Wie Mülheim an der Ruhr im Fernwärmenetz Kosten und CO2-Emissionen reduziert
Die seit Oktober 2021 geltende Fernwärme- oder Fernkälte-Verbrauchserfassungs- und -Abrechnungsverordnung verpflichtet Wärme- und Kältenetzbetreiber zur Digitalisierung der Verbrauchszähler. Der Energieversorger medl hat dafür ein LoRaWAN-Netzwerk aufgebaut.
Das Thema Digitalisierung stellt viele Unternehmen vor große Herausforderungen und Aufgaben, aber auch vor viele Möglichkeiten und Chancen. Insbesondere Stadtwerke oder allgemein kommunale Energieversorger nutzen die Digitalisierung, um eigene Prozesse und Entwicklungen zu optimieren und zu verbessern. So werden durch diese Optimierungsprozesse beispielsweise neue Möglichkeiten und Optionen in Bezug auf die Zählerfernauslesung und nachhaltige Neugestaltung von Wärmenetzen geschaffen. Im Hinblick auf das Voranschreiten und die weltweit steigende Bedeutung der Digitalisierung schreibt die Europäische Union mit dem Ziel der Förderung von Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung seit 2012 die Energieeffizienz-Richtlinie (Energy Efficiency Directive, EED) vor. Die EED muss demnach in nationalem Recht erfasst und durchgeführt werden.
Dafür wurde in Deutschland die Fernwärme- oder Fernkälte-Verbrauchserfassungs- und -Abrechnungsverordnung (FFVAV) umgesetzt. Diese ist am 5. Oktober 2021 in Kraft getreten. Diese Verordnung sieht vor, Wärme- oder Kältezähler fernauslesbar zu realisieren. Eine manuelle Ablesung durch Personal wird dadurch redundant. Alle Wärme- und Kältezähler, die davor verbaut wurden, müssen bis zum 31. Dezember 2026 nachgerüstet oder ausgetauscht werden.
Neue Techniken und Methoden beherrschen
Demnach müssen Stadtwerke und Energieversorger der Verordnung Folge leisten sowie neue Techniken und Methoden beherrschen, damit die neuen Digitalisierungsanforderungen an die Zählerfernauslesung gemeistert werden können. Gleichzeitig bietet die Fernauslesung via Long Range Wide Area Network (LoRaWAN) eine effiziente und kostengünstige Möglichkeit, die Zähler der Verbrauchsseite sowie Erzeugungszähler kleinerer Anlagen – bei denen eine Ausstattung mit einer Steuerung wie der „S7“ von Siemens und übergeordneten Leitsystemen wie dem „WinCC“ von Siemens unverhältnismäßig wäre – in beispielsweise Energiedatenmanagementsysteme zu überführen.
Um nicht nur den Digitalisierungsanforderungen, sondern auch den Stand der Technik zukünftig mit adäquater und sicherer Herangehensweise umzusetzen, kooperiert die medl GmbH, ein Energieversorger aus Mülheim a. d. Ruhr, seit 2020 mit dem Bochumer IT-Security-Start-up Physec. Der Fokus von Physec liegt hierbei nicht nur auf der Digitalisierung und Optimierung des Zählerwesens, sondern auch auf der Absicherung neuer digitaler Kommunikationsstandards.
19 Nahwärmenetze unterschiedlicher Größe
Gemeinsam mit der dem IT-Unternehmen baut medl seit 2021 kontinuierlich ein zusammenhängendes flächendeckendes LoRaWAN-Netz aus, um perspektivisch alle Wärmemengenzähler nahtlos auszulesen und die Anforderungen der EED und FFVAV zu erfüllen. Der Energieversorger aus Mülheim a. d. Ruhr betreibt im Stadtgebiet und in der Umgebung derzeit 19 Nahwärmenetze unterschiedlicher Größe.
Die Netzgrößen reichen dabei von Kleinstnetzen mit vier Übergabestationen bis hin zum großen Netz im Innenstadtbereich mit 300 Übergabestationen. Insgesamt werden gut 700 Übergabestationen mit Wärme versorgt.
Offener IoT-Kommunikationsstandard
Zur Überwachung und Optimierung dieser Stationen stellt LoRaWAN eine ideale Funktechnik dar und kann Informationen selbst aus den schwer zugänglichen Orten erheben und übertragen. LoRaWAN selbst ist ein offener IoT-Kommunikationsstandard aus der Kategorie Low Power Wide Area Network (LPWAN), der durch eigene Besonderheiten Reichweiten von bis zu 10 km mit maximal 25 mW Sendeleistung erreicht. Die Sendeleistung ist um den Faktor 80 geringer als bei 3G/4G-Mobilfunkgeräten und um den Faktor 4 bis 40 im Vergleich zu WLAN. Deshalb ist auch die elektromagnetische Strahlenbelastung bei LoRaWAN deutlich niedriger als bei den anderen genannten Technologien. Zudem weist die Technologie auch eine ausgezeichnete Gebäudedurchdringung auf, wodurch sie sich ideal für den Einsatz in tief gelegenen Räumen eignet.
Bei der Zusammenarbeit zwischen der medl und der Physec unterstützt Letztere beim Netzaufbau und stellt die Software im Sinne des LoRaWAN-Netzwerk-Servers (LNS) wie auch die IoT-Serviceplattform „IoTree“ zur Verfügung. Bei IoT (Internet of Things) handelt es sich um die Schnittstelle zwischen der physischen und der digitalen Welt. In der physischen Welt werden über verschiedene IoT-Hardware wie fernauslesbare Zähler Daten gesammelt und über die entsprechenden Gateways und den LoRaWAN-Netzserver an die IoT-Serviceplattform gesendet. Dort werden die gesammelten Daten aggregiert, gesichert und in der digitalen Welt nutzbar gemacht. Medl baut hauptverantwortlich das LoRaWAN-Netz auf und betreibt Gateways und Sensoren.
Eine Besonderheit bei LoRaWAN-Netzen ist der dezentrale Empfang von drahtlos übertragbaren Informationen, wie Messdaten von funkfähigen Wärmemengenzählern. Es existiert zwischen Endgeräten wie Wärmemengenzählern und Gateways keine 1:1-, sondern eine 1:n-Beziehung, sodass Informationen und Daten von allen Gateways in Reichweite empfangen werden können. Diese Informationen und Daten werden über das Internet (Ethernet oder Mobilfunk) in eine aus dem LNS und dem Portal bestehende Plattform übermittelt. Im LNS werden die Pakete validiert und dem Portal zur Verfügung gestellt. Ab hier lassen sich die Daten je nach Anwendungsfall auf verschiedene Arten zur Verfügung stellen und sind so jederzeit zum Abruf bereit.
Umfangreiches Energiedatenmanagement
Für die technische wie auch kaufmännische Betriebsführung der Nahwärmenetze baut der Mülheimer Energieversorger ein umfangreiches Energiedatenmanagement mit dem Siemens-Tool „EnMPro“ (Simatic Energy Manager Pro) auf. Dies ermöglicht die Einbindung von Datenpunkten über verschiedene Schnittstellen. Die von zuvor bereits aufgebauten Steuerungen und Leitsysteme von Siemens sind von Anfang an Teil des Systems und lassen sich über die verschiedenen Schnittstellen wie Open Platform Communication Unified Architecture (OPC UA), mit einer beliebigen Anzahl an Geräten erweitern.
Besonders durch die Auswertung der Zeitreihen erhofft sich medl, den Gaseinsatz und somit auch den CO2-Ausstoß senken zu können. Durch die Anpassung der Vor- und Rücklauftemperaturen und der Hydraulik wird der Weg in ein effizienteres und klimaneutraleres Wärmenetz geschaffen. Ebenso werden durch die Fernauslesung der Zähler und die Digitalisierung des Berichtswesens Einsparungen bei den Kosten erwartet. Die genauen und in Echtzeit erfassten Daten zum Netzzustand von Wärmemengenzählern, ermöglichen zusätzlich den effizienteren Einsatz von Ressourcen.
Dennis Hinterkircher, Communication Engineer bei der Physec GmbH
Philipp Lenzen, Projektmanager bei medl GmbH