen. Jetzt warnen Forschende vor einem Hype.
Die Nutzung von Wasserstoff als nachhaltige Energiequelle ist ein zentraler Bestandteil der globalen Bemühungen zur Dekarbonisierung. Immer wieder werden neue Techniken entwickelt, wie das einfacher und vor alles umweltverträglicher funktionieren kann. Derzeit wird die Möglichkeit, direkt aus ungereinigtem Meerwasser Wasserstoff zu erzeugen, vielfach diskutiert und scheint eine ideale Lösung darzustellen. Speziell entwickelte Elektrolyseure, sogenannte Direct Seawater Electrolyzers (DSE), sollen das Ganze ermöglichen. Dazu zählt beispielsweise das von Forschenden am MIT beschriebene Verfahren, bei dem Aluminium aus Recyclingbeständen und Koffein verwendet wird.
Bei näherer Betrachtung zeigen sich jedoch erhebliche technische und wirtschaftliche Herausforderungen, die diesen Ansatz infrage stellen. In einem kürzlich im Fachjournal Joule veröffentlichten Online-Kommentar [1] vergleichen internationale Expertinnen und Experten, unter anderem vom Helmholtz-Zentrum Berlin für Materialien und Energie (HZB), die Kosten und den Nutzen der verschiedenen Ansätze zur Wasserstoffproduktion aus Meerwasser und geben eine klare Empfehlung ab.
Bestehende Verfahren zur Wasserstoffgewinnung sind bereits effizient und kostengünstig
Süßwasser ist eine knappe Ressource, da über 96 % des Wassers auf der Erde aus den Ozeanen stammen. Die Idee, das reichlich vorhandene Meerwasser direkt für die Wasserstoffproduktion zu nutzen, ist daher verlockend. Besonders attraktiv erscheint diese Möglichkeit, wenn man erneuerbare Energien wie Sonne und Wind zur Wasserstoffelektrolyse verwendet. Jährlich fließen hunderte Millionen an Forschungsgeldern in die Entwicklung von DSE-Elektrolyseuren, und die Anzahl der wissenschaftlichen Publikationen zu diesem Thema wächst exponentiell. Allein im Jahr 2023 erschienen nach Angaben des HZB über 500 neue Arbeiten.
Stromverbrauch: Anteil der Erneuerbaren bei fast 60 Prozent
Eine technisch-ökonomische Analyse zeigt jedoch, dass der vermeintliche Vorteil dieser Technologie bei genauerem Hinsehen schwindet. „Es gibt keinen überzeugenden Grund, diese Technologie neu zu entwickeln, weil es bereits effiziente Lösungen gibt, mit denen sich Meerwasser für die Produktion von Wasserstoff nutzen lässt“, erklärt Dr. Jan Niklas Hausmann, Elektrolyse-Forscher am HZB und Erstautor des Joule-Kommentars [1]. Internationale Expertinnen und Experten aus renommierten Forschungseinrichtungen wie der Yale University und Universitäten in Kanada, Deutschland sowie dem HZB unterstützen diese Ansicht.
Wasserstoff: Importstrategie der Bundesregierung – zu kurz gesprungen?
Bereits heute ist es möglich, Meerwasser mit bewährten Verfahren wie der Umkehrosmose aufzubereiten, um es in konventionellen Elektrolyseuren zu verwenden. Aus thermodynamischer Sicht benötigt die Reinigung von Meerwasser lediglich 0,03 % der Energie, die für dessen Elektrolyse erforderlich ist. Diese Tatsache spiegelt sich auch in den Kosten wider: Die Aufbereitung von Meerwasser für die Herstellung von 1 kg Wasserstoff kostet weniger als 0,02 €, während 1 kg Wasserstoff an deutschen Tankstellen 13,85 € kostet.
Die Umkehrosmose ist eine wichtige und zugleich umweltfreundliche Methode der Meerwasseraufbereitung für die Elektrolyse. Im Gegensatz zur natürlichen Osmose wird bei der Umkehrosmose das Rohwasser mit hohem Druck durch eine spezielle, halbdurchlässige Membran geleitet, die fast ausschließlich Wassermoleküle hindurch lässt. Nach dem Durchtritt durch die Membran wird das Wasser nahezu frei von Kalk, Schwermetallen, Partikeln, gelösten organischen Stoffen und anderen Verunreinigungen. Lediglich ein minimaler Restgehalt an Salz von 1 bis 5 % bleibt enthalten. Auf der anderen Seite der Membran verbleibt das sogenannte Konzentrat. Um den Salzgehalt im Wasser weiter zu reduzieren, werden auch zweistufige Systeme eingesetzt. Das so gewonnene Wasser kann dann im Elektrolyseprozess eingesetzt werden, da auch die erforderliche Leitfähigkeit unter 2 µS/cm (Mikrosiemens pro Zentimeter) erreicht wird.
Technologische Herausforderungen der DSE-Elektrolyseure
Die Entwicklung von DSE-Elektrolyseuren, die stabil direkt ohne vorherige Wasseraufbereitung mit Meerwasser arbeiten können, ist äußerst anspruchsvoll. Meerwasser enthält zahlreiche organische und anorganische Substanzen, die Korrosion und Fäulnisprozesse verursachen können. Diese Substanzen greifen alle Teile des Elektrolyseurs an und stellen erhebliche Herausforderungen dar. Die Forschenden warnen in ihrem Beitrag in der Joule [1], dass die Beantwortung dieser komplexen Fragen viele Ressourcen verschlingen könnte, ohne dass ein signifikanter Nutzen zu erwarten ist. Hausmann vergleicht diesen Ansatz mit der direkten Nutzung von Rohöl: „Es ist vermutlich möglich, Autos zu entwickeln, die mit Rohöl betankt werden können, sie werden aber nie die Zuverlässigkeit und Effizienz von Benzinern haben. Somit wurden sie nie kommerzialisiert. Und das, obwohl die Kosten für die Reinigung von Rohöl bis zu 16 % des Endpreises des Kraftstoffs betragen, also dramatisch höher sind als die relativen Kosten für die Aufbereitung von Meerwasser in der Elektrolyse (< 1 %).“
Forschungsgelder für Wasserstoffelektrolyse effizient einsetzen
Die Forschenden betonen, dass akademische Forschung nicht zwangsläufig zu unmittelbaren Lösungen führen muss. Doch wenn DSE als schnelle Lösung dargestellt wird, bindet dies Ressourcen und Kapazitäten, die anderweitig für die Entwicklung von Schlüsseltechnologien zur Dekarbonisierung fehlen könnten. „Wenn wir bis 2050 einen Netto-Kohlenstoffausstoß von Null erreichen wollen, müssen die Finanzierungsmittel auf Entwicklungen ausgerichtet werden, die rasch dazu beitragen können, auch im Bereich der Elektrolyseforschung“, sagt Dr. Prashanth Menezes, Experte für Katalyseforschung am HZB.
Die techno-ökonomische Analyse der Forschenden des Helmholtz-Zentrums Berlin kommt zu dem Schluss, dass die enormen Mittel, die in die Entwicklung von DSE-Elektrolyseuren fließen, besser investiert wären, wenn sie in die Weiterentwicklung konventioneller Elektrolyseure gesteckt würden. Diese können bereits mit hochreinem Wasser arbeiten, und der Wasserreinigungsprozess verursacht nur minimale Kosten. Somit erscheint es sinnvoller, auf bewährte Technologien zu setzen und die vorhandenen Ressourcen effizient zu nutzen, um die Ziele der Dekarbonisierung zu erreichen.
- Hausmann, N. J. et al.: Hyping direct seawater electrolysis hinders electrolyzer development. Online-Kommentar, Joule, 2024, https://doi.org/10.1016/j.joule.2024.07.005.