Zielmarke klimaneutrales Stromsystem
Mit einer Plattform Klimaneutrales Stromsystem soll der Strommarkt für eine erneuerbare Zukunft fit gemacht werden. Nun war Auftakt in Berlin.
Mit einem Anteil von knapp 50 % am Bruttostrombedarf sichern die Erneuerbaren Energien schon heute in relevantem Umfang die Stromversorgung in Deutschland. 2030 sollen es gemäß den Zielen der Bundesregierung 80 % sein und schon weniger Jahre später 100 %. Spätestens 2024 werden Erneuerbare den gesamten Bedarf in allen Sektoren decken.
Damit diese Transformation effizient, sicher und schnell gelingt, muss auch das Strommarktdesign weiterentwickelt werden. Denn es stammt noch aus einer alten Energiewelt, die vor allem durch wenige zentrale – fossile und atomare – Großkraftwerke bestimmt war. Entsprechend werden mit einem zunehmenden Anteil eines vornehmlich dezentralen Anlagenparks von erneuerbaren Energien die Schwächen des Systems deutlich.
Sie reichen von negativen Börsenstrompreisen, über das Abschalten statt Nutzen des wertvollen Grünstroms bis hin zu fehlenden Anreizen zur Nutzung von Flexibilitätsoptionen. Hinzu kommt, dass der Stromverbrauch massiv ansteigen wird, da die Dekarbonisierung in anderen Sektoren ebenfalls mit grünem Strom erfolgen wird, wie beispielsweise Wärmepumpen und Elektroautos. Dafür ist ein ganz neues, flexibles und interagierendes Stromsystem nötig.
„Software für das Strommarktsystem der Zukunft“
Wie dies aussehen kann möchte die Plattform Klimaneutrales Stromsystem (PKNS) erarbeiten, welche im Koalitionsvertrag der Regierungsparteien beschlossen wurde. Eingebunden sind Akteure aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft. Am Montag (20. Februar) war offizieller Auftakt mit zahlreichen Branchenvertretern im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) in Berlin. Es gehe darum „die Software für das Strommarktsystem der Zukunft zu entwickeln“, betonte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck.
Jede Lösung müsse jedoch auch europäisch gedacht werden. Er zeigte sich zugleich zuversichtlich, dass bereits in diesem Sommer erste Ergebnisse vorgelegt werden können. In einem Winterbericht zum Jahresende sollen dann weitere Ausarbeitungen und Details enthalten sein. „Wir wollen in dieser Legislaturperiode entscheidende Punkte voranbringen“, unterstrich Habeck.
Breite Einbindung – thematische Arbeitsgruppen
Das Herz der Plattform bildet das Plenum, in dem alle Stakeholdergruppen – inclusive Vertreter der Bundesländer – vertreten sind. Für die Diskussion der vier richtungsweisenden Fragestellungen soll je eine Arbeitsgruppe (AG) gebildet werden. Und zwar zu den Themen Sicherung der Finanzierung der Erneuerbaren Energien, zum Ausbau und der Einbindung von Flexibilitätsoptionen, der Finanzierung von steuerbaren Kapazitäten zur Residuallastdeckung sowie zu lokalen Preissignalen. Bei Bedarf sollen de AGs auch themenübergreifend zusammenkommen.
Eine Steuerungsgruppe aus Vertreterinnen und Vertretern der Koalitionsfraktionen begleitet und steuert den Prozess auf politischer Ebene. Organisiert wird die PKNS durch das BMWK als Geschäftsstelle. Die Dena unterstützt die organisatorische Umsetzung. Darüber hinaus erfolgt eine wissenschaftlich-fachliche Unterstützung durch ein breit aufgestelltes Konsortium, bestehend aus Guidehouse, Consentec, Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI, Neon, Öko-Institut sowie R2B.
Grundvoraussetzung Versorgungssicherheit
Habeck machte zum Auftakt der neuen Plattform wichtige Eckpunkte eines klimaneutralen Stromsystems deutlich: Die Sicherstellung günstiger Strompreise, das Setzen der richtigen Investitionssignale für Investitionen in Erneuerbare Energien und in Wasserstoff-Kraftwerke und die Flexibilisierung des Systems. „Wir brauchen ergänzend zum Netzausbau die regionale Steuerung von Erzeugung und Lasten wie Elektrolyseuren in der Nähe von Offshore-Gebieten. Außerdem sollte Erneuerbarer Strom vor Ort genutzt werden können, anstatt aufgrund von Netzengpässen abgeregelt zu werden“, so Habeck. Grundvoraussetzung sei die Gewährleistung der ganzjährigen Versorgungssicherheit, rund um die Uhr.
Da Deutschland die „Herzkammer des europäischen Stromsystems“ sei, müsse jede Lösung auch europäisch gedacht werden, sagte Habeck. Deshalb wird die Plattform auch die aktuellen europäischen Vorschläge hierzu einbeziehen. Allerdings stellen diese jedoch in erster Linie eine kurzfristige Reaktion auf die durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine ausgelösten Energiekrise des vergangenen Jahres dar. Eine eventuell grundlegendere Reform des europäischen Strombinnenmarktes benötige einen längeren Atem und eine vertiefte Analyse. Hierzu könne die neue Plattform wichtige Beiträge liefern.
Keine zu kurzfristigen Markteingriffe
Gleichzeitig warnte Habeck vor zu kurzfristigen und zu dirigistischen Eingriffen auf EU-Ebene in den Strommarkt. Der Strommarkt habe sich auch angesichts der dreifachen Herausforderungen im vergangenen Jahr, den hohen Gaspreisen, der niedrigen Verfügbarkeit französischer Kernkraftwerke und der Dürre, als „außerordentlich resilient“ erwiesen. „Europa hat einen der am besten funktionierenden Strommärkte der Welt. Die positiven Errungenschaften müssen wir erhalten, während wir den Markt fit für die Zukunft machen“, erklärte Habeck.
Herausforderung für eine europäische Lösung seien auch unterschiedliche Strukturen und Strategien in den Mitgliedsländern. Während einige Länder wie Deutschland das Stromsystem sehr stark von den dezentralen, flexiblen Energien her denken, würden andere Länder wie Frankreich eher von einer zentral geprägten Versorgung, von oben nach unten, denken. Dies sei nicht immer kongruent, so Habeck.
„Die Energiekrise wird auf dem Rücken des Strommarktes ausgetragen“, warnte in diesem Zusammenhang Claude Turmes, grüner Energieminister Luxemburgs, bei der Auftaktveranstaltung in Berlin. So müssten in Deutschland 13 GW stillgelegte Kraftwerkskapazitäten weiter am Netz sein, damit die nuklear dominierte französische Stromversorgung nicht zusammenbreche. Länder hätten „völlig überzogene“ Ideen, wie man über dirigistische Preismodelle die Erneuerbaren Energien für die Lösung von Verteilungsfragen heranziehen wolle.
Pro primär marktgetriebener EE-Ausbau
Auch Andreas Löschel, Vorsitzender der von der Bundesregierung berufenen Expertenkommission zum Energiewende-Monitoring, warnte vor regulatorischen Eingriffen in die Marktpreisbildung, um die Strompreise am Großhandelsmarkt zu senken. Unterstützung bekam er hier aus der Energiewirtschaft. So wies Kerstin Andreae, Chefin des Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), auf die negativen Konsequenzen der Erlösabschöpfung der Strompreisbremse für die Investitionssicherheit in die Erneuerbaren Energien hin.
Simone Peter, Präsidentin des Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE) plädierte für einen primär marktgetriebenen Ausbau der Erneuerbaren. Sie warnte davor, die Erneuerbaren zu stark in ein „starres Korsett“ wie zweiseitige Differenzverträge (Contracts for Difference, CfD) zu pressen, was vor allem von Brüssel favorisiert wird.
Dezentrale Erneuerbare zur Stabilisierung einbeziehen
Praktisch unisono sprachen sich die geladenen Branchenvertreter und Parlamentarier dafür aus, verstärkt die ganze Bandbreite der Akteure, also auch private Anlagenbetreiber, Start-ups und Genossenschaften, für die Realisierung eines klimaneutralen Strommarktes einzubeziehen. Teilhabe müsse ein wesentlicher Bestandteil des Stromsystems sein, betonte Malte Ziehe, Geschäftsführender Vorstand des Bündnis Bürgerenergie (BBEn). Lokale Flexibilitätsmärkte müssten für alle zugänglich sein, sei es Betreiber von Wärmepumpen, Batterien oder Energiesharing-Initiaitven.
Auch Vertreter von Übertragungsnetzbetreibern wie Tennet, 50Hertz und TransnetBW wiesen auf das hohe Potenzial dezentraler erneuerbarer Leistung hin, welche es gelte in die Stabilisierung der Stromversorgung einzubeziehen. Torsten Maus, Geschäftsführer von EWE Netz, plädierte dafür verstärkt von „unten nach oben“ zu denken und lokale Flexibilitäten auch als steuerbare Leistung zu nutzen.
Kraftwerksstrategie soll bis Ende März kommen
Wie dezentrale Flexibilitäten verstärkt angereizt und genutzt werden können und in welchem Umfang flexible H2-ready-Gaskraftwerke benötigt werden, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten, wird sicherlich einer der Knackpunkte bei der weiteren Diskussion und Ausgestaltung eines klimaneutrales Strommarktdesign sein. Habeck nannte den Bedarf von 25 GW H2-ready-Gaskraftwerken und kündigte die Vorlage einer Kraftwerksstrategie Ende März und den Start von entsprechenden Ausschreibungen an.. BBE-Chefin Peter und andere Erneuerbare-Branchenvertreter begrüßten jedenfalls die Einrichtung der Plattform und kündigten eine engagierte Mitarbeit an.