„Quoten für den Kunststoffkreislauf“
Die Zukunft des Kunststoffs war in diesem Jahr auf der Umweltleitmesse Ifat in München immer wieder Gesprächsthema. Eine Lösung: weniger verbrennen, mehr recyceln. Dafür braucht es neue technische Ansätze, meint PlasticsEurope Deutschland e. V., der Verband der Kunststoffhersteller in Deutschland. Auch spezielle Quotensysteme, die die Politik in Berlin und Brüssel festlegen könnte, würden helfen. Auf der Ifat sprachen wir darüber mit Dr. Ralf Düssel. Er ist Vorstandsvorsitzender bei PlasticsEurope Deutschland und leitet die Abteilung Nachhaltigkeit bei Evonik in Essen.
Kunststoffhersteller sind zwar bereit, mehr Rezyklate einzusetzen, das ist aber gar nicht so einfach. Dazu braucht es eine stärkere branchenübergreifende Zusammenarbeit mit Sammlern und Sortierern, investitionsfördernde gesetzliche Vorgaben sowie ein chemisches Recycling, das das mechanische Recycling ergänzt. Der Kunststoffverband PlasticsEurope Deutschland mit Sitz in Frankfurt am Main stellte sich hierzu auf der Ifat der Diskussion.
Herr Düssel, was braucht es, um die Kreislaufwirtschaft voranzubringen?
Ralf Düssel: Wir müssen das Recycling ausbauen. Und zwar sowohl das Mechanische als auch das Chemische. Dabei gilt: Kunststoffabfälle, die technisch, ökobilanziell und wirtschaftlich sinnvoll mechanisch recycelt werden können, sollten auch so verwertet werden. Das chemische Recycling kommt als Ergänzung anschließend zum Zug: Nämlich da, wo das mechanische Recycling nicht geeignet ist. So können weitere Abfallströme verwertet und mehr Kunststoffe im Kreislauf geführt werden.
Wie viele Kunststoffabfälle könnten denn mechanisch und chemisch recycelt werden?
Düssel: Deutlich mehr als jetzt! In Deutschland werden derzeit nur rund 1/3 der Kunststoffe recycelt, die restlichen 2/3 thermisch verwertet. Große Teile der genannten 2/3 sind schlicht verlorene Wertstoffe. Das muss sich ändern.
Lassen sich mit beiden Verfahren alle Kunststoffe recyceln?
Düssel: Nein. In jedem Prozessschritt, sei es Sammlung, Sortierung, Aufbereitung oder Recycling, gibt es Verluste. Somit kann ein vollständiges Recycling aller Kunststoffabfälle nicht erreicht werden. Darüber hinaus ist auch zirkuläres Produktdesign entscheidend.
Also, Produkte aus Kunststoffen sollen recyclingfähiger werden.
Düssel: Ja, die Kreislauffähigkeit am Lebensende muss schon bei der Konzipierung mitgedacht werden. Da geht es um Themen wie Abfallvermeidung, Materialeinsparung, Langlebigkeit, Reparierbarkeit, Wiederverwendung und Recycelbarkeit. Hier setzt die EU mit den im Entwurf der europäischen Verordnung für Verpackungen und Verpackungsabfälle, der PPWR, vorgesehenen Kriterien für Design for Recycling auch Schritte in die richtige Richtung.
Kreisläufe lassen sich nur über Branchen hinweg aufbauen. Dadurch entstehen sicher neue Partnerschaften beispielsweise auch mit kommunalen Entsorgungsbetrieben und Recyclern, die alle auf Augenhöhe zusammenarbeiten.
Düssel: Das ist für uns eine absolut elementare Voraussetzung. Sammlung und Sortierung sind essenziell für eine erfolgreiche Zirkularität von Kunststoffen. Das klingt zwar einfach, ist aber anspruchsvoll. Und klar, die Branchen agieren hier vollkommen auf Augenhöhe.
Sehen Sie beim mechanischen Recycling noch Verbesserungsmöglichkeiten?
Düssel: Auf jeden Fall. Künstliche Intelligenz hilft bereits jetzt vielfach, effektiver zu sortieren und auf diesem Weg mehr Kunststoffabfälle mechanisch zu recyceln. Wichtig ist etwa auch, die Nahinfrarot-Sortierung zu verfeinern, um Abfallfraktionen zu identifizieren, die spezifisch für das chemische Recycling geeignet sind. Dabei soll aber kein Abfall, der mechanisch recycelbar ist, ins chemische Recycling verschoben werden.
Zurück zum chemischen Recycling. Das hat noch keinen guten Ruf …
Düssel: … leider vollkommen zu Unrecht. Zwei Beispiele: Aus Produktperspektive kann chemisches Recycling zu Produkten in Neuwarequalität führen. Es kann daher auch einen entscheidenden Beitrag zum Rezyklateinsatz in sehr anspruchsvollen Anwendungen wie im Lebensmittelkontakt und für hochstabile Strukturbauteile beispielsweise im Automobilbereich leisten. Zudem können die unterschiedlichen chemischen Recyclingtechnologien dazu beitragen, Produkte nach mehrmaligen mechanischen Recyclingdurchgängen, die zu einer Degradation der Polymerketten führen, wieder hochwertig in den Kreislauf zurückzuführen und damit Downcycling zu vermeiden.
Wie viele Kunststoffe lassen sich eigentlich mechanisch und chemisch im Kreis fahren?
Düssel: Durch komplementäre mechanische und chemische Recyclingverfahren lassen sich viele der Kunststoffe in den Kreislauf zurückführen, die heute noch energetisch verwertet werden. Um wie viel sich damit die Recyclingquoten erhöhen lassen, hängt jedoch vom Erfolg der Weiterentwicklung der Recyclingtechnologien und dem zirkulären Design ab.
Was erwarten Sie von der Politik, um mechanisches und chemisches Recycling zu fördern?
Düssel: Die Politik hat die Aufgabe, Rahmenbedingungen zu schaffen als zwingende Voraussetzung für neue Geschäftsmodelle. Ist das der Fall, wird investiert. Wir fragen keineswegs nach Subventionen, sondern nach einem Rechtsrahmen, der der Umwelt hilft sowie der Entwicklung innovativer Techniken und Prozesse. Auf der Ifat haben wir gehört, dass einige Unternehmen große Bereitschaft für Investitionen haben, sobald die regulatorische Sicherheit gegeben ist.
Haben Sie konkrete Vorschläge?
Düssel: Ja, eine Doppelquote und produktspezifische Rezyklateinsatzquoten würden Investitionsanreize schaffen.
Was verstehen Sie unter „Doppelquote“?
Düssel: Um in Deutschland Investitionen das Recycling etwa von Kunststoff-Verpackungsabfällen anzureizen, schlagen wir vor, die bestehende Quote für werkstoffliche Verwertung, also für das mechanische Recycling, auf der Grundlage des deutschen Verpackungsgesetzes von derzeit 70 auf 75 % zu erhöhen und eine zweite zusätzliche Zielquote in Höhe von 10 % für das chemische Recycling einzuführen.
Das nennen Sie Doppelquote?
Düssel: Ja. Sie würde Anreize setzen, das mechanische Recycling weiter auszubauen und zusätzlich in chemische Recyclingverfahren zu investieren. Teil unseres Vorschlags ist es auch, nach fünf Jahren die Quoten zu evaluieren. Damit soll auch die Zuführung von mechanisch recycelbaren Abfallströmen in das chemische Recycling vermieden werden.
Was sind Rezyklateinsatzquoten?
Düssel: Diese Quoten bestimmen, wie hoch der Anteil an Rezyklaten in Kunststoffprodukten sein muss. Für bestimmte Formate von Kunststoffverpackungen sind in der noch im Entwurf vorliegenden europäischen Verordnung für Verpackungen und Verpackungsabfälle solche Quoten vorgesehen. Sie können ein wirksames Instrument sein, um tatsächlich mehr Rezyklate in den Markt zu bringen. Vorausgesetzt, die genannten übrigen Rahmenbedingungen stimmen ebenfalls.
Rezyklateinatzquoten können also die Kreislaufwirtschaft voranbringen?
Düssel: Ja, sie werden auch zu einem Skalierungseffekt führen und damit die Wettbewerbsfähigkeit zirkulärer Produkte verbessern. Mittel- und langfristig wird dies auch die Wettbewerbsfähigkeit der Kunststoffproduktion in Europa stärken.
Werden bei diesen Quoten auch Rezyklate aus dem chemischem Recycling anerkannt?
Düssel: Hier würde die vorhin beschriebene Doppelquote helfen. Darüber hinaus bedarf es noch geeigneter Rahmenbedingungen wie der Anerkennung einer geeigneten Massenbilanz, also der gezielten bilanziellen Zuordenbarkeit von Sekundärrohstoffen zu Produkten. Dies ist eine Voraussetzung für die Anrechenbarkeit von Sekundärrohstoffen aus chemischem Recycling in Rezyklateinsatzquoten 1).
Haben Sie noch einen Wunsch an die Politik?
Düssel: Ja, die Schnittstelle zwischen Abfall- und Chemikalienrecht macht es kompliziert und aufwendiger als anderswo. Wird recycelt, handelt es sich um Abfälle, wollen wir daraus Kunststoffe herstellen, müssen wir chemikalienrechtliche Aspekte beachten. Wesentlich ist hier, wann die Abfalleigenschaft endet. Beim chemischen Recycling entstehen zunächst sekundäre Rohstoffe wie Öle. Essenziell für die Kreislaufwirtschaft ist, dass diese Öle nicht mehr als Abfall angesehen werden, sondern als Produkt.
Warum ist das wichtig?
Düssel: Sofern ein Sekundärrohstoff als Abfall gilt, erzeugt der Transport etwa von der Recyclinganlage zu einer Aufbereitungs- und Produktionsstätte, in der solche Öle verarbeitet werden, hohen bürokratischen Aufwand. Wann die Abfalleigenschaft endet, ist nicht harmonisiert. Dies erzeugt Rechtsunsicherheit. Hier sehen wir Regelungsbedarf: Sekundärrohstoffe aus dem chemischen Recycling dürfen nicht als Abfälle gelten. Die Regelung des Endes der Abfalleigenschaft muss europäisch und national möglichst einheitlich erfolgen.
Glauben Sie denn, dass die Kunststoffindustrie mit allen Maßnahmen, die hier angerissen wurden, bis 2050 vollständig auf fossile Rohware verzichten kann?
Düssel: Nicht vollständig. Nach der Roadmap „The Plastics Transition“, die PlasticsEurope dieses Jahr veröffentlicht hat, kann in Deutschland und Europa die Kunststoffindustrie im Jahr 2050 CO2-neutral sein und in der EU können 65 % zirkuläre Kunststoffe eingesetzt werden. Die zirkulären Anteile sind Rezyklate aus mechanischem und chemischem Recycling und basieren darüber hinaus auf Biomasse und CO2. Auch trägt die Wiederverwendung von Kunststoffprodukten erheblich zur Zirkularität bei.
Herr Düssel, vielen Dank für das Gespräch.
1) https://plasticseurope.org/de/knowledge-hub/massebilanzen-auf-einen-blick/#:~:text=Massenbilanzen%20erm%C3%B6glichen%20die%20Zuordnung%20und,europ%C3%A4ischen%20Klima%2D%20und%20Kreislaufziele%20bei
Dr. Ralf Düssel ist Vorstandsvorsitzender bei PlasticsEurope Deutschland e. V. und Leiter der Abteilung Nachhaltigkeit bei Evonik in Essen