Warum es Klimaneutralität ohne grüne E-Fuels nicht gibt
Die EU-Klimaziele sind klar, der Weg dahin ist es nicht. Was sich abzeichnet: Viele Bereiche können nur mithilfe von grünen Brennstoffen wie Wasserstoff, Ammoniak und Methanol dekarbonisiert werden. Ein Projekt in Norwegen ist nicht nur hinsichtlich der Dimensionen interessant.
Bisher hat vor allem der Stromsektor die Treibhausgas (THG)-Emissionen gesenkt: Laut der Internationalen Energieagentur (IEA) kamen 2020 weltweit rund 29 % des erzeugten Stroms aus erneuerbaren Quellen wie Wind-, Sonnen- und Wasserkraft. Viele Branchen sowie private Haushalte haben ihren CO2-Fußabdruck mit grünem Strom bereits deutlich verkleinert und könnten so auf einfache Weise klimaneutral werden.
Nachhaltiger Strom nicht immer die Lösung
Eine ganze Reihe industrieller Prozesse lässt sich aber nicht oder nur teilweise elektrifizieren. In der Metallindustrie etwa sind Kohle oder Erdgas nicht vollständig durch Strom zu ersetzen, weil der darin enthaltene Kohlenstoff auch als Reduktionsmittel wirkt. Dank ihm wird aus Eisenerz Roheisen, das Vorprodukt von Gusseisen und Stahl.
Auch im Transportwesen kann Strom nicht alle Emissionsprobleme lösen. Während es im Individualverkehr derzeit so aussieht, als setze sich das E-Auto durch, ist diese Entwicklung im Schwerlastverkehr weniger deutlich. Hier fallen die schweren Lithium-Ionen (Li-Ion)-Batterien aufgrund des enormen Energiebedarfs von Lkw auf Langstrecken buchstäblich zu stark ins Gewicht. Dies gilt erst recht bei Schiffen, bei denen ausreichend große Akkumulatoren kaum noch Raum für Passagiere oder Güter lassen würden.
In der Luftfahrt ist es noch extremer. Nur um die Dimensionen zu verdeutlichen: Ein vollgetankter Jumbojet hat etwa 160 t Flugbenzin an Bord. Ein Li-Ion-Akku mit derselben Menge Energie würde mehr als 10 000 t wiegen, also fast das 30-fache des maximalen Startgewichts eines Jumbos.
Erneuerbare Chemikalien als Energiespeicher
Die Lösungen zur Dekarbonisierung dieser Branchen liegen in den sogenannten Power-to-X-Technologien. Dabei werden Brennstoffe wie Wasserstoff, Ammoniak, Methanol oder Flugbenzin mithilfe von Strom erzeugt. Manche dieser „E-Fuels“ können vollkommen ohne THG-Emissionen erzeugt und genutzt werden, andere gelten je nach Verfahren als klimaneutral.
Wenn Wasserstoff unter Einsatz erneuerbaren Stroms per Elektrolyse gewonnen wird, gilt er als grün. Wird er dann in Brennstoffzellen, Heizthermen oder Verbrennungsmotoren genutzt, um Strom und Wärme zu erzeugen, entsteht als einziges Nebenprodukt Wasserdampf.
In einem weiteren Schritt lässt sich grüner Wasserstoff emissionsfrei zu Methanol, E-Kerosin oder Ammoniak „synthetisieren“. Im Falle von Methanol und E-Kerosin geschieht dies durch die Verbindung mit Kohlendioxid, im Falle von Ammoniak mit Stickstoff. Da bei ihrer Verbrennung nicht mehr Kohlendioxid oder Stickstoff anfallen, als der Luft zuvor entnommen wurde, gelten die Derivate als klimaneutral.
Grüne Doppelgänger etablierter Kraftstoffe
Die nachhaltigen Kraftstoffe können so eingesetzt werden wie ihre fossilen Doppelgänger. Ab 2026 verpflichtet die Bundesregierung Airlines, dem konventionellen Kerosin 0,5 % „Sustainable Aviation Fuel“ (SAF) beizumischen.
In Schiffen können sogenannte „Dual Fuel Engines“ sowohl Schiffsdiesel als auch Methanol verbrennen – fossiles oder erneuerbares. Die dänische Unternehmensgruppe Maersk will 2023 ein Containerschiff mit einem solchen Antrieb in Betrieb nehmen. Laut der schwedischen Reederei Stena Line fährt die „Stena Germanica“ bereits seit 2015 als erste Fähre der Welt mit Methanolantrieb.
Nachhaltig produziertes Methanol kann als wichtiger Grundstoff unter anderem für Farben, Medikamente und Pflanzenschutzmittel zudem dabei helfen, verschiedene Industriezweige zu dekarbonisieren.
Tausendsassa grüner Wasserstoff
Ein noch wesentlich breiteres Anwendungsspektrum hat Wasserstoff. Auch er ist ein wichtiger Grundstoff – etwa in der pharmazeutisch-chemischen Industrie und nicht zuletzt für alle anderen genannten Synthesebrennstoffe. In der Stahlindustrie kann er den Kohlenstoff als Reduktionsmittel ersetzen. Der Autobauer Volvo hat bereits 2021 ein Fahrzeug aus solchem „H2-Stahl“ vom schwedischen Stahlhersteller SSAB gebaut.
Außerdem gilt Wasserstoff selbst als Hoffnungsträger für Fernlastverkehr sowie Luft- und Schifffahrt. Die aufwendigere Anlage – mit Hochdrucktank, Brennstoffzelle und Akku zur Zwischenspeicherung des Stroms – lohnt sich hier wegen des – verglichen mit Akkus – wesentlich günstigeren Verhältnisses von Energiegehalt und Gewicht. Airbus will 2035 erste kommerzielle Nullemissionsflugzeuge anbieten.
Wasserstoff – das flüchtige Gold?
Für die meisten dieser Energieträger existieren seit Jahrzehnten Lager- und Transportmöglichkeiten. Nicht so bei Wasserstoff: Bisher wird er – zeitlich und räumlich nah am Verbrauch – zu fast 100 % aus Erdgas gewonnen. Für den Transport muss er wegen seiner geringen Dichte mit mehreren Hundert Bar verdichtet werden. Für größere Strecken wird er meist verflüssigt. Dafür aber muss er auf – 253 °C abgekühlt werden. Dieser Prozess kann bis zu einem Drittel der Energie kosten, die in der verflüssigten Menge H2 gespeichert ist. Die fortwährende Kühlung verschlingt zusätzlich pro Tag bis zu 3 % des Energiegehalts.
Da sich der Bau von Elektrolyseuren zur Erzeugung von grünem Wasserstoff nur bei hoher Auslastung lohnt, müssen sie hauptsächlich dort installiert werden, wo viel preiswerte Sonnen-, Wind- oder Wasserkraft verfügbar ist. Deshalb bauen Hy2gen und der dänische Fondsmanager Copenhagen Infrastructure Partners einen 240-MW-Elektrolyseur im norwegischen Küstenort Sauda. Das Konsortium rechnet dank reichlich vorhandener Wasserkraft mit einer Auslastung von 95 %.
Ammoniak – der bessere Wasserstoff?
Um den Wasserstoff kostengünstig und verlustfrei zu transportieren, soll er in Sauda aber nicht verflüssigt werden. Stattdessen sehen die Pläne vor, den Wasserstoff vor Ort mit Stickstoff aus der Umgebungsluft zu Ammoniak zu verbinden. Ammoniak hat gegenüber H2 mehrere Vorteile: Es verflüssigt sich bei – 33 °C oder einem Druck von 9 bar bei Raumtemperatur. Die Verflüssigung kostet dadurch einen Bruchteil an Energie. Flüssiges Ammoniak lässt sich ohne weiteren Aufwand in Metalltanks lagern und transportieren. Zudem stecken in flüssigem Ammoniak ein Drittel mehr Wasserstoffmoleküle als in demselben Volumen Flüssig-H2.
Auch Ammoniak kann als Treibstoff verwendet werden. In Hochtemperatur-Brennstoffzellen (SOFC) erfolgt dies vollkommen emissionslos. Bis Ende 2023 will die norwegische Reederei Eidesvik ihr Versorgungsschiff „Viking Energy“ auf einen solchen Antrieb umrüsten.
MAN will bis 2024 einen Zweitaktschiffsmotor entwickeln, der mit Ammoniak betrieben wird. Um auch in solchen Aggregaten auszuschließen, dass klimawirksames Lachgas (N2H) entsteht, muss das Ammoniak kurz vor der Nutzung in Stickstoff und Wasserstoff „gecrackt“ werden.
Im Gegensatz zu Wasserstoff ist Ammoniak zwar giftig, dafür kann es allerdings auch nicht explodieren. Größere Unfälle gibt es kaum, obwohl Ammoniak – nach Schwefelsäure – die häufigste Chemikalie der Welt ist.
Politik und Wirtschaft müssen Hand in Hand arbeiten
Wasserstoff und Synthesekraftstoffe sind nach heutigem Stand unerlässlich, um eine Reihe von Industrie- und Verkehrszweigen zu dekarbonisieren. Allerdings ist ihre nachhaltige Gewinnung sehr energieintensiv. Bisher ist keiner der grünen Energieträger wettbewerbsfähig: Die Erzeugungskosten sind zu hoch, der grüne Strom zu knapp.
Wenn aber Wirtschaft und Politik eng zusammenarbeiten, könnte grüner Ammoniak zwischen 2030 und 2040 zu konkurrenzfähigen Preisen und in relevanten Mengen verfügbar sein, nachhaltiges E-Methanol um 2040. Die Ankündigung von Finanzminister Christian Lindner, bis 2026 etwa 200 Mrd. € in Klimaschutz, Ladeinfrastruktur und Wasserstofftechnologie zu investieren, weist in die richtige Richtung. Doch um wettbewerbsfähig zu werden, brauchen nachhaltige Energieträger gegenüber konventionellen größere fiskalische Vorteile – am besten auf internationaler Ebene.
Cyril Dufau-Sansot, Chief Executive Officer von Hy2gen