Bus fährt mit Oberleitung oder Batterie
Solingen ersetzt Dieselbusse durch emissionsfreie Hybridfahrzeuge. Die Akkus werden während der Fahrt aufgeladen. Deren Kapazität reicht für 30 emissionsfreie Kilometer zusätzlich.
Umweltverträglicher Nahverkehr
„Der Oberleitungsbus von heute entspricht dank innovativer Antriebs- und Karosseriekonzepte nur noch vom Prinzip her dem früherer Jahre. Bremsenenergierückgewinnung und Energiespeicherung in modernsten Superkondensatoren machen den O-Bus zu einem einzigartigen Verkehrsmittel.“ So überschwänglich äußern sich Professor Reinhart Kühne, Leiter Verkehrsstudien des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt, und Ralf Haase, Verkehrswissenschaftler an der Technischen Universität Dresden, in einer gemeinsamen Studie. Während in den USA und in Osteuropa der O-Bus weit verbreitet ist, allerdings aus unterschiedlichen Gründen, fristet er in Deutschland ein Schattendasein – außer in Solingen. Die Großstadt im Bergischen Land betreibt ein Netz mit einer Gesamtlänge von 56,6 km. Einige wenige elektrifizierte Busstrecken gibt es zudem in Eberswalde und Esslingen.
Neues Kapitel heißt BOB
Solingen hat in diesem Jahr ein neues Kapitel aufgeschlagen. Es setzte die ersten O-Busse ein, die auch auf nicht-elektrifizierten Strecken emissionsfrei fahren. Sie sind mit Batterien ausgerüstet, die während der Fahrt über die Oberleitung aufgeladen werden. Abseits der elektrifizierten Strecken beziehen die Elektromotoren ihren Strom aus den Batterien. Deren Kapazität reicht für eine Strecke von bis zu 30 km. BOB heißt dieser neue Fahrzeugtyp, das steht für Batterie-Oberleitungsbus.
Die Stromabnehmer werden eingefahren, wenn die Oberleitung endet. Kommt das Fahrzeug wieder in den elektrifizierten Bereich fahren sie wieder aus und koppeln sich automatisch an die Oberleitung an, ähnlich wie Lkw, die auf elektrifizierten Autobahn-Teststrecken unterwegs sind, allerdings mit völlig anders konzipierten Stromabnehmern.
Bremsenergie landet in Superkondensatoren
Mit entscheidend für den energieeffizienten Betrieb auf ihren Strecken ist bei Obussen moderner Bauart die Rückgewinnung eines großen Teils der Bremsenergie in Form von Strom. Wenn das Fahrzeug abgebremst werden soll schalten die Motoren in den Generatorbetrieb um und erzeugen Strom, der in Superkondensatoren gespeichert wird. Diese lassen sich, anders als Batterien, sekundenschnell aufladen. Beim Anfahren und auf Steigungsstrecken liefern sie zusätzlichen Strom an die Motoren. Die konventionellen Bremsen greifen nur bei starker Verzögerung ein. Dieses Bremssystem verursacht deutlich weniger lungengängigen Feinstaub als rein hydraulische Bremsen.
Solingen investiert jetzt in 16 weitere BOB, die mit der In Motion Charging (IMC)-Technologie von Kiepe Electric, einem Düsseldorfer Tochterunternehmen der Knorr-Bremse AG, ausgestattet sind. Diese sorgt dafür, dass die Batterien mit einer Kapazität von 45 kWh während der Fahrt unter der Oberleitung aufgeladen werden. Die Busse selbst baut Solaris aus der polnischen Stadt Owińska.
Batteriekühlung streikte an heißen Tagen
Anfangs sah es allerdings nicht gut aus für die vier Test-BOB, die seit Anfang des Jahres in Betrieb sind. Im Winter irritierte eine gelbe Warnleuchte Fahrer und Fahrgäste, die aber keine Störung anzeigte, sondern auf einem Softwarefehler beruhte. Trotzdem wurde die kleine Flotte stillgelegt, bis das Problem gelöst war.
Ernsthafter war eine Störung, die an einem der ersten heißen Tage des Sommers 2020 auftrat. Die Batterien stellten den Betrieb ein, weil sie zu überhitzen drohten. Die Kühlanlage, die die Temperatur nicht über 35 Grad Celsius steigen lassen sollte, war überfordert. Auch da machten die vier BOB eine Zwangspause. Inzwischen ist dieser Mangel beseitigt.
Künftig 146 000 t Diesel weniger
Die Fahrzeuge mit der Typbezeichnung Trollino 12 – sie sind, im Gegensatz zu den im Test genutzten Gelenkbussen nur zwölf Meter lang und „gelenkfrei“–, werden im Laufe des nächsten Jahres ausgeliefert. Sie ersetzen Dieselbusse und sparen pro Jahr 146 000 l Treibstoff ein. Damit sinken die Kohlendioxidemissionen um 334 t. Würde dagegen die derzeitige Obus-Flotte in Solingen durch Dieselbusse ersetzt, verbrauchten diese pro Jahr mehr als 1,8 Mio. l Sprit und emittierten fast 5000 t Kohlendioxid.
Während der Fahrt emittieren weder die konventionellen Obusse noch die BOB Kohlendioxid oder andere Schadstoffe. So fällt es Solingen leichter, etwa die Stickoxid-Grenzwerte einzuhalten. Gänzlich emissionsfrei sind sie allerdings nicht. Es wird Kohlendioxid freigesetzt, allerdings an den Standorten der fossilen Kraftwerke. Das Umweltbundesamt beziffert die Menge beim derzeitigen Strommix auf rund 400 g/kWh. Mit zunehmenden Anteilen an erneuerbaren Energien wird dieser Wert allerdings in Zukunft sinken.