Wie Hamburg zum Vorreiter beim grünen Wasserstoff werden will
Norddeutschlands größte Metropole muss ihre Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen und ihren CO2-Ausstoß reduzieren. Um ihre Industrie nachhaltig zu transformieren, ist Wasserstoff das Mittel der Wahl – Wirtschaft und Politik sind sich einig. Der Standort bietet bedeutsame Vorteile zum Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft.
Die Freie und Hansestadt Hamburg ist berühmt für den größten deutschen Seehafen, der ein großes innerstädtisches Industriezentrum bildet. Außer der Maritimen Wirtschaft verdankt die Stadt weiteren Schlüsselbranchen ihre Bedeutung – beispielsweise der modernen Luftfahrtindustrie, aber auch der Grund- und Rohstoffindustrie, die Stahl, Kupfer und Aluminium produzieren. Diese Wirtschaftszweige tragen die DNA des 20. Jahrhunderts in sich, in dem die Klimabilanz bei den Unternehmenszielen nur eine unwesentliche Rolle spielte. Die Stadt muss angesichts des Klimawandels sauberer und nachhaltiger werden – das ist beschlossene Sache.
Der aktuelle Klimaschutzplan, dessen verbindliche Umsetzung das Hamburgische Klimaschutzgesetz sicherstellen soll, sieht nach gegenwärtigem Stand Klimaneutralität bis 2050 vor. Es ist zu erwarten, dass diese Jahreszahl schon bald deutlich nach unten korrigiert wird – Hamburgs grüner Umweltsenator Jens Kerstan (Bündnis 90/Die Grünen) deutete kürzlich an, das neue Ziel der Bundesregierung von 2045 unterbieten zu wollen, als er in der Hamburgischen Bürgerschaft sagte: „Mit dem Anspruch, den Hamburg bisher an den Tag gelegt hat, Vorreiter zu sein und Blaupausen für die Zukunft zu entwickeln, brauchen wir für Hamburg ein ehrgeizigeres Ziel.“
Viel Arbeit bis zur funktionierenden Wasserstoffwirtschaft
Wasserstoff ist dabei der große Hoffnungsträger. In den metallurgischen Produktionsanlagen, wie auch in vielen Bereichen der Logistik, ist der Einsatz von Wasserstoff die aussichtsreichste Lösung, um fossile Energieträger zu ersetzen. Eine Mammutaufgabe für den Industriestandort Hamburg, da eine fundamentale Systemtransformation angestoßen werden muss: Um eine funktionierende Wasserstoffwirtschaft entlang der gesamten Wertschöpfungskette aufzubauen, mit entsprechenden Schnittstellen von Erzeugern, über Transport und Distribution bis zu Abnehmern, die ihre fossilen Prozesse zudem noch aufwendig auf Wasserstoffeinsatz umstellen müssen, sind enorme Anstrengungen nötig.
Diese müssen die Unternehmen und Politik leisten. Letztere muss die Regulatorik anpassen und Anreize so setzen, dass einerseits die Investitions- und Gestehungskosten für Wasserstoff sinken, andererseits die Weiterverwendung fossiler Rohstoffe unrentabler wird. Das erreicht sie beispielsweise durch eine höhere CO2-Steuer und eine Befreiung des Grünstroms für die Elektrolyse von der EEG-Umlage. Am wichtigsten: Um die Klimaziele zu erreichen und eine Wasserstoffwirtschaft überhaupt möglich zu machen, ist ein deutlicher Ausbau der erneuerbaren Energien dringend notwendig. Nur wenn der Wasserstoff nachhaltig, also ohne den Einsatz fossiler Brennstoffe, erzeugt wird, kann eine Dekarbonisierung erreicht werden.
Grüner Strom aus den Nachbarländern
Bis heute wird Wasserstoff fast vollständig aus Erdgas gewonnen, wobei CO2 frei wird – man spricht von grauem Wasserstoff. In Hamburg kann er aber aus dem in großen Mengen verfügbaren Grünstrom der windkraftstarken Nachbarbundesländer und der Offshore-Windparks der Nordsee per Elektrolyse klimaneutral als grüner Wasserstoff gewonnen werden. Durch die geografische Nähe kann die benötigte Energie systemdienlich, also ohne große Transportverluste und umfangreichen Leitungszubau nach Hamburg gelangen und der Wasserstoff wiederum leicht zu den örtlichen Verbrauchern. Diese ausgeprägte und konzentrierte Produzenten- und Abnehmerstruktur für grünen Wasserstoff im Norden ist ein Vorteil gegenüber anderen Regionen. Zusätzlich schafft die bestehende Hafeninfrastruktur die Voraussetzungen für künftige Importkapazitäten.
Weltgrößter Elektrolyseur im Hafen geplant
Um die heimische Industrie mit Wasserstoff versorgen zu können, plant ein Konsortium aus den Unternehmen Wärme Hamburg, Shell, Vattenfall und Mitsubishi Heavy Industries (MHI) am Standort des 2020 stillgelegten Kohlekraftwerks Moorburg den Bau eines 100-MW-Elektrolyseurs. Bei seiner geplanten Inbetriebnahme 2025 wäre er voraussichtlich der größte der Welt und könnte bis zu 30 t Wasserstoff am Tag produzieren. Potenziell ist diese Leistung sogar skalierbar und könnte in mehreren Ausbaustufen mehr als doppelt so hoch sein. Mit nur 60 km neuen Leitungen für ein städtisches Wasserstoffnetz kann dann ein Großteil der Industrieunternehmen mit grünem Wasserstoff versorgt werden.
Qualifiziert für europäische Förderung
Berechtigte Hoffnung auf eine tatsächliche Umsetzung gibt die kürzliche Bekanntgabe: Das Projekt steht auf der Shortlist des Bundeswirtschaftsministeriums (BMWi) für die „Important Projects of Common European Interest“ (IPCEI), zusammen mit sieben weiteren Projekten aus dem Hamburger Wasserstoffverbund. Konkret bedeutet dies, dass die Projekte mit einer Gesamtfinanzierungslücke an Investitionskosten von rund 520 Mio. € für den Notifizierungsprozess bei der Europäischen Kommission ausgewählt wurden.
Diese Projekte vereinen mehrere Ansätze für Wasserstoffanwendungen in den Bereichen Infrastruktur, Industrie und Logistik. Die Unternehmen im Wasserstoff-Verbund können bis 2026 durch ihre Anwendungsprojekte die CO2-Emissionen in Hamburg um 170 000 t/a senken. Hinzu kommen weitere Projekte, die nicht Teil des Verbunds sind.
17 000 Lkw pro Tag fahren Hafen an
Das Dekarbonisierungspotenzial ist sogar noch höher, wenn man den Güterverkehr mitdenkt. Alleine 17 000 Lkw fahren pro Tag den Hafen an, die mit Brennstoffzellen ausgestattet als weiterer starker Hebel für die Einsparung von CO2-Emissionen dienen könnten.
Doch um den gesamten Wasserstoffbedarf zu decken, müssen weitere lokale Elektrolysekapazitäten geschaffen werden. Eine Voraussetzung dafür ist, dass die Wasserstofftechnologie gemeinsam mit den Investoren weiterentwickelt wird, um eine Skalierung und Kostensenkung zu erreichen. Die Wasserstoffwirtschaft am Standort Hamburg kann aber nicht nur wegen der örtlichen Projekte Modellcharakter haben, sondern auch im gesamteuropäischen Kontext eine wichtige Funktion erfüllen.
Drehscheibe für Importe von grünem Wasserstoff
Trotz der guten Prognosen und der ambitionierten Erzeugungspläne wird die Vor-Ort-Produktion von Wasserstoff nur einen Teil der lokalen Nachfrage bedienen können. Der jetzige Bedarf der hamburgischen Industrie liegt bereits bei rund 60 000 t/a und wird sich bis 2030 voraussichtlich verdoppeln. Es wird also unabdingbar sein, Wasserstoff zu importieren. Hamburg hat das Potenzial, sich zu einem Knotenpunkt für Importe per Schiff und Pipeline zu entwickeln.
Der „Green Hydrogen Hub“ im Hafen bietet sich an für ein Importterminal, das direkt Zugang zum Wasserstoffnetz hätte. Ferner wurden im Rahmen der IPCEI-Nominierung mehrere Pipeline-Projekte in Norddeutschland, wie der „HyPerLink“ von Gasunie, berücksichtigt. Diese könnten in einigen Jahren Hamburg an die sich entwickelnden Wasserstoffindustrien in Skandinavien und in den Niederlanden anschließen.
Bis zu 25 Prozent des grünen Wasserstoffs aus Dänemark
Gemeinsam mit Energinet erstellte Gasunie kürzlich eine Machbarkeitsstudie für eine 350 bis 450 km lange Wasserstoffleitung von Esbjerg oder Holstebro in Dänemark bis nach Hamburg. In Dänemark gibt es durch den ebenfalls reichlich vorhandenen Strom aus Offshore-Windenergie und den geringen zu erwartenden Eigenbedarf an Wasserstoff ein großes Exportpotenzial.
Gasunie gibt an, dass abhängig von der unterstellten Gesamtentwicklung bis zu 25 % des deutschen Bedarfes an grünem Wasserstoff über Importe aus Dänemark gedeckt werden können. Auch in den Niederlanden laufen mit dem Großprojekt „NortH2“ Wasserstoffproduktionspläne an, die mit Hamburg per Pipeline verbunden werden können.
Kein Start bei null
In der Metropolregion gab es in den letzten Jahren eine Vielzahl an Reallaboren und Pilotprojekten, sodass für die Integration von Wasserstoff in das Energiesystem auf Erfahrungen aufgebaut werden kann. Im Rahmen des Modellprojektes „Norddeutsche Energiewende 4.0“ (NEW 4.0), waren in Hamburg bereits mehrere Demonstratoren aus den unterschiedlichen Sektoren verortet. Auch beim 2021 gestarteten Nachfolgeprojekt „Norddeutsches Reallabor“, das einen stärkeren Fokus auf Wasserstoff legt, ist Hamburg vertreten. Hierbei soll die ganzheitliche Transformation des Energiesystems erprobt und so der Weg zu einer schnellen Dekarbonisierung aller Verbrauchssektoren demonstriert werden.
Unterstützung durch Cluster Erneuerbare Energien Hamburg
Nicht nur bei der Infrastruktur hat Hamburg gute Standortbedingungen zum Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft; die Wirtschaft wird bei der großen Aufgabe durch ein Netz von städtischen Institutionen unterstützt. Das Cluster Erneuerbare Energien Hamburg (EEHH) hat im Bereich Sektorenkopplung in den vergangenen Jahren bereits Kompetenzen und Erfahrungen auf dem Gebiet Wasserstoff gewonnen und in diesem Jahr Wasserstoff als neues Schwerpunktthema definiert. Mit dem Aufbau der neuen integrierten Wasserstoff-Clusterstruktur legt es ein fachliches Fundament für die Bedürfnisse der wachsenden Fach-Community.
Das Cluster entwickelt Schnittstellen in und zwischen Branchen, identifiziert übergreifende Themen und baut das Netzwerk von Unternehmen, Hochschulen und Forschungseinrichtungen aus. Außerdem setzt es sich für bessere politische Rahmenbedingungen ein, indem es sich beispielsweise in engem Austausch mit den Küstenbundesländern für eine bessere Regulatorik stark macht. In Zusammenarbeit mit der Stabsstelle Wasserstoffwirtschaft der Behörde für Wirtschaft und Innovation und weiteren städtischen Akteuren – darunter weitere Branchencluster – verbreitet es relevante Informationen, initiiert Kooperationen und fördert den branchenübergreifenden Austausch.
Grüner Wasserstoff weiter ein knappes Gut
Mit dem Wasserstoff bietet sich für die europäische Volkswirtschaft und insbesondere für Hamburg die Gelegenheit, die Energiewende auch in den bisher schwer dekarbonisierbaren Branchen umzusetzen. Dabei darf jedoch nicht das Missverständnis aufkommen, Wasserstoff sei der „Dritte Weg“ oder das „Allheilmittel“. Er ist mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien aus uunter anderem Windkraft und Photovoltaik eng gekoppelt: nur mit einem deutlichen Ausbau der erneuerbaren Energien kann eine Wasserstoffwirtschaft entstehen.
Auch in Zukunft wird grüner Wasserstoff ein knappes Gut sein und sollte schwerpunktmäßig in Branchen eingesetzt werden, deren CO2-Einsparungspotenzial am größten ist. In Hamburg liegen gute Voraussetzungen vor, eine komplette Wasserstoffwirtschaft im Maßstab zu errichten und dabei Akteure zu verzahnen und Prozesse einzuüben. Solche Schaufenster sind ein wichtiger Schritt zu einer landesweiten Wasserstoffwirtschaft bis 2045.
Oliver Schenk, Marketing Wasserstoff bei der Erneuerbare Energien Hamburg Clusteragentur GmbH (EEHH)