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Belastung fürs Ökosystem 15.05.2023, 07:00 Uhr

Algen in der Arktis sammeln Mikroplastik

Ein Forschungsteam hat interessante Funde in der Arktis gemacht. Die dort leben Eisalgen sammeln Mikroplastik an und befördern es in die Tiefsee. Das ist höchstwahrscheinlich auch die Erklärung dafür, wie größere Mengen Kunststoff auf den Meeresboden gelangen. Die Forschenden fordern erneut, die Plastikproduktion herunterzufahren, um die Belastung für die Umwelt zu senken.

Forschungsteam

Die Forschenden entnehmen Algenproben, um sie auf Mikroplastik zu untersuchen.

Foto: Mario Hoppmann, Alfred-Wegener-Institut

Die Alge Melosira arctica wächst unter dem Eis im arktischen Meer. Das klingt nicht unbedingt nach einem Ort, wo manmit einer großen Menge Mikroplastik rechnet. Tatsächlich ist die Konzentration hier besonders hoch: Die Alge enthält zehnmal so viele Mikroplastikpartikel wie das umgebende Meerwasser. Das hat eine Forschungsexpedition unter Leitung des Alfred-Wegener-Instituts festgestellt. Dieses Phänomen führt zu einer ganzen Kette weiterer Probleme.

Mikroplastik bleibt an Algen kleben

Als das Team mit dem Forschungsschiff Polarstern in die Arktis fuhr und von Eisschollen aus Proben von Melosira-Algen und dem Umgebungswasser sammelte, rechneten die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen noch nicht mit diesem erstaunlichen Ergebnis: In den analysierten Algenklumpen steckten im Durchschnitt etwa zehnmal so hohe Konzentrationen an Mikroplastik wie in dem sie umgebenden Wasser.

Deonie Allen von der University of Canterbury und der Birmingham University, die zum Forschungsteam gehört, vermutet den Grund dafür im Aufbau der Algen: „Die fädigen Algen haben eine schleimig-klebrige Textur, sodass sie möglicherweise Mikroplastik aus atmosphärischen Niederschlägen, dem Meerwasser selbst, dem umgebenden Eis und jeder anderen Quelle, der sie begegnen, einsammeln. Einmal im Algenschleim gefangen, fahren die Partikel wie in einen Aufzug zum Meeresboden, oder werden von Meerestieren gefressen.“

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So gelangt der Kunststoff auf den Meeresboden

Algen sind ein wichtiger Teil der Nahrungskette, weswegen die hohe Mikroplastik-Konzentration von anderen Lebewesen aufgenommen wird. Das Zooplankton wird beispielsweise von Fischen wie dem Polardorsch aufgenommen. Dieser wird wiederum von Seevögeln und Robben gefressen. Das Ende der Nahrungskette bilden Eisbären, deren Hauptnahrungsquelle Robben sind. So wird das Mikroplastik von einer Art zur nächsten weitergegeben.

Das ist aber noch längst nicht alles: Die Alge ist dafür bekannt, dass sie im Frühling und im Sommer rasant wächst. Dabei entstehen unter dem Meereis meterlange Zellketten, die schließlich absterben. Sobald jedoch das Eis schmilzt, an dessen Unterseite sie haften, verkleben sie zu Klumpen und sinken im Wasser hinab. Dabei entwickeln sie erstaunliche Geschwindigkeiten und können innerhalb eines einzigen Tages mehrere Tausend Meter bis auf den Grund der Tiefsee sinken. Für das Ökosystem der Arktis ist dieses Phänomen unverzichtbar, weil sich viele Tiere und Bakterien am Meeresgrund von den Algen ernähren. Das Mikroplastik reist jedoch mit nach unten und gelangt dort ebenfalls in die Nahrungskette.

Mikroplastik an Eisrändern

Die Erkenntnis, dass selbst auf dem Meeresgrund Mikroplastik in erheblichen Konzentrationen zu finden ist, war für die Forschenden nicht neu. Jetzt wissen sie aber, woher es kommt. „Wir haben endlich eine plausible Erklärung dafür gefunden, warum wir auch im Tiefseesediment immer im Bereich des Eisrandes die größten Mengen von Mikroplastik finden“, sagt die AWI-Biologin Melanie Bergmann.

Bisher wussten die Forschenden aus früheren Messungen lediglich, dass sich Mikroplastik aufkonzentriert, wenn sich Eis im Meer bildet. Schmilzt dieses später in den etwas wärmeren Monaten, wird das Eis wieder an das Wasser abgegeben.

Folgen der hohen Mikroplastik-Konzentration sind unklar

Welche Folgen das Mikroplastik für das empfindliche Ökosystem der Arktis hat, lässt sich noch nicht abschätzen. Die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen haben unter anderem Polyethylen, Polyester, Polypropylen, Nylon und Akryl gefunden. In den Proben haben sie zudem verschiedene Chemikalien entdeckt. „Gerade die Menschen in der Arktis sind für ihre Proteinversorgung besonders auf das marine Nahrungsnetz angewiesen, beispielsweise durch die Jagd oder Fischerei. Das heißt, dass sie auch dem darin enthaltenen Mikroplastik und Chemikalien ausgesetzt sind.“

Forschungsschiff
Das Forschungsschiff Polarstern ist den Bedingungen in der Arktis gewachsen.

Foto: Mario Hoppmann, Alfred-Wegener-Institut

Robben
Robben fressen Fische, die sich unter anderem von Algen ernähren und so das Mikroplastik aufnehmen.

Foto: Sina Loeschke, Alfred-Wegener-Institut 

Eisbär
Eisbären ernähren sich vor allem von Robben. So wird das Mikroplastik weitergegeben.

Foto: Mario Hoppmann, Alfred-Wegener-Institut

In mehreren menschlichen Organen, im Gehirn und im Blut haben Forschende bereits Mikroplastik gefunden. Ein Team von der Universität Leipzig und des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) konnte zudem zeigen, dass Mikroplastik bei Embryonen von Zebrafischen zu Verhaltensänderungen und Leberschäden führt. Auch wenn sich diese Ergebnisse nicht direkt auf Säugetiere und den Menschen übertragen lassen, gilt es als sehr wahrscheinlich, dass die Partikel ein Problem für die Gesundheit sind.

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Die AWI-Fachleute wollen sich mit ihren Ergebnissen explizit an die Politik wenden. „Wissenschaftliche Berechnungen haben gezeigt, dass sich die Plastikverschmutzung am wirksamsten durch eine Minderung der Produktion von neuem Plastik verringern lässt“, sagt Bergmann. „Dies sollte darum auch unbedingt priorisiert werden in dem zurzeit verhandelten globalen Plastikabkommen.“ Wenn die nächste Verhandlungsrunde Ende Mai in Paris beginnt, wird sie daher vor Ort sein.

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Von Nicole Lücke