Überraschende Idee: Energiegewinnung aus Fusseln vom Haushaltstrockner
Achtlos entleeren Verbraucher das Flusensieb ihres Trockners. In den Mikrofasern steckt wertvolle Energie, die sich auch kommerziell nutzen lässt. Wie das funktioniert, zeigen Ingenieure aus Litauen.
Jedes Jahr verbrauchen Konsumenten weltweit etwa 80 Milliarden Kleidungsstücke. Ein Großteil davon landet in der Müllverbrennungsanlage oder auf der Mülldeponie. Sowohl die Produktion als auch die Entsorgung gehen mit starken Emissionen einher. Sie haben schwerwiegende Folgen für die Umwelt, aber auch – vor allem in Entwicklungsländern – für die Gesundheit. Das Problem ist bekannt, und viele Verbraucher fordern nachhaltige Lösungen.
Wissenschaftler aus Litauen weisen in einer Veröffentlichung auf bislang stark vernachlässigte Aspekte hin. Eine der Möglichkeiten, den ökologischen Fußabdruck von Textilien zu verringern, ist die Reinigung. Pro Kilogramm Kleidung entstehen bei einer normalen Maschinenwäsche im Schnitt etwa 300 Milligramm Mikrofasern. Sie landen beim Trocknen an der Wäschespinne in der Umwelt – oder wandern aus dem Flusensieb von Haushaltstrocknern direkt in die Mülltonne beziehungsweise ins Abwasser.
Das muss nicht sein: Ein Team von Ingenieuren der Technischen Universität Kaunas und des Litauischen Energieinstituts hat eine Methode entwickelt, um die in Wäschetrocknern anfallenden Fussel-Mikrofasern in Energie umzuwandeln. Sie bauten nicht nur eine Pilot-Anlage zur Pyrolyse, sondern veröffentlichten auch ein mathematisches Modell, um wirtschaftliche und ökologische Effekte ihrer Technologie zu berechnen. Die Forscher schätzen, dass durch Umwandlung aller Mikrofasern in Energie pro Million Verbraucher rund 14 Tonnen Öl, 21,5 Tonnen Gas und zehn Tonnen Holzkohle erzeugt werden könnten.
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Energiegewinnung im Labor und Simulation am Computer
Für das Experiment wurden Fussel-Mikrofasern aus Filtern der Trockner in Wohnheimen der Technischen Universität Kaunas gesammelt. Da die Mieter aus verschiedenen Kulturkreisen in Europa, Afrika, Asien und Amerika stammen, waren die gesammelten Proben chemisch äußerst heterogen. Mit Hilfe einer Pilot-Pyrolyseanlage, die in Labors des Litauischen Energieinstituts gebaut wurde, konnten die Wissenschaftler Öl, Gas und Holzkohle aus den gesammelten Chargen gewinnen. Bei thermischer Behandlung zerfielen die Fussel-Mikrofasern mit einer Umwandlungsrate von etwa 70% in die drei Energieträger.
Die Ingenieure entwickelten auch ein mathematisches Modell, um die wirtschaftliche und ökologische Leistung ihrer Strategie zu bewerten. Sie wählten als Grundlage die Menge an Fussel-Mikrofasern pro Million Konsumenten und Jahr. Dabei zeigte sich, dass die Umwandlung in andere Energieträger ökonomisch durchaus rentabel ist. Alle entstandenen Produkte hatten einen Gegenwert von 100.000 Euro. Und Pro Tonne Mikrofasern reduzierte sich die Klimabelastung um 42.039.000 Kilogramm Kohlendioxid-Äquivalente.
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Ein Pfandsystem gegen Mikroplastik in der Umwelt
Samy Yousef von der Technischen Universität Kaunas sieht in dem Projekt jedoch mehr als die reine Energiegewinnung. „Mikrofasern werden als Mikroplastik eingestuft“, so der Experte. Nicht alle Verbraucher entsorgen die Rückstände korrekt. Und so landen Kunststoffteilen mit einem Durchmesser von weniger als fünf Millimetern oft in der Umwelt. Dort verbleiben sie Jahrzehnte, und reichern sich in der Nahrungskette an. Der Forscher hofft, den Eintrag von Mikroplastik durch die Nutzung als Energieträger künftig zu verringern.
Doch wie finden Flusen aus Haushaltstrocknern ihren Weg in Pyrolyseanlagen? Auch dazu haben sich die Ingenieure Gedanken gemacht. „Ich glaube, dass ein Sammelsystem, ähnlich wie die Pfandrückgabe für Getränkeverpackungen, auf der Grundlage unserer Forschung entwickelt werden könnte“, so Yousef. Das könnte so aussehen: Wer Textilien erwirbt, entrichtet einen gewissen Obolus als Pfand. Bringen Haushaltsmitglieder ihre Mikrofasern aus dem Trockner zur Sammelstelle, werden die Flusen gewogen – und Konsumenten erhalten einen Teil des Pfands zurück. „Wir haben die Technologie entwickelt und Berechnungen angestellt, die jetzt noch weiterentwickelt werden müssen“, gibt Yousef zu bedenken.
Pyrolyse zur Energiegewinnung ist und bleibt Plan B
Die Ingenieure um Yousef betonen aber auch, dass ihr Vorschlag, das Material über Pyrolyse-Stufen aufzuschließen, vor allem aufgrund der Heterogenität interessant sei. Bislang gibt es hier keine Strategien zum Recycling.
Bei anderen Materialien sieht die Sache besser aus. Forschern des Fraunhofer-Instituts für Bauphysik IBP ist es gelungen, aus Teppichabfällen wertvolles Polypropylen chemisch herauszulösen. Teppiche sind Verbundwerkstoffe. Rein mechanisch lässt sich das Material nicht aufarbeiten. Im Experiment wurde der Abfall zunächst gereinigt. Anschließend löste ein ionisches Liquid Polypropylen aus dem Abfall. Im März 2022 soll eine Pilotanlage ihren Betrieb aufnehmen. Das Potenzial jedenfalls ist da. EU-weit fallen pro Jahr rund 1,6 Millionen Tonnen Teppichabfälle an. Andere Abfallströme mit Polypropylen lassen sich ähnlich aufarbeiten.
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