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Nachhaltigkeit in Kommunen 19.12.2024, 15:00 Uhr

Wissenschaftler als Bürgermeister? Ein durchaus erfolgreiches Experiment!

Der Wirtschaftswissenschaftler Uwe Schneidewind ist seit mehr als vier Jahren Oberbürgermeister in Wuppertal. Sein Ziel: die nachhaltige Transformation an der Wupper einzuleiten. Trotz politischer Widerstände konnte er Erfolge feiern und personell als auch mit der Bundesgartenschau 2031 Pflöcke für die Zukunft einschlagen. Dennoch: Im Herbst tritt Schneidewind nicht zur Wiederwahl an.

Ein Stück Energiewende auf dem Dach der Haupttribüne des Wuppertaler Stadions am Zoo. Genau 702 Photovoltaik-Module bilden den Schriftzug "WUPPERTAL. Am 18. April 2022 wurde termingerecht das letzte der Paneele montiert. Foto: Frank Buetz/Gebäudemanagement Stadt Wuppertal

Ein Stück Energiewende auf dem Dach der Haupttribüne des Wuppertaler Stadions am Zoo. Genau 702 Photovoltaik-Module bilden den Schriftzug "WUPPERTAL. Am 18. April 2022 wurde termingerecht das letzte der Paneele montiert.

Foto: Frank Buetz/Gebäudemanagement Stadt Wuppertal

Prof. Dr. Uwe Schneidewind wagte 2020 ein Experiment. Der Wissenschaftler bewarb sich als gemeinsamer Kandidat der CDU und der Grünen und den Posten des Oberbürgermeisters von Wuppertal. Im September 2020 gewann der Ökonom mit grünem Parteibuch die Stichwahl gegen SPD-Amtsinhaber Andreas Mucke. Vor seiner Politikerkarriere war er unter anderem Präsident des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie – von März 2010 bis Ende April 2020 – und davor 2004 bis 2008 Präsident der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Jetzt hat er sich entschieden, im Herbst dieses Jahres nicht erneut als Oberbürgermeister zu kandidieren.

Herr Schneidewind, wie geht es Ihnen mit Ihrer Entscheidung?

Das ist ambivalent. Da ist viel Wehmut dabei, weil man spürt, in den letzten vier Jahren ist viel auf den Weg gebracht worden.

Aber …

Meine Entscheidung hat vor allem mit dem schwierigen politischen Umfeld in Wuppertal zu tun. Ich bin als grün-schwarzer Kandidat angetreten, doch die Koalition mit der CDU zerbrach im Mai 2022. Seitdem bin ich faktisch in einer Fundamentalopposition als Transformationsguerilla unterwegs.

Prof. Dr. Uwe Schneidwind, seit Novmber 2020 Oberbürgermeister der Stadt Wuppertal. Er tritt im Herbst 2025 nicht zur Wiederwahl an.

Foto: Stadt Wuppertal

Dabei stand schwarz-grüne Projekt unter einem guten Stern!

Ja. Ein erfrischend dynamischer Wahlkampf hat die Kandidatur getragen. Die Idee war, zwischen bürgerlichen und progressiv-grünen Lager in einem Doppelpassspiel den Transformationsprozess zur Nachhaltigkeit in Wuppertal vorbildhaft auf den Weg zu bringen. Damals wurde auch die Wahl einer schwarz-grünen Landes- und Bundesregierung erwartet.

Doch es kam anders …

Ja. Der erste Dämpfer war, dass ich zwar die Wahl gewonnen habe, aber das schwarz-grüne Bündnis keine Mehrheit in Wuppertal bekam. Dann gab es eine Bundestagswahl, die anders verlief. All das gab dem Ganzen eine andere Dynamik.

Sie haben dennoch einiges erreicht?

Ich glaube schon. Ich wollte die Stadt strukturell im Hinblick auf Innovationsfähigkeit nach vorne bringen. Das ist gelungen: Wir haben sie in das 21. Jahrhundert geholt.

Was meinen Sie damit?

Ich weiß aus anderen Führungsämtern, will man Veränderung organisieren, braucht es eine bestimmte Kultur und an Schlüsselpositionen Menschen, die die Veränderungen, deren Wirkung oft erst viele Jahre später zu sehen ist, tragen. Es gelang in den letzten Jahren, diese Verwaltungskultur neu zu organisieren.

Was haben Sie konkret verändert?

In der Führung der Verwaltung, dem Verwaltungsvorstand, ist 17 Jahre lang keine Frau gewesen ist. Jetzt sitzen dort drei Männer und drei Frauen. Wir haben jetzt ein tolles Führungsteam und mit neu besetzten Dezernentenstellen eine ganz hervorragende Mannschaft. Auch andere Schlüsselpositionen, wie die der Wirtschaftsförderung und die Geschäftsführung der Bundesgartenschau 2031, sind jetzt mit Frauen besetzt. Und für die vielen erfahrenen und hoch motivierten Mitarbeiter in der Verwaltung habe ich eine andere Form des Miteinanders etabliert, um eine Aufbruchstimmung auf den Weg zu bringen. So wird jetzt beispielsweise verstärkt zwischen Ressorts zusammengearbeitet.

Was konnten Sie für Umwelt und Klima erreichen?

Wir haben einiges im Hinblick auf eine ökologische Wende bewegt. Beispiel Verkehr. 2022 konnten wir einige Schlüsselplätze in der Stadt, die vor mehr als 20 Jahren schon als Fußgängerzonen konzipiert waren, endlich autofrei bekommen. Da ist zum Beispiel den Laurentiusplatz in Elberfeld vor einer wunderbaren Kirche. Hier fuhren früher Fahrzeuge. Es gab hier in der Politik lange ein Verhinderungsbündnis und niemand hat sich an diese so genannten heißen Eisen herangetraut.

2. Oktober 2022: Der Wuppertaler Oberbürgermeister Uwe Schneidewind eröffnete mit dem Elberfelder Bezirksbürgermeister Thomas Kring probehalber den autofreien Abschnitt der Friedrich-Ebert-Straße an der Kopfseite des Laurentiusplatzes. Am 24. August 2022 entschied die Bezirksvertretung Elberfeld, dass diese Fußgängerzone dauerhaft bestehen bleiben soll.

Foto: Stadt Wuppertal

Wie haben Sie trotzdem solche Veränderungen bewirken können?

Von außen kommend, habe ich eine neue Energie mitgebracht. Und wenn klar ist, die Stadtspitze unterstützt solche Projekte, stärkt dies viele Kräfte, die schon lange dafür kämpften, aber oft resignierten. Mit der neuen Grundstimmung waren dann plötzlich solche Neuerungen möglich. Zudem haben wir einen Bürgerbeteiligungsprozess organisiert, es gab viel Zustimmung. Auch ein zweiter Platz in Elberfeld, der als Parkplatz genutzt wurde, ist jetzt frei. Das sind in einer autofreundlichen Stadt erste Schritte, wo Menschen merken, was dies an Lebensqualität bringt, wenn man die Autos rauszieht.

Gibt es weitere Beispiele?

Ja. Vor fünf Jahren gab es exakt eine Fahrradstraße in Wuppertal, diese wurde vor mehr als 20 Jahren eingeweiht. Jetzt haben wir zumindest fünf.

Zauberei oder wirklich neuer Schwung?

Letzteres. Engagierte Menschen in der Verwaltung hatten vieles vorbereitet, was jedoch politisch nicht unterstützt wurde. Solche Projekte, die in Schubladen lagen, bekamen neuen Schwung.

Und das, obwohl Sie keine politische Mehrheit hatten?

Ja. Zum Teil waren parteiübergreifende Bündnisse mit denen, die etwas bewegen wollten, möglich. Und wir konnten zum Teil im Doppelpassspiel mit den Bezirksvertretungen spielen und andere Unterstützerbündnisse organisieren. Letztlich konnte ich als Oberbürgermeister engagierten Menschen in der Verwaltung und den Bezirksvertretungen Rückenwind geben und Unterstützung organisieren.

Viele Menschen nehmen den autofreien Laurentiusplatz vor der katholischen Kirche St. Laurentius im Wuppertaler Stadtteil Elberfeld an.

Foto: Stadt Wuppertal

Auch bei der Energiewende?

Auch die lag lange brach. Für unsere städtischen Gebäude haben wir 2022 eine flächendeckende Potenzialanalyse gemacht. Jetzt werden unserer Dächer kontinuierlich mit Photovoltaikanlagen bestückt. Die größte Anlage befindet sich auf Dach des Zoo-Stadiums. Weil das Dach aus statischen Gründen nicht komplett eingedeckt werden kann, wurden die PV-Module in Form eines Wuppertal-Schriftzugs aufgebracht. Das hat eine schöne Symbolik und der Schriftzug war zur Fußball-EM 2024 fertig, als das slowenische Nationalteam bei uns im Wuppertal Quartier bezog.

Auch die Wirtschaft liegt Ihnen am Herzen. Mit der Circular Valley-Initiative wird in Wuppertal die Kreislaufwirtschaft gestärkt.

Ja, obgleich wir als Stadt da nur flankierend dabei sind. Hinter diesem Netzwerk steht eine engagierte Unternehmerschaft und Zivilgesellschaft. Hier sind viele Unternehmen – von Start-ups bis zu Konzernen – organisiert, da die Kreislaufwirtschaft für die Stahlindustrie genauso relevant wie für Handels- und Entsorgungsunternehmen.

Wie funktioniert die Initiative?

Der besondere Pfiff ist, etablierte Unternehmen, die sich verändern müssen, mit Start-ups zusammenzubringen. Start-ups aus der ganzen Welt kommen für eine bestimmte Zeit hierher, um mit Konzernen zusammenzuarbeiten, um für ihre Ansätze Märkte zu finden und diese auch zu skalieren.

Mit anderen Worten: Es gab viele kleine Schritte in Richtung mehr Nachhaltigkeit.

Ja, aber natürlich sind wir trotzdem noch unheimlich weit weg von dem, was eigentlich getan werden müsste.

Und für das große Ziel hat die Stadt Wuppertal doch im September 2023 eine Nachhaltigkeitsstrategie verfasst!

Ja, doch es gibt ein Aber. Es gab zwar 2021 ein Mandat der Politik. Denn keine Partei wollte sich einer Nachhaltigkeitsstrategie in den Weg stellen. Dann haben wir die Bürger an der Erarbeitung der Strategie beteiligt. Das war ein sehr fruchtbarer Prozess, doch als dieser beendet war, hieß es von den größeren Parteien, ´so nicht mit uns`. Das waren frustrierende Erfahrungen auch für die vielen Menschen, die sich eingebracht haben.

Doch wie ging es weiter?

Nachdem sich die großen Parteien zurückgezogen haben, haben wir als Stadtverwaltung entschieden weiterzugehen. Doch letztlich wurde im September 2023 im Stadtrat viele engagierte Ansätze im Klimaschutz oder der Mobilität auf ein Minimum zurückgefahren. Das ist ein ernüchternder Ausdruck des wirklich schwierigen Verhältnisses mit der Mehrheitspolitik der Stadt.

Woran lag das?

Es gab unterschiedliche Motive. Einige sorgten sich darum, dass etwa der Autoverkehr oder die Wirtschaft durch zu viele Auflagen eingeschränkt werden. Und einige wollten vielleicht auch dem grünen Oberbürgermeister den Erfolg einer ambitionierten Nachhaltigkeitsstrategie nicht gönnen.

Also hatten Sie wirklich viel Gegenwind.

Ja, durch die politische Situation konnte ich die Transformation nur schwer von Vorne heraus voranbringen. Ich musste immer wieder neue Bündnisse schmieden. Und es half, ein Dachprojekt mit hoher Akzeptanz zu schaffen. Dies ist gelungen: 2031 findet die Bundesgartenschau in Wuppertal statt, ein Strukturentwicklungsprojekt mit einem langen Planungs- und Realisierungsvorlauf. Die wird das Gesicht der Stadt in den nächsten sieben Jahren und darüber hinaus im Positiven verändern – und daran lassen sich viele ökologische Themen dranhängen.

Bitte einmal konkret.

Der Bahnhof Vohwinkel soll zum Eingangstor der Bundesgartenschau werden – allerdings muss die Bahn den noch sanieren, das ist bis 2031 zugesagt. Dahinter liegt ein Lokschuppenareal brach. Dort sollen Ausstellungen stattfinden und ein ökologisches Wohngebiet gebaut werden. Entlang der Nordbahntrasse, einem ausgebauter Fuß- und Radweg auf ehemaligen Eisenbahnstrecken, soll ein neuer Landschaftspark entstehen, der als Erholungsgebiet bleiben soll. Über dem Zoo soll eine Seilbahn gebaut werden und über das Tal der Wupper eine 700 m lange Hängebrücke.

Vom 23. Mai bis 28. Juni 2024 wies das Bushaltestellenschild am Platz am Kolk in Wuppertal-Elberfeld auf die Bundesgartenschau 2031 hin. Der Verein der Freunde und Förderer der Bundesgartenschau 2031 gestaltet dort eine Mini-Bundesgartenschau und verwandelte einen Parkplatz in eine temporäre Grünfläche, auf denen verschiedene Veranstaltungen stattfanden.

Foto: Stadt Wuppertal

Und in diesem Fall unterstützt die Stadtpolitik alles?

Ja, rund 80 % aller Abgeordneten aus allen Parteien haben dem 2021 zugestimmt. Der Bürgerentscheid 2022 war knapp, doch eine Mehrheit von 51,8 % hat sich dafür entschieden. Der Prozess ist damit unumkehrbar. Wir haben vom Land Nordrhein-Westfalen die ersten 10 Mio. an Fördergelder erhalten und es gibt einen aktiven Förderverein, der Projekte einbringt und mit Geld unterstützt.

Ihr Experiment ist noch nicht beendet! Der nächste Oberbürgermeister wird erst im September gewählt. Was haben Sie bis dahin vor?

Für mich ist das eine privilegierte Phase, da ich nicht im Wahlkampf stehen werde. Ich werde mich darauf konzentrieren, dass das neue Führungsteam weiter zusammenwächst. Für die Bundesgartenschau stehen bis weitere Weichenstellungen an und Themen wie die Wärmewende und die Finanzierung des ÖPNV stehen auf der Tagesordnung.

Was meinen Sie konkret?

Bis Mitte muss 2026 die kommunale Wärmeplanung vorliegen. Daher will ich jetzt jene Akteure, die diese Wärmewende gestalten werden, mit auf den Weg nehmen. Die zentralen Entscheidungen werden aber erst in der nächsten Wahlperiode fallen. Und der Nahverkehr, der ausgebaut werden müsste, wird zurzeit rückgebaut. Da weder auf Bundes- noch auf Landesebene erkennbar ist, dass Zuschüsse steigen, brauchen wir neue Finanzierungsquellen. Hier schaue ich nach Baden-Württemberg.

Was wollen Sie aus dem Südwesten der Republik lernen?

Das Land will mit der so genannten „Drittnutzerfinanzierung“ neue Wege gehen. Das heißt, der ÖPNV soll über konkrete Abgaben von Bürgern oder Unternehmen mitfinanziert werden. Baden-Württemberg ist dabei, Kommunen solche Möglichkeiten zu geben. Und in Nordrhein-Westfalen steht dies auch im Koalitionsvertrag und ich möchte, dass wir für Wuppertal einmal durchrechnen, was möglich ist.

Dann stehen Ihnen noch spannende Monate bevor. Wenn Sie jetzt auf ihre bisherigen gut vier Jahre als Oberbürgermeister zurückblicken, sind Sie zufrieden?

Ich habe den Schritt nie bereut. Es hat mich stark aus der Komfortzone des Analytikers als Präsident des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie katapultiert. Die Zeit als Oberbürgermeister ist noch intensiver, als ich erwartet habe. Ich habe viele Einblicke genommen und wir haben vieles für die Stadt erreicht. Von daher blicke ich zufrieden zurück, auch wenn ich am eigenen Leib erfahren habe, wie verausgabend es ist, unter diesen aktuellen Randbedingungen Transformation zu organisieren.

Damit meinen Sie die politische Situation in Wuppertal?

Nicht nur das. In der ersten Hälfte meiner Amtszeit ging es nicht darum, Zukunft zu gestalten, sondern akute Gefahren abzuwehren. Ich bin mitten in Corona ins Amt gekommen. 2021 gab es ein Hochwasser mit massiven Zerstörungen am Ortsein- und -ausgang und nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine und den damit verbundenen Energieversorgungsengpässen mussten Katastrophenszenarien erarbeitet werden, um durch dem Winter zu kommen.

Was empfehlen Sie Anderen, die wie Sie als Bürgermeister die Welt „retten“ wollen“?

Jeder sollte seine eigenen positiven Energiequellen gut kennen. Ich habe selbst erfahren, wie die Auseinandersetzung mit Bürgern, die sich lokalpolitisch engagieren, einem als Bürgermeister viel Energie gibt. Dies kann helfen, die damit auch verbundenen Härten, Polarisierungen und Angriffe auszuhalten. Ich habe Kollegen kennengelernt, bei denen man merkt, die können solch einen Job 20 Jahre lang machen – für die Stadt erfolgreich und für einen selber befriedigend. Klar, solche engagierten Leute, die wirklich Veränderungen wollen, brauchen wir in diesen Ämtern.

Sehr geehrter Herr Schneidewind, wir bedanken uns für das Gespräch.

Von Das Interview führte Dr. Ralph H. Ahrens

Dr. Ralph H. Ahrens ist Redakteur des VDI-Magazins energie+umwelt