Wie Industrieunternehmen kosteneffizient ihre Nachhaltigkeitsziele erreichen können
Viele Industrieunternehmen sehen sich aufgrund von Nachhaltigkeitsanforderungen und Energiepreisrisiken immer schwierigeren Entscheidungen im Energiemanagement gegenüber. Aufgrund der hohen Investitionskosten in neue Anlagen könnte das Modell „Energy-as-a-Service“ (EaaS) stärker in den Fokus von Entscheidern und Entscheiderinnen rücken. Für die Energiebranche entsteht ein interessantes Wachstumsfeld.
Nachhaltigkeit als Kriterium in der Energiebeschaffung steht immer öfter ganz oben auf der Agenda von Industrieunternehmen. In einer kürzlich von Arthur D. Little durchgeführten Umfrage unter Branchenführern der Industrie zu den Risiken des Energiemanagements und den höchsten Prioritäten in ihren Unternehmen bewerteten 87 % der Energiemanager*innen und Einkäufer*innen das Risiko „Environmental Social Governance (ESG)/ Nachhaltigkeitsanforderungen“ mit der Priorität „hoch bis sehr hoch“. Dies wird auch von Mitarbeitenden, Investoren und der Kundschaft weiter befeuert.
Mit der zweithöchsten Priorität werden steigende Energiekosten einschließlich der Netzentgelte sowie Steuern und Abgaben gesehen. Als Reaktion setzen sich Unternehmen oft ehrgeizige Nachhaltigkeitsziele und -verpflichtungen und erwägen Investitionsentscheidungen wie Anlagen zur dezentralen Erzeugung. Insbesondere die Nachfrage nach Lösungen zur Reduktion von Scope-1-Emissionen, den direkten Emissionen auf dem Werksgelände, ist deutlich gestiegen.
In den letzten Jahren haben immer mehr Branchenführer erste Schritte in Richtung CO2-Neutralität unternommen und gleichzeitig ihre Energiekosten, zumeist in Bezug auf ihre Stromkosten, optimiert. Nur wenige sind jedoch in ihren Versprechen und Taten weit fortgeschritten. Eine Initiative, an der internationale Unternehmen in den Themen erneuerbare Energien, Elektrofahrzeuge und Energieproduktivität beteiligt sind, wird von der Non-Profit Organisation The Climate Group (RE100, EV100 und EP100) geleitet. Mit diesen Programmen haben sich viele Branchenführer verpflichtet, bis 2050, 2030 oder bereits 2025 vollelektrische Flotten zu betreiben oder ihre Produktionswerke CO2-neutral zu versorgen.
Viele Unternehmen unvorbereitet
Zahlreiche Unternehmen haben ambitionierte Zusagen gemacht, dabei sind die erforderlichen Maßnahmen und die praktischen Herausforderungen in ihrem Umfang beachtlich. Viele Energiemanager*innen und Einkäufer*innen gaben in der Umfrage an, unzureichend vorbereitet für diese Herausforderungen zu sein, was überwiegend auf zwei Gründe zurückzuführen ist. Erstens wurde von Schwierigkeiten berichtet, die Bandbreite an verfügbaren Energielösungen bestmöglich zur Erreichung der eigenen Energiemanagement-Ziele zu analysieren und auszuwählen. Zweitens fehlt es an breitem Rückhalt im Unternehmen, die meist langfristigen Verpflichtungen einzugehen und die erforderlichen Investitionen zu realisieren.
Um Entscheidungsträgern und -trägerinnen in der Industrie Wege aufzuzeigen, ihre Nachhaltigkeitsziele im Rahmen ihres Energiemanagements kosteneffizient zu erreichen, ist ein umfassendes Verständnis der Energielösungen und deren Umsetzung unter normalen Geschäfts- und Investitionsbeschränkungen notwendig.
Unternehmen müssen breit denken, um ein solides Energiemanagement-Portfolio aufzubauen, das Energiekosten nachhaltig einspart und Emissionen deutlich senkt.
Energiebeschaffung
Mit der zunehmenden Nutzung und dem Handel grüner Zertifikate sowie den bereits etablierten Ökostrom- und Gaslieferverträgen ist das Interesse an Corporate Power Purchase Agreements (CPPA) stark gestiegen. Dabei handelt es sich um langfristige Stromlieferverträge zwischen Stromabnehmer und Erzeuger, meist von erneuerbaren Energien. In der Umfrage von Arthur D. Little gab fast die Hälfte der Befragten an, CPPA bereits zu verwenden und ein weiteres Drittel betonte, diese intensiv zu prüfen.
Weiterhin bevorzugen einige – insbesondere große und energieintensive Industrieunternehmen – ein eigenes Portfoliomanagement für den Energieeinkauf und den Handel mit Emissionszertifikaten im Großhandel.
Energieerzeugung und Elektrifizierung
Einer der grössten Hebel für Industrieunternehmen in Richtung Klimaneutralität besteht in der emissionsarmen Energieerzeugung am Standort. Die meisten Umfrageteilnehmenden haben bereits in erneuerbare Energien, insbesondere Aufdach-Photovoltaik, oder emissionsarme Energieerzeugung, etwa durch Blockheizkraftwerke, investiert. Aber auch Dekarbonisierungslösungen für die Wärme- und Dampfversorgung, beispielsweise durch den Einsatz von Biomasse oder Power-to-Heat (PtH), werden stark nachgefragt. Aufgrund der exponentiellen Kostendegression von Batteriespeichern werden zunehmend Speicherlösungen analysiert und der eigene Fuhrpark elektrifiziert.
Energieeffizienz und -optimierung
Unternehmen suchen auch nach Möglichkeiten, ihren Energieverbrauch zu senken, anstatt nur die Versorgung zu optimieren. Daher berichten Unternehmen, dass sie an ihren Standorten regelmäßig die zumeist verpflichtende Energieaudits dazu nutzen, Energiesparmaßnahmen zu erkennen und zu implementieren. Dazu gehören etwa die Installation von LEDs, die Verbesserung des Wärmemanagements, die Umstellung von Produktionsprozessen und der Austausch energieeffizienter Querschnittstechnologien (etwa Pumpen, Kompressoren und Hydraulikaggregate).
Industrieunternehmen sind zunehmend in Demand-Side-Response-Programmen und virtuellen Kraftwerken eingebunden. Dies geht auf die steigende Anzahl von Unternehmen mit dezentralen Erzeugungsanlagen und den fortschreitenden Erfahrungsgewinn durch den Einsatz von Demand Side Response in komplexen industriellen Prozessen zurück.
Kommende Maßnahmen sind komplexer
Da bereits seit vielen Jahren das Thema Energieeffizienz in Unternehmen erkannt und ernstgenommen wurde, sind „Quick Wins“ kaum mehr zu finden. Die nun erforderlichen Maßnahmen sind komplexer und mit höheren technischen und finanziellen Risiken verbunden. Unternehmen lassen sich in der Regel viele individuell erstellte Konzepte von Energiedienstleistern aufzeigen. Bei den tatsächlichen Investitionen in Energielösungen bleiben hingegen zwei große Hürden:
1. Bedarf an Fachwissen, um die Implementierung komplexer Energielösungen integriert in die bestehenden Kernprozesse zu analysieren und die technischen Risiken zu minimieren,
2. Abstimmung der regulatorischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen mit den unternehmensinternen Vorgaben, insbesondere hinsichtlich Amortisationszeiten und Auswirkungen auf die Bilanz.
EaaS als servicebasiertes Geschäftsmodell
Industrieunternehmen haben besonders hohe Anforderungen an Investitionsausgaben (Capital Expenditures, CapEx), da diese in der Regel durch das Kerngeschäft vorgegeben werden und damit konkurrieren müssen. Hohe interne Renditeerwartungen und kurze Amortisationszeiten können aber selbst die wirkungsvollsten Energieerzeugungs- und -einsparmaßnahmen verhindern. Hier können Geschäftsmodelle von Energiedienstleistern eine Lösung bieten, die diese finanziellen Anforderungen umgehen.
EaaS ist ein servicebasiertes Geschäftsmodell, bei dem der Industrie- und Gewerbekunde die Vorteile einer Energielösung nutzt, aber nur Servicegebühren entrichtet, die sich direkt auf die bereitgestellte oder eingesparte Energie beziehen. Bei diesem Modell verlagert sich der Fokus von CapEx auf Betriebskosten (Operating Expenses, OpEx). Die Serviceverträge können unterschiedliche Rechte und Pflichten auf den Anbieter übertragen. Oft setzen diese Anreize für den Dienstleister, die Energieeffizienz weiter zu steigern. Typische Vertragsstrukturen sind das Energiespar-Contracting und das Energieliefer-Contracting.
Kostenstabilität bei nachhaltigen Energielösungen
Das EaaS-Modell weist für Unternehmen klare Vorteile auf. Dazu zählt neben der etablierten Vertragsstruktur für viele Energiedienstleistungen, eine erhöhte, langfristige Energiekostenstabilität. Angesichts der jüngsten Energiepreissteigerungen befeuert durch gestiegene Emissionspreise und bestehende Unsicherheiten im Hinblick auf die mittel- und langfristige Entwicklung von Emissionspreisen, gewinnt Energiekostenstabilität in Zusammenhang mit nachhaltigen Energielösungen zunehmend an Bedeutung.
Die Finanzierung dieser oft kapitalintensiven Energielösungen kann ohne Eigenmittel der Kundschaft erfolgen, mit positiven Effekten auf wichtige Key Performance Indicators (KPI) wie Liquidität, Verschuldungsgrad und Eigenkapitalrentabilität.
Ein weiterer wichtiger Vorteil ist der Service, den die Unternehmen vom Anbieter erwarten – im Hinblick auf eine transparente, rechtssichere Abrechnung und darüberhinausgehende Unterstützung, etwa bei der Erfüllung von Meldepflichten als Betreiber von Energieanlagen. Angesichts der immer weiter steigenden Komplexität im regulatorischen Umfeld, werden hier Beratungsdienstleistungen zunehmend nachgefragt.
Aufgrund der vielen Vorteile von EaaS stehen Industrieunternehmen zunehmend dem Verkauf eigener Energieanlagen an Energiedienstleister, meist verknüpft mit geplanten Modernisierungsinvestitionen, offen gegenüber. EaaS könnte sich als Schlüssel erweisen, um die nächsten Schritte für Industrieunternehmen auf ihrem Weg zu kosteneffektiver Nachhaltigkeit auszulösen.
Um die besten Lösungen bewerten zu können, müssen multinationale Unternehmen die individuellen Besonderheiten ihrer Standorte, die technischen Voraussetzungen, die lokalen Marktbedingungen und die lokale Regulierung kennen und analysieren sowie die Entwicklung der Energiekosten genau beobachten. Obwohl einige grundlegende Maßnahmen standortübergreifend angewendet werden können, erfordert jeder Markt beziehungsweise Standort Maßnahmen mit unterschiedlichem Komplexitäts- und Investitionsgrad und kann von günstigen Bedingungen vor Ort profitieren.
Wichtige Erkenntnisse für das Management
Nachhaltigkeits- und Energieeffizienz-Ambitionen sollten in konkrete Ziele und Verpflichtungen zusammengefasst werden, die Unternehmen erreichen müssen, indem sie quantifizierbare und messbare KPIs in Bezug auf ihr Geschäft verwenden. Bei der Einführung einer ehrgeizigen Energiemanagementstrategie im gesamten Unternehmen sollte man ein robustes Entscheidungsmodell in Betracht ziehen, das lokale Spezifikationen und Vorschriften berücksichtigt.
Unternehmen sollten sich der gesamten Bandbreite an Energielösungen bewusst sein, um die Ambitionen zu verwirklichen, einschließlich der Optionen für Energiebeschaffung, Energieerzeugung, Elektrifizierung, sowie Energieeffizienz und -optimierung. Investitionsbeschränkungen sollten wirkungsvolle Nachhaltigkeitsprojekte nicht verhindern, denn es stehen etablierte Finanzierungslösungen zur Verfügung, um die strategischen Ziele zu erreichen. Ein wichtiger Weg ist die Suche nach neuen Wegen der Finanzierung und Umsetzung dieser Projekte, beispielsweise durch ein EaaS-Modell.
Heinrich Tissen, Consultant der Energy & Utilities Practice bei der Strategieberatung Arthur D. Little