Irrt Elon Musk? Warum moderne Kernenergie keine Alternative ist
Die Energiewende kommt nur langsam voran, und Experten bringen Kernenergie als mögliche Lösung ins Gespräch. Eine Analyse zeigt jedoch: Neue Kernkraftwerke sind teuer, gefährlich – und bremsen Innovationen.
Am 31. Oktober hat im schottischen Glasgow die 26. UN-Klimakonferenz (COP26) begonnen – mit einem Jahr Verspätung wegen der Corona-Pandemie. Die Erwartungen sind hoch. Manche Expertinnen und Experten sehen in COP26 sogar eine letzte Chance, Maßnahmen in einer post-fossilen Ära umzusetzen, bevor Ziele des Pariser Klimavertrages in unerreichbare Ferne rücken.
Bereits im Vorfeld gab es rege Diskussionen. Der weltweite Energiebedarf ist hoch, und regenerative Energien müssen ausgebaut werden: ein langwieriger Prozess. Wenig überraschend fordern einige Entscheider weltweit, der Kernenergie zu neuer Blüte zu verhelfen. Reaktoren emittieren keine Treibhausgase. Doch kürzlich veröffentlichte Untersuchungen zeigen, dass solche Technologien trotzdem keine Alternative zu erneuerbaren Energien darstellen.
Starke Befürworter der Kernenergie
Solche Kontroversen kommen nicht aus heiterem Himmel. Elon Musk gehört zu den stärksten Befürwortern moderner Nukleartechnologien. „Ich denke, dass moderne Kernkraftwerke sicher sind, anders als viele Menschen möglicherweise denken“, so der Tesla- und SpaceX-CEO gegenüber US-Medien. Und weiter: „Ich spreche von Kernspaltung. Wir brauchen keine Kernfusion.“
Musk geht es weniger um die große Energiepolitik. SpaceX-Ingenieurinnen und -ingenieure arbeiten an einem Mini-Atomkraftwerk als transportable Energiequelle für Marsmissionen. Der Reaktor könnte bei einer Leistung von 1,0 Megawatt auf der Erde 1.000 Haushalte bis zu acht Jahre lang mit Strom versorgen.
Der SpaceX-Chef vertritt keine Einzelmeinung. Innerhalb der EU macht sich Frankreich für die zivile Nutzung von Kernenergie stark, vor allem bei den sogenannten Taxonomieverhandlungen. Hier legen Entscheider fest, welche Maßnahmen Mitgliedsstaaten finanziell vergütet werden, um die Emission von Treibhausgasen zu verringern. Ist diese Strategie wirklich zielführend?
Energiewende: Der Ausstieg aus der Kohle geht schneller voran
Gefahrenpotenziale von Kernenergie
Jetzt haben Forschende der „Scientists for Future“ Untersuchungen analysiert, mit denen die Kernenergie als Technologie zur Emissionsminderung dargestellt wird. Sie fanden einige systematische Fehler, die aus ihrer Sicht gegen die flächendeckende Nutzung der Kernenergie sprechen. An den Arbeiten waren Forschende der TU Berlin beteiligt.
Unfälle wie in Tschernobyl oder in Fukushima werden im globalen Gedächtnis bleiben; die Liste sonstiger Zwischenfälle mit niedrigeren Werten auf der INES-Skala (International Nuclear and Radiological Event Scale) ist jedoch deutlich länger. Befürworter sehen solche Gefahren bei den SMR-Reaktorkonzepten nicht. Small Modular Reactors (SMR) sind kleinere Anlagen mit deutlich niedrigerer Leistung. Sie werden nicht vor Ort errichtet, sondern in einer Fabrik hergestellt und dann transportiert. Alternativ werden Kernkraftwerke der vierten Generation genannt. Sie sollen sicherer und wirtschaftlicher sein.
Expertinnen und Experten der Studie erwarten von neuen Technologien keine größere Zuverlässigkeit; es fehlen schlichtweg Erfahrungen. Außerdem bleibt die Gefahr, hoch angereichertes Uran oder Plutonium könnte in die Hände von Verbrechern geben. Auch die Endlager-Problematik ist nach wie vor ungelöst.
Sichere Stromversorgung: Australischer Wasserstoff für die deutsche Energiewende
Wie wirtschaftlich wäre eine neue Generation an Kernenergie?
Schon der weitere Betrieb bestehender Kernkraftwerke als Laufzeitverlängerung gilt wegen unklarer Investitionen und wegen langfristiger Folgen als wirtschaftliches Risiko. Gerade ein Rückbau verursacht immense Kosten. Erfahrungswerte zu SMC gibt es bislang nicht.
Die Analysen zeigen aber auch, dass ambitionierte Klimaschutzziele ohne Kernenergie nicht nur realistisch, sondern kostengünstiger sind. Neue Technologien sind nicht ausgereift; die Folgen lassen sich derzeit kaum abschätzen.
Könnte Kernenergie die globale Erwärmung zeitlich noch bremsen?
Abgesehen von sicherheitstechnischen und ökonomischen Fragen ist zu klären, ob Kernenergie zeitlich überhaupt in der Lage wäre, einen relevanten Beitrag gegen die globale Erwärmung zu leisten. Von China abgesehen gibt es weltweit kaum Planungen oder Baumaßnahmen. Aktuell befinden sich 52 Kernkraftwerke im Bau und nur wenige Länder versuchen den Einstieg in die Kernenergie. Neue Projekte haben einen Vorlauf von mehreren Jahren. Deswegen wird die Technologie kaum einen relevanten Beitrag leisten, um den Kohlendioxid-Ausstoß zu minimieren.
Wäre Kernenergie ein Innovationsmotor für andere Technologien?
Zuletzt befassen sich die Autoren mit der Frage, ob eine neue Kernenergie andere Entwicklungen fördern oder eher hemmen würde. Alles in allem sehen sie negative Effekte durch Innovations- und Investitionsblockaden. Geld könnte in andere Technologien fließen. Und nuklearer Wasserstoff sei weder aus technischen noch aus ökonomischen Gründen eine Option zur Steigerung der Auslastung von Kernkraftwerken, schreiben sie.
Mehr zum Thema erneuerbare Energien:
- Wie Deutschland die Energiewende schaffen kann
- Stromversorgung in China: Wasser, Wind, Sonne und Kernkraft sollen es richten
- Mit Kernenergie sollen Klimaziele erreicht werden