Aus Windeln werden Bänke
Nichts muss unnütz verloren gehen. Sogar Einwegwindeln lassen sich recyceln. Dies zeigt ein Joint Venture in Italien. Damit nicht genug: Ein Fraunhofer-Institut versucht sogar, Nährstoffe aus dem Prozesswasser der Windelaufbereitung zurückzugewinnen.
Die Idee kam Roberto Marinucci 2008 während der italienischen Müllkrise. Viele Millionen Tonnen Abfall stapelten sich in den Straßen. Und es roch immer unangenehmer. Eine Geruchsquelle: benutzte Windeln. Er fragte sich, warum nicht einfach recyceln.
Und es wurde konkret: Marinucci arbeitete für den US-amerikanischen Konsumgüterhersteller Procter & Gamble (P&G), der auch Pampers herstellt. Zusammen mit dem italienischen Pharma-Unternehmen Gruppo Angelini aus Rom gründeten P&G das Joint Venture Fater. Fater entwickelte auf experimenteller Basis eine Recycling-Technologie für Windeln. 2011 war es so weit: Fater baute die erste Pilotanlage, 2015 folgte die erste Demonstrationsanlage. Im Oktober 2017 wurde die erste industrielle Windel-Recycling-Anlage eingeweiht: in Lovadina di Spresiano, einer Gemeinde im Norditalien, rund 20 km nördlich von Treviso.
Die Anlage ist darauf ausgelegt, 10.000 t Windeln im Jahr zu recyceln. Dies entspricht der Menge, die grob bei einer Million Einwohnern anfällt. Die Windeln kommen aus in Treviso und angrenzenden Landkreisen.
Einwegwindeln bestehen aus Zellulose, superabsorbierendem Polymer und Kunststoffen, die in Schichten miteinander verklebt sind. Das Recycling dieser einzelnen Bestandteile ist schwierig: Doch Fater konnte ein kostengünstiges Verfahren entwickeln. Zuerst werden die Windeln im Autoklaven mit Hochdruckdampf, hohen Temperaturen und Druck sterilisiert. Dabei werden auch geruchsintensive Moleküle zerstört. Anschließend werden die Windeln zerkleinert, bevor in mehreren Prozessschritten die einzelnen Bestandteile mechanisch voneinander getrennt werden.
„Wir sind in der Lage, Windeln aller Hersteller zu recyceln“, betont Roberto Marinucci, mittlerweile verantwortlich für Babyprodukte und Nachhaltigkeit bei P&G. Das Ergebnis: Aus 1 t gebrauchter Windeln gewinnt Fater rund 150 kg Zellulose, 75 kg absorbierendes Polymer und 75 kg gemischten Kunststoff zurück. Mit dem Verfahren lassen sich somit nach Angaben von Fater nahezu 100 Prozent der eingesetzten Rohstoffe einer trockenen Windel zurück in den Kreislauf geben. Diese Sekundärrohstoffe will Frater wieder in den Markt bringen.
Zum Teil gelingt das bereits: Aus Kunststoff-Rezyklaten werden in Italien etwa Schulbänke, Wäschekörbe und Wäscheklammern hergestellt. Die saugstarke Zellulose wird zusammen mit dem absorbierenden Polymer zu Katzenstreu verarbeitet. Denkbar sind weitere Produkte aus dem recycelten Material, etwa Papier aus Zellulose und Absorber für den Einsatz in der Industrie.
Fater geht damit ein großes Problem an. Babys werden in den ersten Jahren vier bis sechsmal pro Tag gewickelt. Bis ein Kind selbständig eine Toilette benutzt, fallen 4.000 bis 6.000 Windeln an. In manchen deutschen Städten machen Windeln ein Zehntel des Restmüllaufkommens aus. Was ein paar Stunden getragen wurde, wird anschließend meist verbrannt. Die enthaltenen Rohstoffe gehen dabei verloren.
Doch vor dem Recycling beginnt die separate Sammlung der Windeln: Und das ist eine Herausforderung. In Deutschland wie in vielen anderen Ländern müssen sie im Restmüll entsorgt werden. Das gilt für alle Einmalwindeln unabhängig davon, aus welchem Material sie bestehen. Denn menschliche Ausscheidungen dürfen nicht in die Biotonne und kompostiert werden.
„Die separate Sammlung von Windeln ist eine entscheidende Voraussetzung“, so Marinucci. Deshalb sondieren er und sein Team gerade Möglichkeiten, wie das Einsammeln in Kindertagesstätten, Krankenhäusern, Seniorenheimen und auch die separate Sammlung in Haushalten realisiert werden kann. Marinucci denkt etwa an ein Sammelsystem, das an das Altglas-Konzept erinnert. Eltern könnten dann Windeln in einer Box deponieren und sie später zu einer Sammelstelle bringen.
Und es geht voran: In Amsterdam baut Fater gerade in Zusammenarbeit mit der Stadt, dem Recycling-Unternehmen TerraCycle und den Stadtwerken AEB die Sammlung auf. Dafür werden spezielle Container aufgestellt, in denen Windeln separat entsorgt werden können. Für den weiteren Ausbau sucht P&G Partner in mehreren internationalen Großstädten. Auch in Deutschland sondiert das Unternehmen gerade den Markt. Nach Angaben von P&G bräuchte es vier Anlagen, um alle Windeln und vergleichbare Hygieneartikel zu recyceln, die in Berlin anfallen. „Wir wollen bis 2030 in zehn Metropolregionen weltweit Windel-Recycling aufbauen“, erklärt Marinucci.
Doch es soll nicht beim Recyceln der Windelbestandteile bleiben. Auch Nährstoffe im Prozesswasser der Aufbereitung sollen genutzt werden. Hier kommt das Fraunhofer-Institut für Silicatforschung ins Spiel. Die Projektgruppe für Wertstoffkreisläufe und Ressourcenstrategie im bayrischen Alzenau forscht im Rahmen des Projekts „Embraced“ an der Rückgewinnung von Ammoniak. Hierfür schickt das JointVenture Fater regelmäßig Proben an das Institut.
In den Versuchen in Alzenau hat sich die Membranfiltration als effizienteste Methode bewährt. Die Ammoniakabtrennung erfolgt mit geringem Energieaufwand und ohne Einsatz weiterer Chemikalien. Im Vergleich dazu benötigt die gängige Ammoniaksynthese aufgrund hoher Drücke und Temperaturen deutlich mehr Energie. Das Ammoniak kann anschließend als Rohstoff für chemische Prozesse verwendet werden. Das von der EU geförderte Forschungsprojekt „Embraced“ besteht aus einem Konsortium von 13 Projektpartnern aus Forschung und Industrie. Das primäre Ziel ist, einen vollständigen Kreislauf beim Recycling von Babywindeln zu etablieren.
Hinweis: P&G ist Gründungsmitglied der „Alliance to End Plastic Waste“ (https://endplasticwaste.org/). In dieser Initiative haben sich inzwischen knapp 30 weltweit agierende Unternehmen zusammengeschlossen, um Lösungen für das Müllproblem in den Weltmeeren und darüber hinaus zu entwickeln. Gemeinsam werden diese Unternehmen in den kommenden fünf Jahren 1,5 Milliarden Dollar investieren, u.a. in Müllsammelsysteme für Länder, in denen diese noch kein Standard sind, und neue Recycling-Technologien.
Björn Sieves, Procter & Gamble Germany GmbH & Co Operations oHG, sievers.b.a@pg.com