Netzbetreiber nutzt Software-Roboter im Kundendienst
Die Wolfsburger LSW Netz GmbH & Co. KG hat per Robotic Process Automation zunächst zwei ihrer Prozesse im Kundendienst automatisiert. Doch dies ist erst der Anfang.
Die LSW Netz sorgt im Raum Wolfsburg-Gifhorn dafür, dass die Menschen rund um die Uhr mit Strom, Erdgas, Fernwärme und Wasser versorgt werden. Die Auszeichnung als Top-Lokalversorger ist für die LSW Ansporn, ihre Kunden nicht nur optimal zu versorgen, sondern ihnen auch das gute Gefühl zu vermitteln, sich um all das gar keine Gedanken machen zu müssen. Dieser Anspruch ist für die LSW aber gleichzeitig auch eine große Herausforderung. Denn um der zunehmenden Komplexität der Prozesse in der Energiewirtschaft effizient begegnen zu können, müssen alle Interaktionsprozesse mit den Kunden schnell und einwandfrei funktionieren.
Das Thema Prozessautomatisierung steht für Jörn Milkereit, Bereichsleiter Abrechnung und Service und Informationsmanagement bei der LSW, deshalb nicht erst seit gestern auf der Agenda. Erste Schritte, Prozesse zu automatisieren, wurden über Makro-Funktionen schon vor einigen Jahren realisiert, um Informationen aus Excel-Tabellen in das Abrechnungssystem zu übertragen. Angesichts der zunehmenden Komplexität der Prozesse in der Energiewirtschaft war dem Bereichsleiter klar, dass er die hierfür benötigten Ressourcen nur schaffen konnte, indem er Mitarbeiter in größerem Umfang von der manuellen, zeitintensiven Bearbeitung von Massenprozessen befreite. Ein Gespräch mit Milad Safar, Managing Partner der Weissenberg Group, eröffnete einen Lösungsweg. Mit Robotic Process Automation (RPA) brachte der Weissenberg-Manager ein systemübergreifendes Tool ins Gespräch, das eine Automatisierung von Prozessen im großen Stil erlaubt.
Buttom-up zu drei RPA-Favoriten
Auch wenn Milkereit auf Anhieb zahlreiche automatisierbare Prozesse einfielen, war ihm von vorneherein klar, dass die Identifikation und die Auswahl der Prozesse nicht seine Aufgaben sein konnten: „Die Führungskräfte, Mitarbeiter und Teamleiter wissen aus dem Tagesgeschäft heraus wesentlich besser, wo der Schuh drückt, bei welchen Prozessen zu viele menschliche Ressourcen vergeudet und wo Unterstützung am dringendsten benötigt wird. Die Frage war nur, wie sich dieser Buttom-up-Ansatz realisieren ließ.“
Die „Weissenberg-Methode“ ist ein strukturiertes Verfahren, um Prozesse zu identifizieren, die sich besonders gut für eine Automatisierung mit RPA eignen – die sogenannten RPA-Favoriten – und bei dem die Mitarbeiter maßgeblich bei der Identifizierung der Prozesse mitwirken können.
Im Rahmen der arbeitsteiligen Methode haben die involvierten LSW-Mitarbeiter zunächst mögliche Prozesse für die Automatisierung mit RPA anhand einer Checkliste eigenständig und strukturiert aufgenommen. Nach einer ersten Bewertung konnte Weissenberg aus den RPA-Anwärtern etwa zehn Prozesse – die sogenannten RPA-Kandidaten – herausfiltern. Mittels Klickstrecken erstellten die involvierten LSW-Mitarbeiter mit der Unterstützung des IT-Dienstleisters für die RPA-Kandidaten eine detaillierte und RPA-konforme Prozessbeschreibung. Die Bewertung der Klickstrecken durch Weissenberg führte zu rund drei Prozessen, die sich besonders gut für die Automatisierung eignen, die sogenannten RPA-Favoriten. Unter Berücksichtigung der Ergebnisse hat die LSW ihre finalen RPA-Favoriten bestimmt, die automatisiert werden sollten: die Bearbeitung von Kundenumzügen und die Aufhebung von Ratenvereinbarungen.
Automatisierte Umzugsbearbeitung
Zieht ein Kunde der LSW um, musste eine Mitarbeiterin vor der Automatisierung des Prozesses per Hand den Umzug prüfen, die kompletten Ableseergebnisse ins System übertragen und den Vorgang abschließen, damit am Ende des Abrechnungsjahres auch eine Heizkostenabrechnung erstellt werden konnte. Mithilfe von RPA konnte der Prozess zu 80 % automatisiert werden, sodass jetzt bei einem Umzug nur noch in besonderen Fällen das Eingreifen eines Mitarbeiters notwendig ist.
Der eingesetzte RPA-Software-Roboter liest den Vorgang ein, lädt die Kundeninformationen des ausziehenden Kunden und prüft den Zählerstand. Danach überprüft er, ob der einziehende Kunde bekannt ist. Ist dies nicht der Fall, legt er den Vermieter/Eigentümer als Kunden an. Anschließend überprüft der Software-Roboter, ob die Ablesewerte vollständig sind. Falls nicht, wird der Vorgang zur späteren Bearbeitung zurückgestellt. Im nächsten Schritt ergänzt er die Kundeninformationen um die Daten des einziehenden Kunden und prüft, ob bereits ein Vertrag vorhanden ist. Liegt kein Vertrag vor, trägt er Vertragsart, Bezeichnung und Tarifdeklaration und Abschläge ein, berechnet weitere Beträge für Wasser/Kanal und trägt diese ebenfalls ein. Anschließend überprüft er, ob die Ablesewerte korrekt sind. Gegebenenfalls werden sie korrigiert. Zuletzt wird noch das Fälligkeitsdatum geprüft und notfalls aktualisiert. Nach einer abschließenden Prüfung auf Warnungen und Fehler wird der Vorgang durch den Software-Roboter an den Sachbearbeiter weitergeleitet.
Automatisierter Check von Ratenzahlungsverträgen
Im Bereich der Ratenvereinbarung waren zwei Mitarbeiter einmal in der Woche sieben Stunden damit beschäftigt, Ratenzahlungsverträge aufgrund rückständiger Ratenzahlungen manuell aufzuheben und den Vorgang an ein Inkassounternehmen weiterzuleiten. Rund 3 000 Ratenkreditvereinbarungen wurden von den Mitarbeitern pro Jahr auf diese Weise gekündigt. Dabei umfasste jeder Vorgang rund 50 Prozessschritte. Dieser Prozess konnte zu 100 % automatisiert werden.
Nach der erfolgreichen Umsetzung prüft der Software-Roboter jetzt tagesaktuell binnen einer Minute, welche Kunden mit der Ratenzahlung im Rückstand sind. Dabei prüft er, ob überfällige Zahlungen vorhanden sind, ob der aktuell fällige Betrag größer oder gleich dem ursprünglichen Betrag ist, ob ein Eintrag in der Kundeninformationsbeschreibung mindestens drei Tage überfällig ist und überspringt den Kunden, wenn die Antwort jeweils „nein“ lautet. Zudem überprüft er, ob die letzte Mahnung jünger als 15 Tage ist und überspringt den Kunden, wenn die Antwort „ja“ lautet. Ist ein negativer Betrag in der Kundeninformation vorhanden, erstellt er einen Buchungsbeleg. Bei einem vollen Buchungsbeleg schickt das System eine E-Mail mit dem Buchungsbeleg als Anhang an den Sachbearbeiter. Stellt der Software-Roboter fest, dass der Kunde mit seinen Raten schon länger im Rückstand ist, hebt er den Ratenvertrag auf und übergibt den Vorgang an ein Inkassounternehmen.
Interessante Lerneffekte
„Wir waren immer davon ausgegangen, dass es bei der LSW keine zehn Prozesse gibt, deren Automatisierung sich wirtschaftlich lohnen würde. Aber die Weissenberg-Methode hat uns eines Besseren belehrt. Mit ihrer Hilfe haben wir bereits mehr als zehn Prozesse identifiziert, die wir sukzessive automatisieren werden. Die von Weissenberg entwickelte Methode ist dabei nicht nur ein geeignetes Mittel, um generell automatisierbare Prozesse zu identifizieren, sondern auch, um deren Automatisierungsgrad zu erfassen. Das passt hervorragend zu unserem Verständnis von Digitalisierung bei der LSW, da wir darunter in erster Linie die Automatisierung von Prozessen verstehen“, zeigt sich Milkereit als Projektverantwortlicher von dem Ergebnis der Methode angenehm überrascht.
Darüber hinaus hat Milkereit bei den involvierten Mitarbeitern auch einen Lerneffekt feststellen können. Durch die Arbeit mit der Weissenberg-Methode haben die Mitarbeiter ein tieferes Prozessverständnis entwickelt, da ihr Fokus auf die Erstellung der richtigen Reihenfolge der Klickstrecken gelenkt wurde. Dieses geschärfte Prozessverständnis wirkt sich wiederum positiv auf die Umsetzung weiterer Automatisierungsprojekte aus, die unternehmensweit in nächster Zeit noch geplant sind. Nicht zuletzt deswegen ließ die Projektleitung gleich fünf ihrer Mitarbeiter von der Weissenberg Group zu Business Analysten ausbilden, die die weiteren Automatisierungsprojekte jetzt intern begleiten können. Zudem werden sich die Projekte nicht nur auf den Abrechnungs- und Servicebereich beschränken, wie Milkereit betont. Aufgrund des allgemeinen Kostendrucks in der Energiebranche und der steigenden Komplexität der Prozesse müssen die Mitarbeiter bereichs- und systemübergreifend von zeitraubenden Routineaufgaben befreit werden, um mehrwertstiftende Aufgaben übernehmen zu können.
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Dr. Alfried Große, Agentur prtogo