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Grüne Chemie für Polyurethane 01.03.2024, 08:00 Uhr

Pilotanlage für Anilin aus Biomasse

Das Chemieunternehmen Covestro treibt die Umsetzung eines Verfahrens voran, um die wichtige Grundchemikalie Anilin komplett auf Basis pflanzlicher Biomasse statt Erdöl zu produzieren. Dazu hat der Kunststoffhersteller am Standort in Leverkusen eine Pilotanlage in Betrieb genommen, um die kommerzielle Herstellung von biobasiertem Anilin vorzubereiten.

Covestro präsentierte die Bio-Anilin-Pilotanlage am 13. Februar 2024. Silvan Geara, der Betriebsleiter der Anlage, zeigt sie Walter Leitner, geschäftsführender Direktor am Max-Planck-Institut für chemische Energiekonversion und Mitgründer und Projektleiter des CAT Catalytic Center, NRW-Ministerin Mona Neubaur und Thorsten Dreier, Technologievorstand von Covestro  (v.l.n.r.). Foto: Covestro

Covestro präsentierte die Bio-Anilin-Pilotanlage am 13. Februar 2024. Silvan Geara, der Betriebsleiter der Anlage, zeigt sie Walter Leitner, geschäftsführender Direktor am Max-Planck-Institut für chemische Energiekonversion und Mitgründer und Projektleiter des CAT Catalytic Center, NRW-Ministerin Mona Neubaur und Thorsten Dreier, Technologievorstand von Covestro (v.l.n.r.).

Foto: Covestro

In Chemiepark Leverkusen wird der Kunststoffhersteller Covestro erstmals größere Mengen biobasierten Anilins herstellen. An der Einweihungsfeier dieser Pilotanlage nahmen neben Thorsten Dreier, Technologievorstand von Covestro, Mona Neubaur, Ministerin für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie von Nordrhein-Westfalen, sowie Walter Leitner, geschäftsführender Direktor am Max-Planck-Institut für chemische Energiekonversion in Mülheim an der Ruhr, teil. Gemeinsam diskutierten sie über die Bedeutung biobasierter Rohstoffe für eine nachhaltigere Chemie.

„Anilin ist auch ein zentraler Ausgangsstoff für Schaumstoffe zur Dämmung von Gebäuden und Kühlgeräten“, erläuterte Dreier die Bedeutung der Grundchemikalie. Bislang wird diese Substanz mit fossilen Rohstoffen wie Erdöl hergestellt. Mit dem neuen Verfahren wolle das Unternehmen zum Aufbau einer zirkulären, biobasierten Wirtschaft beitragen, und „ich bin sehr stolz“, so Dreier, „dass uns jetzt der Sprung auf die nächste technologische Ebene geglückt ist.“ Solche nachhaltigen Innovationen aus Nordrhein-Westfalen leisteten einen entscheidenden Beitrag für die Transformation des Chemiestandorts Deutschland, betonte Neubaur. „Die weltweit erste Pilotanlage für biobasiertes Anilin ist dafür ein eindrucksvolles Beispiel.“

Während der Einweihungsfeier der Pilotanlage zur Herstellung von biobasierten Anilin diskutierten Thorsten Dreier, Technologievorstand von Covestro, Mona Neubaur, Ministerin für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie von Nordrhein-Westfalen, und Walter Leitner, Direktor am Max-Planck-Institut für chemische Energiekonversion in Mülheim an der Ruhr, über die Bedeutung biobasierter Rohstoffe für eine nachhaltigere Chemie.

Foto: Covestro

Und es geht letztlich um große Mengen: Chemieunternehmen stellen weltweit jährlich rund 6 Mio. t Anilin her – mit steigender Tendenz von 3 bis 5 % jährlich. Covestro zählt mit einer Produktionskapazität von mehr als 1 Mio. t/a an Standorten in Asien, Europa und Nordamerika zu den führenden Anilin-Herstellern.

Anilin aus Biomasse

Kunststoffhersteller nutzen Anilin, um ein Isocyanat – genauer das Methylendiphenyldiisocyanat (MDI) – herzustellen. Für ein Molekül MDI benötigen sie hierfür zwei Moleküle Anilin. Das Isocyanat MDI dient als Grundbaustein für Polyurethane, die als Hartschaum zur Isolierung von Gebäuden oder als Weichschaum etwa für Matratzen eingesetzt werden.

 Zum eigentlichen Verfahren macht Covestro zwar erst wenig konkrete Angaben, doch als Rohstoffe setzt es sogenannte Industriezuckerlösungen ein. Diese werden aus unterschiedlichen Quellen wie Mais, Zuckerrohr, Stroh oder Holz hergestellt. Aus diesen Zuckerlösungen wird in zwei Schritten biobasiertes Anilin hergestellt.

Biomasse fermentieren und chemisch umwandeln

Das besondere an dem Verfahren ist für Leitner, dass zwei unterschiedliche chemische Produktionswege ineinandergreifen. Es beginnt mit einer Fermentation. Dazu setzt das Unternehmen der Zuckerlösung Bakterien zu und fügt eine Stickstoffquelle hinzu. Diese Mikroben schaffen es dabei unter milden Bedingungen, die Zuckermoleküle in einen Benzolring mit Ammonium-Gruppe umzuwandeln. Es entsteht biotechnologisch hergestellte Zwischenprodukt, das Covestro „Pre-Anilin“ nennt.

Ein Mitarbeiter von Covestro prüft, ob einer der Reaktionsschritte auf dem Weg zum biobasierten Anilin planmäßig verläuft.

Foto: Covestro

Dieses Zwischenprodukt wird dann in einem zweiten Reaktionsschritt chemisch zu Anilin umgesetzt. Dieses biobasierte Anilin wird anschließend destillativ aufgereinigt. Geringe Mengen an biobasiertem Anilin hatte Covestro bereits im Labormaßstab hergestellt und geprüft, ob es sich zur Herstellung von MDI eignet. Das Ergebnis war positiv. Und der CO2-Fußabdruck von biobasiertem Anilin ist signifikant niedriger als der von petrobasiertem Anilin. Außerdem wird für die Herstellung kein fossiler Rohstoff benötigt.

Zu der Pilotanlage gehören rund 50 Apparate, 150 Sensoren und 600 m an Leitungen. Sie dient dazu, die Bedingungen der Fermentation und der chemischen Umsetzung weiter zu verbessern, um beispielsweise die Ausbeute zu erhöhen. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse werden dann in den Bau der Anlage im industriellen Maßstab einfließen. Für die Pilotanlage nahm Covestro einen einstelligen Millionenbetrag in die Hand.

Ein Mitarbeiter von Convestro steht vor einem Behälter, in dem biobasiertes Anilin aufbewahrt wird.

Foto: Covestro

Gemeinsam mit Partnern

Covestro hat an der Fermentation und der Katalyse nicht allein gearbeitet. An dem Vorhaben waren und sind zwei Partner beteiligt: die RWTH Aachen mit dem CAT Catalytic Center sowie die Universität Stuttgart mit der dort angesiedelten Technologie-Transfer-Initiative. Das Projekt ist für Leitner daher auch ein Ausdruck der guten Zusammenarbeit von forschungsbasierter Industrie und exzellenter Grundlagenforschung. Besonders in Nordrhein-Westfalen sieht er viele solcher Schnittstellen. „Davon brauchen wir mehr in Deutschland, um uns als Forschungs- und Technologiestandort zu behaupten.“

Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) fördert die dritte Phase des Forschungsprojekt „Biobasierte Herstellung von Intermediaten für Polyurethane“, kurz „Bio4PURDemo“, mit rund 2 Mio. €. Diese Projektphase begann im März 2022 und endet im Februar 2025.

Ausblick

Damit die Chemiebranche den eingeschlagenen Weg hin zur Kreislaufwirtschaft und Klimaneutralität fortsetzen kann, brauche es vor allem Planungs- und Investitionssicherheit, betont Ministerin Neubaur. „Wir als Landesregierung arbeiten deshalb mit aller Kraft daran, dass Nordrhein-Westfallen attraktiver Wirtschaftsstandort bleibt und erste klimaneutrale Industrieregion in Europa wird.“

Für Covestros Technologievorstand Dreier sind Innovationen der Schlüssel dazu: „Um solche Forschungsdurchbrüche zu erzielen, müssen wie hier viele Partner aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik an einem Strang ziehen“, betont er. Helfen würden auch schlanke Genehmigungsverfahren, wettbewerbsfähige Energiepreise sowie eine Offenheit für neue Techniken.

Von Dr. Ralph H. Ahrens