Mehr Transparenz für eine erfolgreiche Energiewende
Schwer kalkulierbare Lastspitzen, wechselhaftes Verbrauchsverhalten und immer komplexere Anlagen: Die Energiewende bringt für Versorger und Netzbetreiber große Herausforderungen mit sich. Moderne Datenanalysen schaffen Klarheit, steigern die Kundschaftsbindung und ermöglichen eine nachhaltigere Energieerzeugung.
740 Mio. t Treibhausgase gelangten laut Bundesumweltamt 2020 allein in Deutschland in die Luft – keine Entwarnung für den voranschreitenden Klimawandel. Die Bundesregierung reagierte daher mit ambitionierten Klimazielen: 65 % weniger Emissionsausstoß bis 2030 im Vergleich zu 1990, Klimaneutralität bis 2045. Spätestens im Jahr 2038 soll in Deutschland das letzte Kohlekraftwerk seinen Betrieb einstellen. Um auch danach eine zuverlässige Energieversorgung zu gewährleisten, muss zukünftig deutlich mehr Strom aus regenerativen Energiequellen kommen. Aktuell beträgt der Anteil der erneuerbaren Energien an der Nettostromerzeugung etwa 50 %.
Der Haken: Wenn dieser Anteil wächst, können Versorger nur noch schwer zuverlässige Vorhersagen über ihre geplanten Strommengen treffen. Denn anders als Kohle und Co. liefern Sonne, Wasser und Wind nicht durchgängig die gleiche Menge an Energie. Solche Prognosen sind für Energieerzeuger aber wichtig, um stabile Stromnetze zu gewährleisten und einem Stromüberschuss vorausschauend entgegenzusteuern.
Mehr Nachhaltigkeit durch zuverlässige Verbrauchsprognosen
Weil die Leistung von Solar- und Windkraftanalagen über weite Strecken von der Wetterlage abhängig ist, können die Betreiber nur schwer vorhersagen, wie produktiv die Anlagen sind. An einem sonnigen Tag mit starken Brisen können die Anlagen bisweilen enorme Mengen an Strom produzieren – es kommt zu einem Überschuss. Die Betreiber der Solar- und Windkraftanalagen haben durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) aber die Garantie, diesen Strom jederzeit in das Netz einspeisen zu dürfen.
Die Netzbetreiber sind derweil dazu verpflichtet, den Ökostrom gegenüber der herkömmlich erzeugten Energie zu bevorzugen. Sie müssen den überschüssigen Strom aus den Kraftwerken über die Strombörse ins Ausland verkaufen. Bessere Prognosen könnten daher helfen, potenzielle Überproduktionen aus regenerativen Quellen besser einzuschätzen und die Leistung klassischer Kraftwerke schon frühzeitig herunterzufahren. Das Ergebnis: eine effizientere Nutzung des Ökostroms und weniger Belastung für die Umwelt.
Valide Daten für tragfähige Vorhersagemodelle
Damit Energieversorger die schwankenden Lasten möglichst effizient voraussagen und ausgleichen können, sind sie bei ihren Kalkulationen auf moderne Methoden der Datenanalyse angewiesen. Mit Technologien wie Machine Learning erzielen Versorger bessere Prognosen über potenzielle Veränderungen auf Nachfrageseite und reagieren schneller auf eine drohende Über- oder Unterproduktion bei der Energieerzeugung.
Die wachsende Verbreitung von intelligenten Stromzählern (Smart Meter) wird diese Abläufe in Zukunft stark begünstigen, da Versorger und Netzbetreiber eine deutlich stärkere Datenbasis für ihre Analysen erhalten. Einer Umfrage von PwC zufolge haben aber 60 % der befragten Energieversorger noch nicht in Smart Metering investiert. Dabei bieten die intelligenten Stromzähler zusammen mit den richtigen Datenplattformen enormes Potenzial: Die Versorger erhalten umfangreiche Einblicke in das Verbrauchsverhalten ihrer Kundschaft und können auf dieser Basis nicht nur effizienter mit ihren Energieressourcen wirtschaften, sondern mit den aggregierten Daten auch neue Geschäftsmodelle aufbauen.
Smarte Lösungen für bessere Kundschaftserlebnisse
Wie das in der Praxis aussieht, zeigt beispielsweise awattar: Der österreichische Energieversorger bietet seinen Kundinnen und Kunden variable Stromtarife an, die sich stündlich an den Preisen der Strombörsen orientieren. Mit intelligenten Stromzählern können Verbraucherinnen und Verbraucher auf diese Weise energieintensive Tätigkeiten wie zum Beispiel Waschen, Trocknen oder das Laden eines E-Autos in günstigere Tageszeiten verschieben und ihre Stromkosten senken.
Andere Geschäftsmodelle schärfen wiederum das Bewusstsein der Verbraucherinnen und Verbraucher für einen nachhaltigeren Energieverbrauch: Mit Apps oder Portalen, die die Daten der intelligenten Stromzähler visuell aufbereiten, erhalten Kundinnen und Kunden einen genauen Überblick über ihr Verbrauchsverhalten. Sie können an kritischen Stellen gezielt gegensteuern und so beispielsweise ihre Nachzahlungsprognose beeinflussen. Energieversorger profitieren durch diese Transparenz wiederum von einer stärkeren Kundschaftsbindung.
Vernetztes Anlagenmanagement stärkt intelligente Stromnetze
Um die Energiewirtschaft ganzheitlich zu transformieren, braucht es aber nicht nur intelligente Stromzähler, sondern eine durchgängige Vernetzung aller Komponenten und Prozesse – sogenannte Smart Grids, also durchgängig automatisierte und intelligente Stromnetze. Auch dafür spielen Daten eine zentrale Rolle: Erst wenn die Betreiber alle relevanten Informationen ihrer Anlagen vollständig erfassen und analysieren, können sie das Zusammenspiel der einzelnen Komponenten optimieren und so für mehr Nachhaltigkeit sorgen.
Intelligentes Anlagenmanagement als Basis
Ein intelligentes Anlagenmanagement bildet die Grundlage für solche Prozesse. Dabei verbinden spezielle Lösungen mit einem netzwerkorientierten Ansatz die wesentlichen Stationen der Energieerzeugung, erfassen alle relevanten Daten und visualisieren die Informationen schließlich in Echtzeit auf einem Dashboard. Auf diese Weise können Machine-Learning-Lösungen beispielsweise die arbeitsintensive Korrektur unplausibler Ablesungen unterstützen: Mit einer entsprechenden Datengrundlage identifizieren die Algorithmen fehlerhafte Messwerte und passen diese automatisch an. Das schafft wiederum eine zuverlässigere Datenbasis für die Erstellung von Verbrauchsprognosen.
Zentrales Repository für die erhobenen Daten
Um einen möglichst reibungslosen Informationsfluss zwischen den Komponenten eines intelligenten Stromnetzes zu gewährleisten, brauchen die Betreiber ein zentrales Repository für die erhobenen Daten, wie es beispielsweise die „SAP Cloud for Energy“ bietet. Wichtig: Die API einer solchen Lösung müssen gängige Standards des Energiemarkts wie das Common Information Model (CIM) unterstützen. Die Schnittstelle stellt Dienste bereit, über die Anwendungen auf Messdaten und zugehörige Zählerstammdaten für die Geschäftsprozesse zugreifen und diese verwalten können.
Klares Bekenntnis für die Zukunft
Energieversorger und Netzbetreiber profitieren nicht nur bei der Lastplanung und Interaktion mit Kundinnen und Kunden von intelligenten Datenanalysen, sondern können die Möglichkeiten der Technologie auch auf viele andere Bereiche übertragen.
Mit Predictive Maintenance optimieren beispielsweise viele Unternehmen die Wartungsintervalle ihrer Anlagen und sparen Servicekosten. Auch bei der Erfüllung der strengen Compliance-Vorgaben im Energiesektor können automatisierte Datenanalysen unterstützen, indem sie Abweichungen erkennen und entsprechende Warnmeldungen ausgeben.
Neudefinition der Energiewirtschaft
Die Energiewende bringt nicht nur große Herausforderungen mit sich, sondern bietet auch enorme Chancen – sowohl für die Verbraucherinnen und Verbraucher als auch für die Versorger. Um diese Möglichkeiten voll auszuschöpfen, ist jetzt Handeln nötig: Investitionen in Smart-Grid-Technologien und intelligente Datenlösungen für die Energiewirtschaft sind keine abstrakten Leuchtturmprojekte, sondern ein klares Bekenntnis für die Zukunft. Um den Folgen des Klimawandels etwas entgegenzusetzen, ist eine Neudefinition der Energiewirtschaft unausweichlich.
Nikolaus Hagl, Senior Vice President Sales Public & Energy und Mitglied der Geschäftsleitung bei SAP Deutschland