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Kreislaufwirtschaft für Polyurethan 28.02.2024, 08:00 Uhr

Polyurethan-Matratzen recyceln

Ein niedersächsischer Anlagenbauer hilft einem niederländischen Recyclingunternehmen, alte Matratzen chemisch zu verwerten. Aus dem Matratzengrundstoff Polyurethan gewinnt das Unternehmen dabei sogenannte Polyole. Aus diesen Recycling-Polyolen können Chemieunternehmen wieder Polyurethane herstellen – ein Stück Kreislaufwirtschaft.

Diese Anlage der niedersächsischen H&S Anlagentechnik GmbH zum Reycling ausgedienter Matrazen aus Polyurethan-Schaum steht beim niederländischen Recycler RetourMatras. Foto: H&S Anlagentechnik

Diese Anlage der niedersächsischen H&S Anlagentechnik GmbH zum Reycling ausgedienter Matrazen aus Polyurethan-Schaum steht beim niederländischen Recycler RetourMatras.

Foto: H&S Anlagentechnik

In der Europäische Union werden jedes Jahr rund 40 Millionen Matratzen entsorgt. Fast die Hälfte dieser ausrangierten Matratzen wird deponiert, jede dritte wird verbrannt. Diese Angaben aus dem Jahr 2019 stammen von dem britischen Marktforschungsinstitut Labyrinth Research and Markets aus Guildford in der Grafschaft Surrey. Anders als Deponieren und Verbrennen kann Recycling dazu beitragen, Rohstoffe für die Wiederverwendung zurückzugewinnen und so im Kreislauf zu halten.

Und der Druck, auch Matratzen zu recyceln, ist gestiegen. Die Europäische Union hat 2018 mit der Abfallrahmenrichtlinie beschlossen, dass EU-weit von 2025 an mindestens 55 % aller Siedlungsabfälle für die Wiederverwendung vorbereitet oder innerhalb der EU recycelt werden müssen. 2030 steigt diese Anforderung auf 60 % an und von 2035 an auf 65 %. Und die Europäische Union erwähnt in dieser Richtlinie Matratzen und Möbel erstmals ausdrücklich als einen Abfallstrom, der nach der neuen Definition von Siedlungsabfall behandelt werden soll.

Polyurethan-Baustein recyceln

Das Unternehmen H&S Anlagentechnik GmbH aus Sulingen in Niedersachsen kann hier helfen, diese Vorgaben der EU einzuhalten – mit einer Recyclinganlage für Polyurethan-Schaum (PU-Schaum). So hat das Unternehmen im Mai 2023 in Leylstad in den Niederlanden eine großtechnische Reaktoranlage für den niederländischen Matratzenrecycler RetourMatras mit Hauptsitz in Lelystad fertiggestellt. Diese Recyclinganlage nutzt ein fortschrittliches Depolymerisationsverfahren, um aus PU-Schaum von Altmatratzen hochwertiges Polyol, genauer „Recyclingpolyol“ (Repolyol), herzustellen. Polyol ist einer der beiden zentralen Bausteine von PU-Schaum, dem am häufigsten verwendeten Polstermaterial für Matratzen.

Werden die Polyole ohne Qualitätsverluste aus dem Schaum zurückgewonnen, können sie für die Herstellung von neuem PU-Schaum und damit für neue Matratzen und andere Polstermöbel eingesetzt werden. „Mit dem Verfahren von H&S können wir verschiedene Schaumstoffe unterschiedlicher Matratzenhersteller chemisch recyceln“, erklärt Chico van Hemert, Geschäftsführer von RetourMatras. Die neue Recyclinganlage wurde im Mai 2023 im niederländischen Lelystad in Betrieb genommen und kann dank der hochmodernen Recyclingtechnologie von H&S jährlich 200 000 Matratzen für die Polyolgewinnung verarbeiten.

Alte Matratzen aus Polyurethan-Schaum, die darauf warten, dass eine der beiden Komponenten des Polyurethans recycelt und wiederverwendet wird.

Foto: H&S Anlagentechnik

Und RetourMatras kümmert sich um alte Matratzen. Bereits 2019 ging der Recycler eine Partnerschaft mit Ikea Retail ein, um eine kreislauffähige Lösung für Altmatratzen zu finden und die Pläne des Möbelhändlers mit Hauptsitz in Delft, Niederlande, zur Herstellung von Produkten aus recycelten oder erneuerbaren Materialien zu unterstützen.

Die Chemie des Polyurethan-Recyclings

Die alten Matratzen werden zunächst mithilfe einer Anlage, die von RetourMatras entwickelt wurde, zerlegt. Da sich für das chemische Recycling ausschließlich Polyurethan eignet, werden dabei alle anderen Materialien wie Textilien, Metall und Latex, die in den Matratzen enthalten sind, aussortiert. Danach werden die PU-Schäume geschreddert und in das H&S-Silo gefördert. Aus dem Silo gelangen die PU-Schäume in einen Reaktor, wo sie verflüssigt werden.

Dann wird es chemisch. Dazu muss man wissen, dass die Polymerkette der Polyurethane aus zwei Komponenten bestehen: aus Polyolen und Isocyanaten. Polyole sind organische Verbindungen mit zwei und mehr „Hydroxyl-Gruppen“ (zum Vergleich: Ethanol, der Alkohol in alkoholhaltigen Getränken, hat eine Hydroxyl-Gruppe). Die Isocyanate im Polyurethan wiederum enthalten zwei „Isocyanat-Gruppen“ aus jeweils einem Stickstoff-, Kohlenstoff- und Sauerstoff-Atom. Wenn diese „NCO-Gruppen“ im Isocyanat mit Hydroxyl-Gruppen des Polyols reagieren, bilden sich über „Urethan-Gruppen“ langkettige Polyurethane.

Zurück zum Recycling: Der zerkleinerte PU-Schaum wird mit einem einfachen Polyol und mindestens einer Carbonsäure oder einem Carbonsäurederivat unter intensivem Rühren bei 200 bis 250 °C behandelt. Unter diesen sauren heißen Bedingungen brechen die Urethan-Gruppen auf. Dabei werden zum einen die zuvor eingesetzten Polyole wieder freigesetzt, zum anderen auch die Isocyanate, die unter diesen Bedingungen aber instabil sind und sich in Nebenprodukte wie Oligoharnstoffe, Oligoimide und Oligoamide umwandeln. Dabei bildet sich eine Dispersion, aus der schon während des Rührens bei gleichzeitiger Destillation überschüssige Feuchtigkeit sowie unerwünschte Nebenprodukte abgetrennt werden.

Der Clou: Weitere Nebenprodukte aus dem Isocyanat verbleiben nach der sauren Aufspaltung des Polyurethans zwar im zurückgewonnenen Polyol, doch das stört nicht. Denn das herausragende Merkmal dieser Nebenprodukte liegt darin, dass sie Isocyanat-reaktiv sind. Das heißt, sie reagieren vollständig mit Isocyanat und haben somit keine negativen Auswirkungen auf die Eigenschaften des recycelten Polyols. Aufwendige und kostspielige Trennverfahren entfallen daher.

Polyurethan-Recycling stetig weiter entwickeln

Der Sulinger Anlagenbauer entwickelt seine Verfahren und Anlagen für das Polyurethan-Recycling aus Altprodukten kontinuierlich weiter. Die neu errichtete Reaktoranlage in den Niederlanden ist nicht das erste Recyclingprojekt des Unternehmens im industriellen Maßstab. Im Rahmen des Matratzenrecycling-Programms Renuva von Dow, dem zweitgrößten Chemiekonzern der Welt, unterstützte H&S beispielsweise 2021 das französische Unternehmen Orrion Chemicals Orgaform mit Sitz in Semoy mit seinem nachhaltigen Systemkonzept. Außerdem setzt Ikano Industry, einer der größten polnischen Hersteller von Polyurethan-Schaumstoff, seit 2013 auf H&S-Verfahren, um Polyol aus Produktionsabfällen zurückzugewinnen.

Von Ralf Knief

Ralf Knief ist stellvertretender Geschäftsführer Vertrieb bei der H&S Anlagentechnik GmbH.
r.knief@hs-anlagentechnik.de