Ozeane könnten das 60-fache des deutschen CO2-Ausstoßes aufnehmen
Mikroskopisch kleine Pflanzen bewegen sich in den Ozeanen. Forschende haben nun eine Theorie entwickelt, nach der dieses Phytoplankton sich zwischen den verschiedenen Meeresschichten deutlich mehr hin- und herbewegt als bisher angenommen. Dadurch könnte es auch erheblich mehr CO2 aufnehmen.
In den Ozeanen gibt es riesige Mengen mikroskopisch kleiner Pflanzen. Damit sie wachsen, benötigen sie Licht und Nährstoffe. Das Licht erhalten sie nur, indem sie sich in den oberen Meeresschichten aufhalten, die Nährstoffe dagegen befinden sich in den tieferen Schichten. Das sogenannte Phytoplankton ist hauptsächlich dafür verantwortlich, dass die Ozeane viel CO2 aufnehmen können. Man geht derzeit davon aus, dass sie rund 30% des vom Menschen erzeugten CO2 aus der Atmosphäre ziehen. Das Kohlenstoffdioxid nehmen sie über das Licht und die Nährstoffe auf und geben anschließend Sauerstoff ab. Die Forschung ging bisher davon aus, dass Phytoplankton eher träge ist und sich selbst wenig bewegt. Die Wanderungen seien vor allem auf Strömungen zurückzuführen, von denen sie mitgetrieben würden. Nun stellt eine Studie unter Leitung des Helmholtz-Zentrums Hereon diese Zusammenhänge infrage.
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Auch das Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel und das Earth Surface System Research Center haben sich an der Studie beteiligt. Gemeinsam untersuchten sie zahlreiche empirische Forschungsergebnisse und kamen zu einem neuen Ergebnis. Ihrer Auffassung nach erklärten die Daten nicht die passiven Bewegungen der mikroskopisch kleinen Algen. „Bisherige Modelle behandeln das Phytoplankton wie passive Teilchen, während sehr viel dafür spricht, dass es aktiv wandert, um in oberen Schichten über die Fotosynthese Kohlenstoff aufzunehmen und in unteren Schichten Nährstoffe einzuspeichern“, erläutert Kai Wirtz, Erstautor der Studie und Ökosystemmodellierer am Hereon-Institut für Küstensysteme – Analyse und Modellierung. Die Forschenden haben deshalb die Daten als Basis für ein neues Modell verwendet. Der neue Ansatz lautet: Phytoplankton wandert auch senkrecht. Deshalb könne man auch ein aktives „Hochpumpen“ von Nährstoffen mitberechnen.
Meere nehmen 60-faches an CO2 auf, weil Phytoplankton vertikal wandert
Die Forschenden erklären das vor allem dadurch, dass in den oberen Wasserschichten der Meere und Ozeane eine hohe Konzentration der sogenannten Nettoprimärproduktion nachweisbar sei. Diese vom Phytoplankton produzierte Biomasse sei nicht nur Grundlage der Nahrungspyramide in den Meeren, sondern belege, dass die mikroskopisch kleinen Algen sich sowohl in oberen wie auch in tieferen Wasserschichten aufhielten. Das Phytoplankton beinhalte darüber hinaus Stickstoff, das aus tieferen Schichten stamme, wie weitere Untersuchungen gezeigt hätten. Auch ihre Form ließe eher auf aktive Wanderungen schließen. Für zwei Drittel aller Arten sei eine aktive Bewegung nachgewiesen worden.
Die neue Studie vertritt nun die Theorie, dass sich Phytoplankton aktiv bewegt – und zwar vertikal zwischen den verschiedenen Wasserschichten. Denn nur so könnten sie an die beiden lebensnotwendigen Stoffe gelangen: Licht und Nährstoffe. Phytoplankton sinkt zwar nur wenige Meter pro Tag, aber es kann durchaus in etwa 10 bis 80 Meter tiefes Gewässer gelangen. Das funktioniert, indem es die eigene sogenannte „Energiereserve“ nutzt. Die bilde es aus der Fotosynthese an der Wasseroberfläche, wo besonders viel Licht ist. Dadurch entstehe eine Art Bewegungskreislauf. Genau dieser sei mit einer aktiven Kohlenstoffpumpe zu vergleichen, die viel effizienter arbeite als die Forschung bislang angenommen hatte.
Meere nehmen 60-faches an CO2 auf: weitere Studien müssen das belegen
Die Forschenden sind sich deshalb einig: „Wir nehmen anhand unserer Modellrechnungen an, dass aktuelle Schätzungen der ozeanischen Kohlenstoffaufnahme deutlich nach oben korrigiert werden müssen“, sagt Wirtz. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zogen Studien hinzu, die eine aktive vertikale Wanderung und damit die Aufnahme von Nährstoffen und Kohlenstoff belegen. Daraus ergab sich für sie folgende These: Das Phänomen müsse deutlich weiter verbreitet sein und deshalb läge nahe, dass Meere und Ozeane erheblich mehr Kohlenstoff aufnehmen könnten.
Ersten Berechnungen zur Folge würden sie bis 2100 rund 40 Gigatonnen CO2 pro Jahr mehr aufnehmen als aktuelle Klimamodelle voraussagen. Das wäre das 60-fache des deutschen Kohlenstoffausstoßes und etwa 10% des Kohlenstoffbudgets. Stimmen die neuen Annahmen, müsste man das Klimakonto der Welt erheblich nach oben korrigieren. Weitere Studien sollen die These bestätigen.
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