Überraschende Studien: Warum Urin nicht ins Klärwerk sollte
Energie einsparen und den Klimawandel verlangsamen: Diese Ziele machen vor unserem Abwasser nicht halt. Forscher sehen darin eine wertvolle Ressource – und nicht nur auf Erden.
Urin enthält die essenziellen chemischen Elemente Stickstoff, Phosphor und Kalium und wird seit tausenden Jahren als Pflanzendünger verwendet. Doch nahezu ausschließlich kommt Urin aus der Haltung von Nutztieren.
Zu Unrecht, wie Ingenieure und Chemiker der University of Michigan jetzt berichten. Denn die Separierung von Urin an kommunalen Kläranlagen und das Recycling der nährstoffreichen Flüssigkeit zur Herstellung von Pflanzendünger bringt selbst im normalen Maßstab Vorteile für die Umwelt. Das zeigt eine mathematische Modellierung von Anlagen unterschiedlicher Größe. Kommunale Klärwerke verringern die Emission von Treibhausgasen, den Energieverbrauch, den Süßwasserverbrauch und die Algenblüte signifikant. Je nach Wirkungsgrad errechnen die Autoren dabei Einsparungen zwischen 26 % und 64 %.
„Unsere Analysen zeigen deutlich, dass die genau definierten Vorteile, nämlich geringere Anforderungen an das Abwassermanagement und die Vermeidung der Produktion von Kunstdünger, die Umweltauswirkungen der Sammlung, Verarbeitung und des Transports von Urin übersteigen, was darauf hindeutet“, fasst Stephen Hilton zusammen. Er forscht an der Universität von Michigan. Hilton zufolge sei es sinnvoll, das Konzept weiterzuverfolgen und in Pilotanlagen zu überprüfen.
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Analyse regionaler Daten: Urinabtrennung lohnt sich ökologisch
Für ihre Arbeit sammelten die Forscher Daten aus Kläranlagen in den US-Bundesstaaten Michigan, Vermont und Virginia. Am Computer folgten verschiedene Simulationen. Sie verglichen die Leistung großer, zentraler Anlagen zur Urinabtrennung und Düngemittelproduktion mit konventionellen Kläranlagen und der Herstellung von Düngemittel mit nicht erneuerbaren Ressourcen.
Etwa die Hälfte der weltweiten Nahrungsmittelversorgung hängt derzeit von synthetischen Düngemitteln ab, die aus nicht erneuerbaren Ressourcen hergestellt werden. Phosphatgestein wird abgebaut und zu Phosphatdünger verarbeitet. Die Herstellung von Stickstoffdünger wiederum ist ein energieintensiver Prozess, bei dem Erdgas verwendet wird und der für 1,2 % des weltweiten Energieverbrauchs und der damit verbundenen Treibhausgasemissionen verantwortlich ist. Gleichzeitig verbrauchen Wasser- und Abwassersysteme 2 % des US-amerikanischen Stroms, wobei die Abtrennung von Nährstoffen einer der energieintensivsten Prozesse ist.
Genau hier sehen die Wissenschaftler aus Michigan große Perspektiven. Laut ihren Berechnungen waren die Abtrennung und Verwertung von Urin in den meisten Kategorien klare Gewinner. Sie machten in einigen Fällen sogar bestimmte Chemikalien zur Abwasserbehandlung überflüssig. Ein Nachteil bei der Herstellung von Düngemitteln aus Urin könnte jedoch sein, dass die Versauerung stetig zunimmt.
Einige frühere Ökobilanzen hatten Umweltauswirkungen des Urinrecyclings nur überschlagsmäßig mit herkömmlichen Systemen verglichen. Die neue Studie sei laut Hilton jedoch die erste, welche eine detaillierte Modellierung von Prozessen zur Abwasserbehandlung berücksichtige. Das heißt: Forscher verglichen die Menge an Energie und an Chemikalien bei unterschiedlichen Methoden.
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Die Perspektive: Dünger für Landwirtschaft im Weltraum
Bei der Nutzung von Urin geht es nicht nur um irdische Belange. Als eine der Herausforderungen, um den Mars zu besiedeln, gilt, in gewissem Maße Autonomie zu erreichen. Dazu zählt die Versorgung mit Nahrungsmitteln inklusive Düngung. Mit dieser Frage haben sich jetzt Forscher der Tokyo University of Science befasst.
Sie entwickelte ein elektrochemisches Verfahren zur Abtrennung von Ammonium-Ionen aus einer künstlichen Urinprobe. Ihr Versuchsaufbau war denkbar einfach. Das Team arbeitete mit einer Reaktionszelle inklusive Bor-dotierten Diamanten als Elektrode. Hinzu kam ein Photokatalysator aus Titandioxid. Die zweite Elektrolysezelle bestand aus einer Platin-Elektrode. Als Lösung verwendeten die Forscher Harnstoff: ein Molekül, das natürlicherweise in Urin vorkommt. Es wurde im Labor elektrochemisch zu Ammonium-Ionen – und damit zu rasch verwertbarem Stickstoffdünger – oxidiert. Dies förderte der photochemische Katalysator aus Titandioxid.
„Wir planen, das Experiment mit echten Urinproben durchzuführen, die neben Primärelementen (Phosphor, Stickstoff, Kalium) auch Sekundärelemente (Schwefel, Kalzium, Magnesium) enthalten, welche für die Pflanzenernährung wichtig sind“, sagt Norihiro Suzuki von der Tokyo University of Science. Er will die Methode so weiterentwickeln, dass es gelingt, Dünger auch unter beengten Verhältnissen, etwa in Raumstationen, zu produzieren.
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