Wärmenetze 4.0
Im Rahmen der Energiewende kommt der nachhaltigen Wärmeversorgung und damit den Niedrigtemperaturnetzen eine immer bedeutendere Rolle zu. Die sogenannten Wärmenetze 4.0 zeichnen sich vor allem durch die Tatsache aus, dass die niedrigeren Betriebstemperaturen eine erhöhte Integration regenerativer Energien ermöglichen. Mit der gezielten Förderung von Niedrigtemperaturnetzen über das „Modellvorhaben Wärmenetze 4.0“ möchte das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie eine umweltfreundlichere Wärmeversorgung vorantreiben. Die geringen Betriebstemperaturen haben jedoch noch einen anderen Effekt: Für die Wärmenetzinfrastruktur können nun entweder starre Stahlrohrsysteme oder flexible Polymerrohre zum Einsatz kommen. Was halten die Nachfrager davon? Welche Merkmale der Wärmeleitungen sind entscheidend bei der Planung eines Nahwärmenetzes? Eine aktuelle Studie setzt sich mit der Frage auseinander, worauf kommunale Wärmeversorger besonders Wert bei der Wahl des Rohrsystems legen.
Dänemark gilt in Bezug auf die Erreichung der klimapolitischen Ziele weltweit als Vorreiter. Bereits im Jahr 2015 betrug der Anteil an erneuerbaren Energien beinahe 30 % des gesamten Energiekonsums 1). Im Wärmesektor ist vor allem die Versorgung mittels Wärmenetzen von Bedeutung: Der Wärmebedarf von 64 % der Haushalte wurde im Jahr 2017 mithilfe von Wärmenetzen gedeckt. Zur Energiegewinnung wurden hierfür fast 50 % regenerative Energien verwendet 2).
Damit kommt dem skandinavischen Land im Bereich der nachhaltigen Wärmeerzeugung eine Vorbildrolle zu, die auch in Deutschland Veränderungen auf dem Energiemarkt forciert. Da die Ziele der Energiewende nicht erreicht werden können, wenn nicht auch im Wärmesektor vermehrt regenerative Energiequellen zur Wärmeerzeugung genutzt werden, ist die Förderung von Niedrigtemperaturnetzen nach dänischem Vorbild immer stärker in den Vordergrund gerückt.
Diese Niedrigtemperaturnetze, auch Wärmenetze der vierten Generation genannt, zeichnen sich durch Vorlauftemperaturen von rund 50 °C und Rücklauftemperaturen von etwa 20 °C aus. Die geringen Betriebstemperaturen erlauben eine vermehrte Integration von erneuerbaren Energieträgern wie etwa Geothermie, Solarthermie oder Abwärme aus Industrieprozessen. Eine Studie der dänischen Universität Aalborg aus dem Jahr 2014 veranschaulicht den Entwicklungsprozess von Wärmenetzen ab dem Jahr 1880 und definiert vier Generationen von Wärmenetzen (Tabelle 1).
1. Generation | 2. Generation | 3. Generation | 4. Generation | |
Zeitraum | 1880 bis 1930 | 1930 bis 1980 | 1980 bis 2020 | 2020 bis 2050 |
Temperatur | < 200 °C | > 100 °C | < 100 °C | 50 bis 70 °C |
Medium | Dampf | Heißwasser | Heißwasser | Wasser |
Rohrsystem | Vor Ort isolierte Stahlrohre | Vor Ort isolierte Stahlrohre | Vorisolierte Stahlrohre | Vorisolierte flexible Rohrsysteme |
Tabelle 1 Die vier Generationen der Wärmenetze (Quelle: Lund et al. (2014), S. 5, Tabelle 1; S. 9).
Nach dieser Studie soll die aktuelle dritte Generation der Wärmenetze ab dem Jahr 2020 von Niedrigtemperaturnetzen abgelöst werden, die die vierte Generation darstellen. In Deutschland wurden im vergangenen Jahr mit dem Förderprogramm „Modellvorhaben Wärmenetzsysteme 4.0“ 3) Förderrichtlinien veröffentlicht, die genau diese Entwicklung vorantreiben sollen.
Modellvorhaben Wärmenetzsysteme 4.0
Ziel des Förderprogramms ist der Ausbau einer effizienten und umweltschonenden Wärmeinfrastruktur. Um dies zu erreichen, sollen systematisch Wärmenetze der vierten Generation gefördert werden, die Abwärme effizient nutzen und einen hohen Anteil an regenerativen Energien sowie die charakteristisch niedrigen Betriebstemperaturen aufweisen. Förderfähig sind zunächst Machbarkeitsstudien zur Planung und Projektierung des Wärmesystems im Rahmen des „Fördermoduls I“. Darüber hinaus soll mit dem „Fördermodul II“ die Realisierung eines Wärmenetzes der vierten Generation gefördert werden. Das geplante Netzsystem muss folgende Bedingungen erfüllen, um als Wärmenetzsystem 4.0 förderfähig zu sein 4):
- Das Netz muss mindestens 100 Netzanschlüsse oder eine Mindestabnahme von 3 GWh/a aufweisen.
- Die Betriebstemperaturen sollen sich auf 20 bis maximal 95 °C belaufen.
- Es sollen hauptsächlich saisonale Großwärmespeicher zur Anwendung kommen.
- Um die Sektorkopplung zu fördern, wird eine Schnittstelle der angeschlossenen Stromverbraucher und -erzeuger für einen strommarkt- oder netzdienlichen Betrieb verlangt.
- Des Weiteren wird die Überwachung und Datenspeicherung durch ein Online-Monitoring-System sowie der effiziente Anschluss der Abnehmer mittels Hausübergabestationen von dem Betreiber des Wärmenetzes gefordert.
Ergänzend zu den beiden genannten Fördermodulen sind darüber hinaus Kommunikationsmaßnahmen zur Information der potenziellen Anschlussnehmer eines Gebietes förderfähig, die die Anschlussquote erhöhen sollen. Außerdem kann ein Zuschuss für wissenschaftliche Kooperationen mit Hochschulen und Forschungseinrichtungen gewährt werden, die die Planung, Realisierung, Optimierung und Evaluierung des Projektes unterstützend begleiten.
Etablierte Rohrsysteme zur Wärmeverteilung: Stahlleitungen versus polymere Rohre
Ein wesentlicher Bestandteil der Wärmenetze ist das Rohrsystem, das die Wärme von der Erzeugungsquelle zu den Abnehmern verteilt. Für die heute üblichen Betriebstemperaturen von 95 bis 120 °C im Vorlauf kommen vorwiegend zwei Arten von Rohrsystemen zur Anwendung: vorisolierte starre Stahlrohrsysteme beziehungsweise Kunststoffverbundmantelrohre (KMR) oder vorgedämmte flexible Kunststoffrohre, auch Systeme mit polymeren Mediumrohr (PMR) genannt. Das Material des KMR-Systems weist eine Temperaturbeständigkeit von 140 °C auf und kann deshalb auch für die Verlegung großer Verteilnetze Anwendung finden, die hohe Betriebstemperaturen erfordern. Im Gegensatz dazu eignen sich die flexiblen Rohrsysteme ausschließlich für kleinere Wärmenetze mit Vorlauftemperaturen von rund 85 °C, da sie durch eine Temperaturbeständigkeit von maximal 95 °C gekennzeichnet sind. Aufgrund der niedrigen Netztemperaturen der Wärmenetze 4.0 können neben starren Stahlmediumrohren alternativ auch flexible Polymerleitungen zum Einsatz kommen. Welches System Anwendung findet, hängt vor allem von den projektbezogenen Begebenheiten ab. Beide Rohrtypen weisen aufgrund der unterschiedlichen Materialbeschaffenheit verschiedene Vor- und Nachteile auf, zum Beispiel bei der Verlegung, Überwachung sowie Kosten- und Zeitplanung. Doch worauf legen Entscheider bei der Wahl des Rohrsystems bei Niedrigtemperaturnetzen Wert? Welche Merkmale des Systems werden bei der Netzplanung besonders berücksichtigt?
Wichtige Merkmale eines Rohrsystems bei der Netzplanung aus Nachfragersicht
Eine aktuelle Studie, die 2017 an der Universität Bayreuth in Kooperation mit dem Unternehmen Rehau entstand, beschäftigt sich mit der Frage, welche Kriterien aus der Sicht kommunaler Energieversorger bei der Wahl des Rohrsystems für ein niedrigtemperiertes Wärmenetz relevant sind. Dazu wurden Entscheidungsträger von 70 Stadtwerken in ganz Deutschland befragt. Den Teilnehmern wurden Merkmale aus verschiedenen Kategorien vorgegeben, die danach beurteilt wurden, wie hoch ihre Bedeutung bei der Netzplanung eines kleineren Wärmenetzes mit einer Vorlauftemperatur bis zu maximal 90 °C eingeschätzt wurde. Bezüglich der Materialeigenschaften des Mediumrohres wurden die Temperaturbeständigkeit, die Druckbelastbarkeit sowie die Korrosionsanfälligkeit bewertet. Des Weiteren wurden die Möglichkeit zur Leckageortung und -überwachung sowie die Fehleranfälligkeit der Rohrverbindungsstellen in Bezug auf die Sicherheit betrachtet. Kriterien zur Verlegung des Rohrsystems stellten der Tiefbauaufwand, die Flexibilität bei der Überwindung von Hindernissen und die Handhabung der Rohrleitungen dar. Zum Thema Kosten wurden die Eigenschaften Materialkosten, Gesamtkosten sowie Einhaltung des Budgetrahmens von den Probanden beurteilt. Darüber hinaus wurde die Relevanz der Bauzeit sowie Merkmale zu einem nachträglichen Anschluss zusätzlicher Wärmeabnehmer bewertet. Hierzu zählten Kosten und Bauzeit des nachträglichen Anschlusses, die Flexibilität der Anschlussleistung eines nachträglichen Gebäudeanschlusses sowie die Nachisolierung von Verbindungsstellen eines nachträglichen Anschlusses. Das Ergebnis der Befragung zeigt, dass vor allem die Themen Kosten, Sicherheit und Tiefbauaufwand eine relevante Rolle bei der Netzplanung eines kleinen Wärmenetzes spielen. Die beurteilten Eigenschaften konnten in eine Rangfolge gebracht werden, die Aufschluss darüber gibt, welche Merkmale des Rohrsystems für ein Wärmenetz mit einer Vorlauftemperatur von maximal 90 °C als besonders wichtig betrachtet werden (Tabelle 2).
Rang | Ausprägung |
1 | Einhaltung des Budgetrahmens, Abweichung von höchstens 10 % |
2 | Möglichkeit zur Leckageortung (nach Eintreten des Schadens) |
3 | Geringe Gesamtkosten |
4 | Möglichkeit zur Leckageüberwachung (kontinuierliche Überwachung) |
5 | Geringer Tiefbauaufwand |
6 | Kaum technische Einschränkungen bei der Flexibilität in der Anschlussleistung eines nachträglichen Anschlusses |
7 | Temperaturbeständigkeit über 90 °C |
8 | Geringe Korrosionsanfälligkeit |
9 | Geringe Bauzeit |
10 | Durchschnittlich hohe Materialkosten |
11 | Geringe Fehleranfälligkeit der Rohrverbindungsstellen |
12 | Druckbelastbarkeit über 6 bar |
13 | Geringer Kosten- und Zeitaufwand eines nachträglichen Anschlusses |
14 | Einfache Handhabung der Rohrleitungen |
15 | Hohe Flexibilität bei der Überwindung von Hindernissen |
16 | Einfache und standardisierte Nachisolierung von nachträglichen Verbindungsstellen |
Tabelle 2 Merkmale des Rohrsystems nach Bedeutung.
Durch die Befragung konnte ermittelt werden, dass die Einhaltung des Budgetrahmens für alle Teilnehmer die wichtigste Voraussetzung darstellt, die bei der Planung eines Wärmenetzes erfüllt werden soll. Eine große Bedeutung kommt außerdem der Sicherheit des Verteilsystems zu, da die Möglichkeit zur Leckageortung im Schadensfall mit Rang zwei sowie die kontinuierliche Leckageüberwachung mit dem vierten Rang beurteilt wurden und somit eine der wichtigsten Eigenschaften darstellen. Auch wirtschaftliche Aspekte werden vorrangig berücksichtigt: So kommt geringen Gesamtkosten der Rang drei und einem geringen Tiefbauaufwand der Rang fünf zu. Insgesamt können die Kostenplanung sowie die Sicherheit als besonders entscheidungsrelevant bei der Wahl eines Rohrsystems für ein Wärmenetz mit geringen Betriebstemperaturen angesehen werden.
Das Ergebnis kann als fiktives Idealrohrsystem betrachtet werden, das Vorteile des flexiblen und des starren Rohrsystems kombiniert und dessen Rangfolge der Merkmale Aufschluss über die Bedeutung der einzelnen Eigenschaften für die Nachfrager im Rahmen der Netzplanung gibt. Die niedrigen Betriebstemperaturen eines Wärmenetzes der vierten Generation erlauben den Einsatz beider Rohrsysteme. Welchem System der Entscheidungsträger den Vorzug geben sollte, hängt im Einzelfall jedoch davon ab, welche Vorteile für das jeweilige Projekt besonders von Bedeutung sind und durch die Materialeigenschaften des Rohres realisiert werden können. In manchen Fällen bietet es sich auch an, beide Systeme miteinander zu kombinieren.
1) https://ens.dk/sites/ens.dk/files/Statistik/ energy_statistics_2015.pdf, S. 8
2) https://www.euroheat.org/knowledge-centre/district-energy-denmark/
3) http://www.bafa.de/DE/Energie/ Energieeffizienz/Waermenetze/waermenetze_ node.html
4) http://www.bafa.de/SharedDocs/Downloads/DE/Energie/waermenetze_4_modelvorhaben_das_ wichtigste.pdf;jsessionid=653F6A4E6A343 4534B8B9C2C832A3539.1_cid378?__blob= publicationFile&v=2
Corinna Götz, Student Marketing Managerin, TUM School of Management, TU München.