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Phosphor aus Klärschlamm rückgewinnen 15.07.2024, 10:00 Uhr

Mehr Phosphor direkt aus Klärschlamm

Auf der Kläranlage der Stadt Braunschweig wird erstmals großtechnisch getestet, Phosphor mittels einer biologischen Mobilisierung von Phosphaten aus Klärschlamm zu lösen und zurückzugewinnen. Landwirtinnen und Landwirte können das im Anschluss aufbereitete Produkt – das Mineral Struvit – als Mineraldünger einsetzen. Dieses Verfahren ist eine Alternative zur Rückgewinnung von Phosphor aus Klärschlammasche.

Struvit aus der Struvitfällung des Klärwerks Steinhof in Braunschweig. Foto: Hooman Mohammadi, Andreas Kolb/ISWW, TU Braunschweig

Struvit aus der Struvitfällung des Klärwerks Steinhof in Braunschweig.

Foto: Hooman Mohammadi, Andreas Kolb/ISWW, TU Braunschweig

Klärschlamm ist nicht nur Abfall, sondern auch eine ergiebige Phosphorquelle. Rund 60 000 t Phosphor enthalten die rund 2 Mio. t Klärschlamm, die jährlich in deutschen Kläranlagen anfallen. Daraus könnten rund 40 % des Phosphorbedarfs für Mineraldünger, der in Deutschland in der Landwirtschaft eingesetzt wird, gedeckt werden. Bislang wurde der Schlamm jedoch meist verbrannt und die phosphorreiche Asche entsorgt. Teilweise wurde der Klärschlamm als Dünger auf die Felder ausgebracht.

Mit der Novellierung der Klärschlammverordnung hat die Bundesregierung im Jahr 2017 die Verwertung des Klärschlamms neu geregelt. Betreiber großer Kläranlagen mit mehr als 100 000 Einwohnerwerten (EW) müssen spätestens von 2029 an Phosphor aus dem Klärschlamm oder der Klärschlammverbrennungsasche zurückgewinnen und recyceln. Für kleinere Anlagen größer als 50 000 EW gilt dies von 2032 an. Eine landwirtschaftliche Ausbringung, wie derzeit in den Landkreisen Gifhorn und Peine nördlich von Braunschweig auf Flächen des Abwasserverbandes Braunschweig ist dann kaum noch möglich. Zum Abwasserverband gehört eine Kläranlage in Braunschweig mit 350 000 EW, zum Abwasser- und Straßenreinigungsbetrieb Stadt Gifhorn eine mit 50 000 EW.

Damit Landwirtinnen und -wirte rund um Braunschweig Phosphate aus der Kläranlage Braunschweig weiterhin nutzen können, koordiniert die Technische Universität Braunschweig (TU Braunschweig) das Verbundprojekt „P-Net“. Ziel ist, in der Region zwischen Harz und Heide ein Netzwerk für das Phosphorrecycling aufzubauen. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert das Projekt von Juli 2020 bis Juni 2025 aus dem Fördertopf „Regionales Phosphor-Recycling“ (RePhoR) mit rund 3,46 Mio. €.

Die Anlage zur Struvitfällung auf dem Klärwerk Steinhof in Braunschweig.

Foto: Thomas Dockhorn/ISWW, TU Braunschweig

Aus einem Betriebsproblem …

Im Projekt wird das Phosphorrecycling auf der sogenannten Struvit-Schiene verfolgt. Hierbei werden durch Fällung und Kristallisation kristalline Phosphorprodukte hergestellt, insbesondere Magnesium-Ammonium-Phosphat, das Mineraloginnen und Mineralogen Struvit nennen.

Dabei war Struvit zunächst ein Nebenprodukt oder vielmehr ein „Betriebsproblem“ der Kläranlagen. Denn das Mineral entsteht bei hohen Konzentrationen von Ammonium, Phosphat und Magnesium. Die sich bildenden Struvit-Kristalle führen häufig zu Verkrustungen, unter anderem an Rohrleitungen, Wärmeübertragern und Ventilen, und damit zu Störungen im Betrieb. Deshalb wurden Verfahren entwickelt, um das Struvit gezielt zu fällen, um Verkrustungen zu vermeiden. Auf den Kläranlagen in Gifhorn und Braunschweig haben der Anlagenbetreiber, der Abwasserverband Braunschweig, beziehungsweise der Abwasser- und Straßenreinigungsbetrieb Stadt Gifhorn, solche Verfahren bereits installiert. 

… wird mineralischer Dünger

Ziel von P-Net ist es, diese Anlagen in Braunschweig und Gifhorn zur Struvit-Fällung zu verbessern. Bislang lassen sich damit zwischen 5 und 30 % des Phosphors aus dem Klärschlamm zurückgewinnen und der Phosphorgehalt in der Klärschlamm-Trockenmasse liegt in beiden Kläranlagen meist zwischen 3 und 4 %. Damit Anlagenbetreiber den gesetzlichen Grenzwert von unter 2 % in der Trockenmasse des Faulschlamms von 2029 beziehungsweise 2032 an einhalten können, ist das zu wenig.

Das Verbundprojekt hat sich daher das Ziel gesetzt, die Struvit-Fällung so weit zu ertüchtigen, dass sie in wirtschaftlicher Betriebsweise auch die künftigen Anforderungen der Klärschlammverordnung erfüllt. Ein solches Verfahren wurde bereits vor fast 20 Jahren am Institut für Siedlungswasserwirtschaft an der TU Braunschweig entwickelt und unter dem Namen „Peco – The Ecology in Phosphorus-Recycling“ etabliert. Mit diesem Verfahren lassen sich je nach Anlagenbetrieb bis zu 70 % des Phosphats aus dem Klärschlamm herauslösen. Im Unterschied zu anderen Verfahren, die Phosphat aus Klärschlamm oder Klärschlammasche zurückgewinnen, erfolgt die Rücklösung rein biologisch und benötigt keine weiteren Betriebsmittel.

Die drei Faultürme der Klärschlammfaulung auf dem Klärwerk Steinhof, Braunschweig. Der Mittlere wird aktuell für die biologische P-Remobilisierung in P-Net verwendet.

Foto: Thomas Dockhorn/ISWW, TU Braunschweig

Vorhandene Technik nutzen

In Braunschweig und Gifhorn ist von Vorteil, dass die vorhandene Verfahrenstechnik durch Umnutzung für die neue Verfahrensstufe verwendet werden kann. Hierzu nutzen die Projektpartner vom Abwasserverband Braunschweig und der Stadtentwässerung Braunschweig einen der drei Faulbehälter auf der Kläranlage Braunschweig. Deren Gesamtkapazität beträgt 11 000 m3. Die Kapazität des Faulbehälters, in dem die „biologische Phosphor-Remobilisierung“ erprobt wird, hat eine Kapazität von 2 100 m3. War in Braunschweig die bisherige Verfahrensführung in diesem Faulbehälter auf die Rückgewinnung von täglich bis zu 1 t Struvit ausgelegt, sollen es künftig rund 2 t sein. „Das ist nicht nur deshalb toll, weil es eine verfahrenstechnische Alternative zur Phosphor-Rückgewinnung aus der Asche sein kann, sondern weil wir auch die vorhandene Anlagentechnik nutzen können“, freut sich Professor Thomas Dockhorn vom Institut für Siedlungswasserwirtschaft der TU Braunschweig.

Phosphor im Klärschlamm …

Auf Kläranlagen fallen Primärschlamm aus der Vorklärung und Überschussschlamm aus den Belebungsbecken an. Der Primärschlamm ist durch gut abbaubare organische Verbindungen aus dem Abwasser gekennzeichnet, der Überschussschlamm durch die Bakterienmasse, die während des Abwasserreinigungsprozesses entsteht.

Der Überschussschlamm enthält das meiste Phosphat und ist daher der bevorzugte Schlamm, aus dem in Braunschweig Phosphat zurückgewonnen wird. Phosphate liegen in drei Formen vor: in der Biomasse der Bakterien gebunden, durch vermehrte Anreicherung in Bakterien zusätzlich gespeichertes Phosphat in Form von Polyphosphat sowie chemisch etwa an Eisen- oder Aluminium-Ionen gebunden. Ein Ziel der Abwasserreinigung ist es, gelöstes Phosphat aus dem Abwasser zu entfernen. Dazu wird Phosphat in eine unlösliche Form überführt und dann am einfachsten mit dem Klärschlamm aus dem System entfernt.

… wird wieder gelöst

Zuerst wird Phosphat aus dem Schlamm gelöst. In vielen Verfahren werden starke mineralische Säuren wie Schwefelsäure bei teilweise höheren Temperaturen eingesetzt. Das Peco-Verfahren bewirkt hingegen die Rücklösung auf rein biologische Weise aus dem Überschussschlamm. Damit dies gut verläuft, wird dem Überschussschlamm Primärschlamm als Substratquelle für die Bakterien zugemischt und es kommt zu einer natürlichen Versäuerung durch Vergärung, in deren Zuge sich ein Großteil der Phosphate – vor allem Polyphosphate und Eisenphosphate – lösen.

Nach dieser Remobilisierung der Phosphate werden die ausgelaugten Feststoffe im Schlamm mittels Zentrifuge abgetrennt und die Flüssigphase mit dem gelösten Phosphaten wird in die Struvit-Fällung geleitet. Dort entsteht nach Zugabe einer Magnesium-Quelle Struvit als Fällprodukt.

Das Struvit-Zwischenlager auf dem Klärwerk Steinhof, Braunschweig. Sammlung für den Abtransport zu SF-Soepenberg zur Produktkonfektionierung.

Foto: Thomas Dockhorn/ISWW, TU Braunschweig

Zugelassen für den Ökolandbau

Was zurückbleibt, ist einerseits Klärschlamm mit niedrigem Phosphorgehalt und andererseits ein Produkt mit hoher Düngewirkung. Projektleiter Dockhorn nutzt Struvit selbst für seine eigenen Pflanzen im Institut und zu Hause: „Das ist ein hervorragender Langzeitdünger, der mindestens die gleiche Düngewirkung hat wie ein herkömmlicher Mineraldünger.“ Die weißen Struvit-Kügelchen, die bei der Fällung entstehen, müssen allerdings für die Landwirtschaft aufbereitet werden. In dieser Form sind sie zu klein beziehungsweise zu unregelmäßig, um sie mit den Landwirtschaftsmaschinen auf die Felder zu bringen.

Der P-Net-Projektpartner SF-Soepenberg GmbH standardisiert daher den Dünger und verarbeitet ihn unter anderem zu Pellets. Dieses Unternehmen aus Hünxe in Nordrhein-Westfalen stellt Düngemittel aus Sekundärrohstoffen her. In großmaßstäblichen Feldversuchen wird der dort erzeugte Struvit-Dünger auch aus Braunschweiger Klärschlamm durch das Julius-Kühn-Institut mit Hauptsitz in Quedlinburg, Sachsen-Anhalt, auf dem Acker getestet. Als EU-Düngemittel ist Struvit inzwischen auch für den ökologischen Landbau zugelassen. 

Für die Region Harz und Heide bedeutet dies, dass Landwirtinnen und -wirte vielleicht schon bald mit dem so zur Verfügung stehenden Phosphordünger die Düngewirkung des Klärschlamms ersetzen können und nicht auf mineralischen Dünger zurückgreifen müssen.

Vernetzen für den Erfolg

Auch andere Kläranlagenbetreiber setzen großtechnische Verfahren zur Struvit-Fällung um. Um das Phosphorrecycling über die Struvit-Schiene bundesweit voranzutreiben, hatten die P-Net-Projektpartner im Februar 2024 zu einem Erfahrungsaustausch unter anderem mit weiteren Kläranlagenbetreibern, Fachverbänden und Ingenieurbüros nach Braunschweig eingeladen. Das Verbundprojekt hält die Vernetzung für wichtig, denn bisher bevorzugen viele Anlagenbetreiber noch den Weg über die Verbrennung, bei der der Klärschlamm komplett verbrannt und Phosphor anschließend aus der Asche herausgelöst wird. Das Verbundprojekt will daher alle, die für die Verbreitung der Struvit-Schiene wichtig sind, vernetzen, um gemeinsam zu zeigen, dass die Struvit-Fällung funktioniert, um Nachahmer zu finden. Denn um ein echtes Struvit-Düngemittelsegment zu etablieren, braucht es eine kritische Masse.

Granuliertes Struvit.

Foto: Agrarmarketing Detailreich

Von Dr. Ralph H. Ahrens