Von Wasserstoffinseln über Wasserstoffcluster zum Wasserstoffverbund
Deutschland möchte die Nummer eins auf dem Gebiet der Wasserstofftechnologien sein und sieht grünen Wasserstoff als die Alternative zu fossilen Energieträgern. Vor allem Infrastrukturmaßnahmen sind entscheidend, um Produzenten und Verbraucher effizient miteinander zu verbinden und die Adaption voranzutreiben.
Für die kommenden Jahre stellen Bund und Länder ganze 8 Mrd. € an Fördermitteln für 62 Wasserstoffprojekte, die unter die Kategorie Important Projects of Common European Interest (IPCEI) fallen, zur Verfügung. Mit diesen Fördermaßnahmen sollen Gesamtinvestitionen von 33 Mrd. € ausgelöst werden, 2 GW Elektrolyseleistung und 1 700 km Pipelinesystem entstehen. Außerdem wird die Nutzung von Wasserstoff in der Industrie und Mobilität in zahlreichen Projekten unterstützt. Hinzu kommen noch bereits bestehende Pilotanlagen, Kooperationen und weitere Förderinitiativen.
Vor dem Hintergrund dieses Flickenteppichs an Maßnahmen und Projekten spielt die Vernetzung eine entscheidende Rolle. Die Entwicklung der Wasserstoffinfrastruktur in Deutschland und Europa sieht man bei der Unternehmensberatung KPMG in drei Phasen: von den Wasserstoffinseln über existierende Cluster bis zum Wasserstoffverbundnetz.
Anfangsphase: Wasserstoffinseln
Der Wasserstoffmarkt wird mit Insellösungen starten. Typischerweise sind die Wasserstoffherstellung und dessen Verbrauch räumlich sehr eng miteinander verbunden. Die Versorgung kann über regionale Pipelines sichergestellt werden. Ideale Bedingungen finden sich dort, wo Grünstrom und die Nachfrage durch energieintensive Industrien wie die Stahlindustrie, chemische Industrie oder Raffinerien zusammentreffen.
Dennoch ist die Nutzung von nachhaltigem Wasserstoff in dieser Phase noch nicht wirtschaftlich und entsprechend sollte der Markthochlauf einer Wasserstoffwirtschaft gefördert werden. Wobei es sinnvoll wäre, nicht nur die Finanzierung der Elektrolyseure (Capex), sondern auch die konkrete Herstellung (Opex) zu fördern.
Vor dem Hintergrund der begrenzten Kapazitäten an Strom aus erneuerbaren Energien sollte technologieoffen neben dem grünen Wasserstoff auch über die Nutzung von klimafreundlichem Wasserstoff auf Erdgasbasis nachgedacht werden. Sowohl die Erzeugungskosten wie der Grünstrombedarf liegen bei der Dampfreformierung mit CO2-Speicherung (blauer Wasserstoff) als auch bei der Methanpyrolyse (türkiser Waserstoff) deutlich unter denen der Wasserelektrolyse (grüner Wasserstoff).
Nationale und internationale Wasserstoffregionen
Als erste Wasserstoffinseln in Deutschland sind vor allem die Rhein-Ruhr-Region, aber auch die norddeutsche Achse Lingen, Bremen, Hamburg, Dithmarschen, Rostock sowie das mitteldeutsche Chemiedreieck prädestiniert. In Europa sind die günstigsten erneuerbaren Ressourcen Wasserkraft aus Norwegen und den Alpen, Offshore-Windkraft aus der Nord- und Ostsee sowie Solarenergie in Südeuropa. Aber auch die bereits existierende Infrastruktur für Erzeugung und Verbrauch spielt eine Rolle. Deshalb besitzen die Regionen Nord-Frankreich, Belgien, Niederlande, das Vereinigte Königreich sowie Südfrankreich und Spanien gute Voraussetzungen für das Entstehen von ersten Wasserstoffzentren.
Zwischenphase: Wasserstoffcluster
Zwangsläufig werden sich beim Fortschreiten des Markthochlaufs Erzeugungs- und Verbrauchsschwerpunkte räumlich nicht immer unmittelbar beieinander befinden, wie es bei den Wasserstoffinseln der Fall ist. Die Infrastruktur wird erweitert. Die Adaption gewinnt an Fahrt. Neben großindustriellen und energieintensiven Unternehmen wird auch der Mittelstand Wasserstoff stärker nachfragen. Außerdem werden in der Zwischenphase insbesondere Industriegebiete erschlossen. Dabei wird Wasserstoff vornehmlich durch umgewidmete Erdgasleistungen transportiert. Aus Wasserstoffinseln werden so Wasserstoffcluster.
Sowohl Kostennachteile bei fossilen Energieträgern als auch Nachhaltigkeitsanforderungen wie die EU-Taxonomie werden die Nachfrage erhöhen: Unternehmen, die nachhaltig sein wollen, werden in ihren nichtfinanziellen Erklärungen im Geschäftsbericht den Grad ihrer Nachhaltigkeit kommunizieren. Wer auf klimafreundlichen Wasserstoff anstatt auf fossile Brennstoffe setzt, kann auf eine breitere Investorenbasis hoffen und gegebenenfalls Finanzierungsvorteile generieren.
Die Regulierung in dieser Phase sollte zum einen verlässliche Rahmenbedingungen – beispielsweise einheitliche Standards für den Transport – schaffen, um die Investitionsbereitschaft bei Netzbetreibern und potenziellen Geldgebern zu erhöhen und so den Markthochlauf weiter zu beschleunigen. Je früher Standards definiert werden, desto eher können Unsicherheiten aus dem Markt genommen werden. Zum anderen müssen die Bedingungen einer Entgeltregulierung festgelegt werden, um die Finanzierungskosten des Netzausbaus so niedrig wie möglich zu halten. Hier kann der „Cost plus“-Ansatz mit einer jährlichen Genehmigung der Kosten auf Basis eines Plankostenansatzes den schnellen Infrastrukturausbau fördern.
Ziel: Wasserstoffverbund
Ein limitierender Faktor für eine umfangreiche Wasserstoffherstellung kann der begrenzte Umfang des zur Verfügung stehenden Grünstroms sein. Deswegen sollten zunächst an den oben beschriebenen günstigsten Produktionsstandorten die Grünstromkapazitäten weiter ausgebaut werden. Neue Standorte für die Wasserstofferzeugung können entstehen. Auch ein Import von Wasserstoff über den Seeweg ist denkbar. Komprimierter oder in anderen Stoffen gebundener Wasserstoff – beispielsweise aus Nordafrika oder dem Mittleren Osten – wird nach Europa transportiert und dort entsprechend verteilt. Folglich werden die Wasserstoffcluster durch ein paneuropäisches Pipelinesystem verbunden. In diesem Verbundnetz kann eine Anreizregulierung in Anlehnung an das zurzeit bestehende Regime bei Erdgas vorteilhalft sein.
Von diesem Wasserstoffverbund würden auch zusätzliche Geschäftsmodelle in den Sektoren Wärme und Mobilität profitieren. Neben den B2B-Anwendungen in der Metallherstellung sowie der Basis- und Petrochemie, wird die Nutzung von nachhaltigem Wasserstoff zunehmend massentauglich und entsprechend weitere Bereiche dekarbonisieren.
Beispielsweise setzen immer mehr deutsche Städte auf eigene Klima- und Effizienzziele. Um diese Ziele möglichst schnell zu erreichen, könnte im B2C-Segment Wasserstoff als Substitut-Energieträger für Erdgas oder Heizöl auf dem Wärmemarkt genutzt werden. Ein möglicher Entwicklungspfad könnte die Versorgung von Quartieren mit Wärme beziehungsweise Energie durch Wasserstoff sein. In einem ähnlichen Zusammenhang sind „Local Energy Communities“ zu sehen, bei denen sich insbesondere Wasserstoff als eine Nahwärme-Option anbieten könnte.
Kohlenstofffreie Wärmeerzeugung für Bürokomplexe
Und nicht nur für Wohnungsquartiere, sondern auch für Bürokomplexe wäre die Nutzung von kohlenstofffreiem Gas zur Wärmeerzeugung sehr interessant. Das Gas ließe sich in saisonalen Speichern effizient für den Winter lagern und über ein vorhandenes Verbundnetz zielgerichtet verteilen. Ein weiterer Anwendungsbereich im Wärmemarkt könnten Hotels sein. Geschäftskunden müssten in der Zukunft vermehrt darauf achten, dass Hotels energieeffizient und klimaneutral sind, um von Dienstreiserichtlinien erfasst werden zu können.
Auch im Mobilitätssektor bietet nachhaltiger Wasserstoff Potenziale: Städte können den Einsatz von Wasserstoff im ÖPNV (Busse, Taxen, Regionalbahnverkehr) oder bei den kommunalen Nutzfahrzeugen (Löschfahrzeuge, Rettungswagen, Abfallsammelfahrzeuge, Kleintransporter) festschreiben. Gerade bei schwereren Fahrzeugen bietet die Brennstoffzellentechnologie einen Vorteil gegenüber einem batterieelektrischen Vehikel, weil durch die bessere massebezogene Energiedichte von Wasserstoff gegenüber Batterien deutlich an Gewicht gespart werden kann.
Pilotprojekte und der Wille zur Veränderung
Es zeigt sich, dass nachhaltiger Wasserstoff in verschiedenen Bereichen der Energieversorgung zukünftig eine sinnvolle Alternative sein wird. Entsprechend euphorisch ist der Markt gerade auf der Erzeugungsseite. Allerdings ist auch klar, dass bei der Herstellung Wirkungsgradverluste auftreten, die mit einem stärkeren Ausbau erneuerbarer Energien aufgefangen werden müssen.
Aktuell ist nachhaltiger Wasserstoff kaum wettbewerbsfähig. Die Subventionierung operationaler Kosten könnte zu einer schnelleren Marktadaption auf der Verbraucherseite führen. Pilotprojekte und der Wille zur Veränderung sind vorhanden. Für eine effiziente Umsetzung in Deutschland und Europa ist der Aufbau einer leitungsgebundenen Infrastruktur entsprechend essenziell.
Michael Salcher, Regionalvorstand Ost und Leiter Energie & Rohstoffe, Daniel Breloer, Senior Manager, Energy Markets & Regulation, und Sebastian Heinisch, Sektor Manager, Energie & Rohstoffe, alle KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft