Neue Wasserkraftwerke sind nicht immer besser für die Fische
Wasserkraftwerke unterstützen die Energiewende. Sie liefern klimafreundliche Energie. Doch wie sehr greifen sie in den Lebensraum von Fischen und anderen Lebewesen in Fließgewässern ein? Dieser Frage ist ein Forschungsteam der Technischen Universität München (TUM) nachgegangen.
Sieben Anlagen in Bayern hat das Forschungsteam um Jürgen Geist, Professor für Aquatische Systembiologie an der Technischen Universität München (TUM), seit 2014 untersucht. Darunter waren sowohl moderne Wasserkraftanlagen wie auch konventionelle Anlagen. Im Mittelpunkt des Forschungsprojekts stand die Frage, ob diese Anlagen den Fischen schaden. Für die Untersuchung hat das Team stromabwärts der Turbinen, Überläufe und Fischpässe Netze verwendet. Darin haben sie mehr als 70.000 Fische gefangen. Sie wurden eingehend untersucht, ob und welche Verletzungen vorlagen. Auch die Todesursachen haben die Forscher ermittelt. 8.500 der Fische haben sie dafür sogar zusätzlich geröntgt, in der Hoffnung, Hinweise auf innere Verletzungen zu erhalten.
Neben den Fischen hat das Team auch die Details im Lebensraum untersucht. Dazu zählen Wasserpflanzen, Algen und wirbellose Tiere. Ziel war es, eine mögliche Verbindung zu Umweltfaktoren wie Temperatur, gelöstem Sauerstoff und pH-Wert im Ober- und Unterwasser der Wasserkraftanlagen herzustellen.
Für Fische sind neue Wasserkraftanlagen nicht unbedingt besser
Wichtigstes Ergebnis der Studie: „Die Mortalitätsraten an den technisch neueren Anlagen waren nicht immer geringer als an den konventionellen Anlagen“, erklärt Jürgen Geist. Das widerspricht den bisherigen Annahmen, dass Wasserkraftschnecken oder Kraftwerke mit VHL-Turbinen Fische besser schützen. VHL-Turbinen sind besonders langsam drehende, weshalb sie als fischverträglich gelten, weil die Fische durch sie hindurchschwimmen können. VHL steht dabei für „Very-low-head“ und bedeutet sehr niedrige Fallhöhe. Solche Turbinen sind zum Beispiel am Standort Au an der Iller im Einsatz, den die Forscher untersucht haben. Hier käme es tatsächlich zu relativ geringen Schäden, was aber wohl an anderen Faktoren liege. Denn an einer solchen Anlage mit einer Fallhöhe von vier Metern – wie es an einem anderen Standort der Fall ist – sinke nach Einschätzung der Forscher die Überlebenswahrscheinlichkeit für Fische deutlich. Ein weiterer Aspekt, der nicht anlagenspezifisch ist, betrifft den Betriebszustand. Die Studie hat ergeben, dass Äschen und Bachforellen das Kraftwerk mit einer VLH-Turbine eher unbeschadet passieren, wenn es mit niedriger Last betrieben wird. Eine Voll-Last wirke sich hingegen negativ auf das Wohl der Fische aus.
Alternative Wege müssen zu den Gewohnheiten der Fische passen
An zahlreichen Wasserkraftanlagen gibt es für die Fische separat angelegte Wege, damit sie bei ihrer Wanderung flussaufwärts um die Anlagen herumschwimmen können. Das sind beispielsweise sogenannte Fischtreppen. Die Forscher haben im Rahmen ihrer Untersuchungen festgestellt, dass die meisten Tiere allerdings nicht über sie absteigen. Im Gegenteil: Der größte Teil des Fischbestands, vor allem kleine Fische, nutzen die Hauptströmung und passieren die Turbinenräume. Extra installierte Fischschutzrechen vor den Turbinen halten sie kaum davon ab. Für sogenannte Aalrohre kommen die Forscher zu einem ähnlichen Ergebnis. Zum Schutz des Aales in dessen natürlichen Verbreitungsgebiet in Bayern, das vor allem im Main liegt, schlagen die Wissenschaftler deshalb Spülklappen vor. Sie sollten während der Hauptwanderzeiten an den Wehren angebracht werden. Aale wandern in der Regel im Herbst und dann bevorzugt im Schutz der Dunkelheit, also nachts. Spülklappen seien bei zahlreichen Wasserkraftanlagen bereits vorhanden, weil sie an den Wehren auch Äste und größere Anschwemmungen hindurchlassen. Diese Spülklappen ließen sich zwischen zehn und 20 Zentimeter weit öffnen. Nach Beobachtungen der Forscher nehmen die Aale dieses Angebot lieber wahr als die Rohre.
„Die negativen Auswirkungen der Unterbrechung des Fließgewässers durch die Querbauwerke sollten bestmöglich kompensiert werden. Wir empfehlen, dass Ersatzlebensräume für Fische und andere Lebewesen im Wasser geschaffen werden und wann immer möglich, eine Renaturierung erfolgen sollte“, interpretiert Jürgen Geist die Ergebnisse der Studie zur Gewässerökologie rund um die Anlage. Diese haben sie auch mit den Beteiligten der Untersuchungsstandorte diskutiert. Erste Verbesserungen seien bereits erarbeitet worden. Die Forscher hoffen, dass der breite Katalog an Einflussfaktoren, der sich aus ihren Untersuchungen ergeben hat, in die weiteren Planungen von Kraftwerken oder bei Wiederbewilligungen einfließen.
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