Wenn sich Chemikalien im Körper mischen: neurotoxische Wirkung
Eine UFZ-Studie belegt: Selbst geringe Konzentrationen einzelner Chemikalien können sich in komplexen Mischungen zu neurotoxischen Effekten aufsummieren. Forschende analysierten über 600 Blutproben schwangerer Frauen und testeten die Wirkung realistischer Chemikaliencocktails auf menschliche Zellen. Die Ergebnisse zeigen, dass die Risikobewertung von Chemikalien künftig in Mischungen erfolgen muss.
Chemikalien sind allgegenwärtig und gelangen über verschiedene Wege in den Körper. Doch welche Auswirkungen haben diese komplexen Substanzgemische auf die menschliche Gesundheit? Dieser Frage ging ein Forschungsteam des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) nach. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler untersuchten, ob Chemikalien in realistischen Mischungen und Konzentrationen, wie sie im menschlichen Körper vorkommen, zusammenwirken und ob sich ihre Effekte addieren. Als Grundlage dienten mehr als 600 Blutproben von Schwangeren aus der seit 2006 am UFZ laufenden Mutter-Kind-Studie LiNA. Die Forschenden wiesen nach, dass sich die neurotoxischen Wirkungen der Chemikalien selbst dann aufsummierten, wenn die Konzentration jeder Einzelsubstanz unterhalb der Wirkschwelle lag.
Um die individuellen Chemikalienmischungen in den Blutproben zu analysieren, wendete das Team ein zweistufiges Extraktionsverfahren an. „Wir wollten herausfinden, welche Chemikalien in welchen Konzentrationen im Blutplasma enthalten waren“, erklärt Georg Braun, Erstautor der Studie. Mithilfe von Untersuchungen im Massenspektrometer suchten die Forschenden gezielt nach 1.000 verschiedenen Substanzen, die potenziell vom Menschen aufgenommen werden und gesundheitlich relevant sein könnten. Rund 300 dieser Chemikalien konnten sie in mehreren Plasmaproben nachweisen und erhielten so Informationen über die Zusammensetzung und Konzentration der vorhandenen Chemikaliencocktails.
Experiment bestätigt additive Effekte von Chemikalien
Mithilfe eines Vorhersagemodells berechneten die Forschenden die zu erwartende neurotoxische Wirkung der Chemikalienmischungen. Um diese Vorhersagen experimentell zu überprüfen, testeten sie sowohl Einzelchemikalien als auch rund 80 selbst hergestellte Substanzgemische in realistischen Konzentrationen sowie die Extrakte der Plasmaproben in einem zellbasierten Testsystem mit menschlichen Zellen. „Die Laborexperimente bestätigten die Modellvorhersagen: Die Effekte der Chemikalien addieren sich in komplexen Mischungen“, fasst UFZ-Umwelttoxikologin Beate Escher die Ergebnisse zusammen. Selbst wenn die Konzentrationen der einzelnen neurotoxisch wirkenden Chemikalien jeweils unterhalb der Wirkschwelle lagen, zeigte sich gemischt mit vielen anderen Substanzen eine Wirkung auf nervenähnliche Zellen.
Die Studie liefert somit erstmals den Beweis, dass die aus der Umweltforschung bekannten additiven Effekte von Chemikalienmischungen auch für den Menschen gelten. „In der Risikobewertung müssen wir daher umdenken. Indikatorsubstanzen allein sind bei weitem nicht ausreichend. Wir müssen künftig in Mischungen denken lernen“, erklärt Escher. Dr. Gunda Herberth, UFZ-Umweltimmunologin und Leiterin der LiNA-Studie, ergänzt: „Es verdichten sich die Hinweise, dass viele Erkrankungen wie Allergien, Störungen des Immun- oder Nervensystems oder Fettleibigkeit mit der Chemikalienexposition im Mutterleib oder in der frühen Kindheit zusammenhängen.“
Neue Testmethoden eröffnen neue Forschungsmöglichkeiten für Chemikaliencocktails
Das vorgestellte Testverfahren, bei dem Chemikalienmischungen aus menschlichen Proben extrahiert, per Spektrometeranalyse charakterisiert und in zellbasierten Biotestsystemen auf ihre Wirkung untersucht werden, eröffnet neue Perspektiven für die Erforschung gesundheitlicher Auswirkungen komplexer Substanzgemische. Künftig wollen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihre Methode verfeinern und weitere gesundheitsrelevante Endpunkte wie Immuntoxizität betrachten. Zudem möchten sie mögliche Zusammenhänge zwischen der Chemikalienexposition und der Entwicklung von Gesundheitsstörungen bei Kindern aufdecken.
Als Teil des Deutschen Zentrums für Kinder- und Jugendgesundheit, einem bundesweiten Forschungsverbund, werden die UFZ-Forschenden mit Expertinnen und Experten aus Medizin und Epidemiologie kooperieren, um die Methoden des effektbasierten humanen Biomonitorings in der Praxis anzuwenden. Ziel ist es, die gesundheitlichen Auswirkungen von Chemikaliencocktails besser zu verstehen und die Risikobewertung von Chemikalien auf eine neue Grundlage zu stellen.
UFZ-Studie unterstreicht Notwendigkeit eines Umdenkens
Die Ergebnisse der UFZ-Studie verdeutlichen, dass die bisherige Praxis, Chemikalien isoliert zu betrachten und zu bewerten, der Realität nicht gerecht wird. Im menschlichen Körper wirken komplexe Substanzgemische zusammen und können selbst in geringen Konzentrationen additive Effekte entfalten. Um potenzielle Gesundheitsrisiken frühzeitig zu erkennen und zu minimieren, ist ein Paradigmenwechsel in der Risikobewertung von Chemikalien unumgänglich.
Die vorgestellte Testmethode liefert dafür neue Ansatzpunkte. Durch die Kombination von chemischer Analytik und zellbasierten Biotests lassen sich die Wirkungen realistischer Chemikaliencocktails auf den menschlichen Körper untersuchen. Die Erkenntnisse können dazu beitragen, Grenzwerte anzupassen und den Gesundheitsschutz der zu verbessern. Gleichzeitig unterstreicht die Studie das weitere Forschung notwendig ist, um die komplexen Zusammenhänge zwischen Chemikalienexposition und Gesundheit besser zu verstehen und wirksame Vorsorgepläne zu entwickeln.