Gigantisches Wind- und Wasserstoff-Projekt
Neben den dänischen Energieinseln will auch ein niederländisch-deutsches Konsortium gewaltige Sammel- und Verteilstationen in der Nordsee sowie riesige Windparks bauen. Der dort erzeugte Strom ist für mehrere Länder bestimmt.
Stein- und Braunkohle sind in Deutschland derzeit wieder die wichtigsten Energierohstoffe bei der Stromproduktion. Im dritten Quartal dieses Jahres stieg ihr Anteil um 2,7 % auf 31,9 %. Die Wahrscheinlichkeit, dass es noch schlimmer kommt ist groß. Die meisten erneuerbaren Energien sind wetterabhängig, und wegen des dramatischen Preisanstiegs bei Erdgas wird dieser vergleichsweise saubere Energieträger immer weniger genutzt.
Nachbarn profitieren von deutschem Ökostrom
Wasserstoffproduktion an Land und auf See
Die Lösung sieht der niederländisch-deutsche Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) TenneT in einem gigantischen Ausbau des Angebots an Windstrom. Der steht zwar an windarmen oder -stillen Tagen nicht zur Verfügung. Doch eine Vielzahl von Elektrolyseuren an Land und auf hoher See sollen so viel Wasserstoff produzieren, dass Flauten locker überbrückt werden können. Ähnlich wie der dänische ÜNB Energinet, der auf der natürlichen Insel Bornholm und einer künstlichen Insel 80 Kilometer vor der Küste in der Nordsee Verteilzentren für den Strom aus neuen Windparks plant, will auch TenneT als Führer des Konsortiums North Sea Wind Power Hub (NSWPH), zu dem auch Energinet sowie der Energiekonzern Gasunie und der Port of Rotterdam gehören, eine oder mehrere künstliche Inseln aufschütten, um den Strom aus einer Vielzahl von neuen Windparks in der Nordsee zu sammeln und an Kunden weiterzuleiten.
Wasserstoff soll die Lücken füllen
Ein angedachtes Modell sieht drei Inseln vor, die nicht nur als Sammelstellen für Windstrom und dessen Verteilung an mehrere Nordsee-Anrainerstaaten dienen sollen, sondern auch als Standorte für ganze Batterien von Elektrolyseuren. Der dort mit überschüssigem Windstrom erzeugte Wasserstoff soll durch Unterwasserpipelines an Land transportiert und dort zur Stromerzeugung genutzt werden, wenn sich Versorgungslücken auftun.
Windgeneratoren sollen das Netz stabilisieren
Windstrom hat bisher immer nur ein Ziel
Derzeit werden jeweils einige wenige Windparks an schwimmende Konverter angeschlossen, die den Strom umformen, so dass er verlustarm an Land transportiert werden kann. Es profitiert jeweils nur der Staat, in dem der Betreiber sitzt. Das NSWPH-Konzept reagiert dagegen, ebenso wie das dänische, flexibel auf den Bedarf mehrerer Länder.
Bis zu 180 Gigawatt Windstrom-Zubau
Das Konsortium rechnet mit einem Windenergie-Zubau von 70 GW bis 150 GW bis 2040. Bis 2045 sollen bis zu 180 GW erreicht werden. Weil die Windparks relativ weit nördlich aufgebaut werden, ist das Windangebot dort größer als nahe der Küste. Da dieser Windstrom wegen der Wasserstoff-Puffer rund um die Uhr und unabhängig von der Wetterlage zur Verfügung steht, könnten mit diesem Konzept mehrere 100 Millionen Europäer mit sauberem Strom versorgt werden.
Mit zehn bis 15 Gigawatt geht es los
Ein erstes Verteilkreuz auf einer künstlichen Insel könnte nach Einschätzung des Konsortiums Anfang der 2030-er Jahre in Betrieb gehen, also kurz nach dem dänischen Projekt. Es könnte für 10 GW bis 15 GW ausgelegt werden. Zunächst soll auf eine Wasserstoffproduktion auf See verzichtet werden. Stattdessen würden entsprechende Kapazitäten an Land aufgebaut.
Hochspannungs-Gleichstromnetz unter Wasser und an Land
Langfristig soll ein Unterwasser-Stromnetz entstehen, in dem Gleichstrom mit einer Spannung von einigen 100 000 V fließt. Es könnte auch an Land weitergeführt werden, um stromhungrige Regionen fernab der Nordseeküste wie Süddeutschland zu versorgen. Das Netz soll flexibel nutzbar sein, so dass es immer dorthin Energie liefert, wo Strommangel droht. Dazu kommt das Pipeline-System für auf hoher See und an Land erzeugten Wasserstoff.
Reger grenzüberschreitender Stromaustausch
Schon heute gibt es einen regen grenzüberschreitenden Austausch von Strom. Deutschland beispielsweise importierte 2020 gut 33 Mrd. kWh, 36 % mehr als im Jahr davor. 2021 sind die Importe noch einmal angestiegen. Umgekehrt exportierte Deutschland 2020 gut 50 Mrd. kWh, vor allem in Zeiten, in denen mehr Wind- beziehungsweise Solarstrom erzeugt wurde als im Inland verbraucht werden konnte.