„Wir treiben unsere Transformation aktiv voran“
Uwe Reinecke, Direktor von Feralpi Stahl, äußert sich im Interview zur Bedeutung von grünem Wasserstoff, den Herausforderungen des Transformationsprozesses, der Wasserstoffallianz im Industriebogen Meißen und den Chancen der deutsch-italienischen Kooperation.
Herr Reinecke, welche Bedeutung hat grüner Wasserstoff für eine klimaneutrale Stahlindustrie?
Uwe Reinecke: Grüner Wasserstoff wird ein Schlüssel zum Gelingen der Dekarbonisierung der Stahlindustrie sein. Über Erfolg oder Misserfolg dieser Transformation werden der Zugang zu bezahlbarem, grünem Wasserstoff sowie die Geschwindigkeit, mit der sich die Prozesse in der Stahlproduktion umstellen lassen, entscheiden. Feralpi Stahl in Riesa ist ein Stahlwerk der Sekundärroute – der Stahl wird in einem Kreislauf zu nahezu 100 % aus Schrott hergestellt, ein Elektrolichtbogenofen schmilzt diesen wertvollen Rohstoff ein. Im Vergleich zur Primärroute mit Hochöfen liegt der CO2-Ausstoß der Sekundärroute mit rund 500 kg pro produzierter Tonne Stahl bei nur einem Drittel. Damit ist die Elektrostahlerzeugung a priori sehr viel emissionsärmer und bietet großes Transformationspotenzial. Grüner Wasserstoff bietet dort Potenzial, wo derzeit in der Stahlproduktion noch fossiles Gas eingesetzt wird.
Wo liegen die Herausforderungen des Transformationsprozesses?
Neben neuen Anforderungen an Brenner- und Anlagentechnik ist die Förderung der investitionsintensiven Vorhaben durch die Politik eine der Kernherausforderungen für das Gelingen der Transformation. Im Vergleich zur Primärroute, die sowohl von Bund- als auch Länderebene Förderungen in Millionenhöhe erhält, gehen die Elektrostahlwerke in Deutschland zu einem Großteil leer aus. Das bedeutet, dass Investitionsvorhaben, derzeit im Fall von Feralpi Stahl in Riesa im Wert von mehr als 220 Mio. €, überwiegend vom Unternehmen selbst getragen werden müssen. Das trifft auch auf das für die nächsten Jahre geplante weitere Investitionsprogramm zur Dekarbonisierung zu.
Außerdem sind wir darauf angewiesen, dass sowohl für Wasserstoff als auch für Strom eine leistungsfähige Infrastruktur geschaffen wird. So ist zwar eine neue Wasserstoff-Pipeline geplant, die jedoch nach aktuellen Planungen über etwa 48 km in ein neues lokales Leitungsnetz im Industriebogen Meißen geführt werden muss. Hierzu sind wir gerade mit der Landesregierung im Gespräch.
Von zentraler Bedeutung im Transformationsprozess ist auch die Ausgestaltung der Übergangsphase, in der grüner Wasserstoff noch nicht in ausreichender Menge verfügbar sein wird. Hier benötigen wir wettbewerbsfähige Bedingungen, etwa in Hinblick auf die übergangsweise Nutzung von „buntem“ Wasserstoff, der aus nicht-erneuerbaren Energien gewonnen wird, und auf die zugehörigen Kostenstrukturen.
In welchem Umfang nutzt Feralpi Stahl schon grünen Wasserstoff?
Wir treiben unsere Transformation aktiv voran und analysieren derzeit gruppenübergreifend unsere gesamten Prozesse und Anlagen, um gemeinsam mit Instituten und Sachverständigen einen realistischen Fahrplan zur Dekarbonisierung aufzustellen. Ein wichtiger Pfeiler unserer Strategie wird es sein, in den nächsten Jahren den Einsatz von grünem Wasserstoff an unserem Produktionsstandort in Riesa zu testen, etwa für die Pfannenfeuer im Stahlwerk und für unseren großen Hubherdofen im Walzwerk. So könnten wir die massiven Einsparpotenziale in Bezug auf unsere CO2-Emissionen erreichen. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass wir bei den Herausforderungen, mit denen wir aktuell konfrontiert sind, die notwendige Unterstützung und finanzielle Förderung durch die Politik erhalten. Bereits im ersten Quartal 2024 starten wir in Riesa mit einem ersten Versuch mit flüssigem Wasserstoff.
Grüner Wasserstoff stand jüngst auch im Fokus des German-Italian Energy Forums in Frankfurt. Welche konkreten Projekte werden hierfür im Rahmen der deutsch-italienischen Kooperation vorangetrieben?
Bei der Feralpi-Gruppe profitieren wir stark von unserer nun schon seit 30 Jahren etablierten länderübergreifenden Kooperation in Bezug auf die Weiterentwicklung unserer Technologien sowie bei gemeinsamen Investitionen und Projekten. Das wurde auch kürzlich beim German-Italian Energy Forum in Frankfurt deutlich.
Italien und Deutschland befinden sich in einer ähnlichen Ausgangssituation. Beide Länder sind äußerst industriestark und zeichnen sich durch einen hohen Energiekonsum aus, sind aber selbst rohstoffarm und daher derzeit noch abhängig von Lieferanten fossiler Energieträger. Das soll und muss sich aber mittelfristig ändern. Hier sind grüner Wasserstoff und erneuerbare Energien wichtige Bausteine, mit deren Hilfe ein nachhaltiges Energiesystem aufgebaut werden soll.
Deutschland und Italien sind für eine Zusammenarbeit prädestiniert. Italien verfügt durch seine geografische Lage über viel Sonne und Wasser und bringt so beste Voraussetzungen für die Produktion von grünem Wasserstoff mit. Dank des nationalen Aufbau- und Resilienzplans (Piano Nazionale di Ripresa e Resilienza, PNRR) werden im Land aktuell zudem hohe Investitionen im Bereich Wasserstoff getätigt. Deutschland als „klassisches Windland“ legt seinen Schwerpunkt beim Ausbau der erneuerbaren Energien auf Wind und Photovoltaik. Von besonderer Bedeutung wird die Speicherung und Infrastruktur der erneuerbaren Energien sein.
Bisher wurden schon 62 Großprojekte mit einem Gesamtvolumen von über 8 Mrd. € an Bundes- und Landesmitteln auf den Weg gebracht. Nun müssen grenzübergreifende Unternehmens- und Forschungskooperationen für einen europäischen Wasserstoffmarkt gemeinsam vorangetrieben werden. Hierfür bot das German-Italian Energy Forum die perfekte Plattform.
Feralpi Stahl engagiert sich auch in der Energie- und Wasserstoffallianz im Industriebogen Meißen. Wie weit ist diese Initiative schon gediehen?
Gemeinsam mit anderen großen Industrieunternehmen, unter anderem Wacker Chemie in Nünchritz, haben wir Anfang 2022 die Energie- und Wasserstoffallianz im Industriebogen Meißen gegründet, da der Zugang zu grünem Wasserstoff für uns alle eine große Herausforderung ist. Die Allianz vertritt neun Unternehmen mit mehr als 4 900 direkten Arbeitsplätzen sowie einem geplanten Investitionsvolumen von mehr als 685 Mio. € in den nächsten fünf Jahren.
Indem wir unsere Kräfte bündeln, wollen wir die Bedeutung des Landkreises als Wirtschaftsmotor hervorheben und auf einen Anschluss an das Wasserstoffnetz drängen, sodass eine schrittweise Substitution von Gas durch grünen Wasserstoff möglich wird. Unerlässlich ist außerdem das Gewinnen von Strom aus erneuerbaren Energien als weiterer wichtiger Baustein der Dekarbonisierung. Dazu benötigen wir einen zügigen Ausbau der erneuerbaren Energien und eine leistungsstarke Infrastruktur für den grünen Strom. Hierin sehen wir einen zentralen Hebel, denn der Landkreis Meißen hat aufgrund der großen Anzahl dort ansässiger Industrieunternehmen einen deutlich höheren Stromverbrauch als andere sächsische Landkreise und bietet damit besonders viel Transformationspotenzial.
Weiterhin setzen wir uns dafür ein, dass ausreichend Fördermittel bereitgestellt werden, um die technische Einsatzfähigkeit von Wasserstoff zu untersuchen und Projektskizzen für eine wasserstoffbasierte Grundlastfähigkeit voranzutreiben. Nicht zuletzt müssen auch die Genehmigungsverfahren in Sachsen modernisiert und beschleunigt werden. Auf Basis eines optimalen Zusammenspiels all dieser Faktoren können wir die Wettbewerbsfähigkeit der Region Meißen, der dort ansässigen Unternehmen und damit auch die Industriearbeitsplätze zukünftig sichern.
Herr Reinecke, vielen Dank für das Gespräch.
Uwe Reinecke ist Direktor bei Feralpi Stahl. Foto: Feralpi Stahl