Überraschendes Konzept: So könnte der Luftverkehr rasch CO2-neutral werden
Verschiedene Gräser, angepflanzt auf brach liegenden Flächen, lösen vielleicht ein zentrales Problem der Luftfahrt. Das neue Konzept, daraus Jet-Treibstoffe herzustellen, hält einer ökologischen und ökonomischen Überprüfung stand.
Jeden Tag fliegen 45.000 Flugzeuge über die Vereinigten Staaten und befördern etwa 1,7 Millionen Passagiere. Europa passieren täglich 27.000 Maschinen mit rund einer Million Passagieren. Der Luftverkehr trägt stark zum Klimawandel bei; er ist einer der Sektoren, in denen die Dekarbonisierung als recht schwierig und vor allem zeitaufwändig gilt. Viele Hersteller forschen an Alternativen wie „grünem“ Wasserstoff als Energieträger. Elektroflugzeuge gelten als Perspektive – wenn auch langfristig. Nur wie könnte es kurzfristig gelingen, den gesamten Flugverkehr nahezu emissionsfrei zu gestalten?
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Arizona State University haben herausgefunden, dass Miscanthus-Gras Teil der Lösung des bekannten Problems sein könnte. Die Pflanze ist auch unter den Bezeichnungen Elefantengras oder Chinaschilf bekannt. Die Forschenden empfehlen, Miscanthus-Gras auf sogenannten Grenzertragsflächen anzubauen – immerhin 23,2 Millionen Hektar in den USA. Solche Anbauflächen lassen sich klassisch meist nur mit immensem Einsatz an Zeit und Gerät bewirtschaften; die Erträge sind geringer als der Aufwand. Oft liegt dies an einer schlechten Bodenqualität, was dem robusten Miscanthus-Gras aber wenig ausmacht.
Daraus könnte Biomasse für Flugzeugtreibstoffe werden. Die Brachen würden ausreichen, um den Bedarf des US-Luftfahrtsektors an flüssigen Kraftstoffen vollständig durch Biokraftstoffe zu decken. Bis 2040 werden es voraussichtlich mehr als 100 Milliarden Liter pro Jahr sein.
„Wir zeigen, dass die Dekarbonisierung des Treibstoffs für die kommerzielle Luftfahrt in den Vereinigten Staaten in Reichweite ist, ohne auf die Elektrifizierung des Flugzeugantriebs warten zu müssen“, sagte Nazli Uludere Aragon von der Arizona State University.
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Für ihre Studie nutzten die Forscherinnen und Forscher umfangreiche Datensätze aus Landbewertungen, Hydroklima-, Ökosystem- und Wirtschaftsmodellierungen. Sie wollten herausfinden, wo und unter welchen Bedingungen in den Vereinigten Staaten Energiepflanzen für Biojet-Kraftstoffe nachhaltig angebaut werden könnten, und zwar anhand von Kriterien, die sowohl ökologische als auch wirtschaftliche Faktoren einschließen.
Das Team ermittelte und bewertete zunächst, wo es in den USA bereits optimale landwirtschaftliche Grenzertragsflächen gibt. Anschließend prüften die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, ob auf diesen Flächen Energiepflanzen angebaut werden können, ohne zusätzliches Wasser zu verbrauchen. Dann brachten sie in Erfahrung, ob der Anbau von Energiepflanzen auf diesen Flächen nachteilige Auswirkungen auf das umgebende Klima oder die Bodenfeuchtigkeit haben würde. Sie prognostizierten auch potenzielle Erträge.
Ökologische Faktoren berücksichtigen
Entscheidend sei der umfassende Ansatz, betonen die Forschenden. Zwar gab es schon früher Veröffentlichungen zum Thema. Doch es handelte sich meist um isolierte Bewertungen, die beispielsweise wichtige Daten darüber außer Acht ließen: etwa die Frage, wie die neue Pflanzendecke das Klima in der Umgebung beeinflusst. „Veränderungen der Landschaft, etwa eine Zunahme oder Abnahme der Vegetation, können Auswirkungen auf das Klima auf lokaler bis regionaler Ebene haben, zum Beispiel mehr oder weniger Niederschlag oder wärmere oder kühlere Temperaturen“, sagt Matei Georgescu von der Arizona State University.
Um diese Wechselwirkungen zwischen Land und Atmosphäre zu berücksichtigen, nutzte das Forschungsteam die Ergebnisse seines Hydroklimamodells als Grundlage für sein Ökosystemmodell. Anschließend bewertete das Team die wirtschaftliche Machbarkeit des Anbaus dieser Gräser für Landwirte.
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Damit sich alternative Energiequellen durchsetzen, müssen die Lösungen wirtschaftlich sinnvoll sein. Deshalb verglichen die Forschenden im Rahmen ihrer Analyse auch die finanziellen Erträge der Nutzung der Flächen mit Miscanthus oder mit ähnlichen Gräsern. Nicht alle lagen die letzten Jahre brach; mitunter wurden sie mit Mais, Soja oder sonstige Kulturpflanzen bebaut.
Letztendlich stellten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fest, dass Miscanthus die vielversprechendere Pflanze sei und dass aus Miscanthus gewonnene Biojet-Kraftstoffe das Ziel von 100 Milliarden Liter pro Jahr erreichen könnten, bei durchschnittlichen Kosten von umgerechnet einem Euro pro Liter.
Dieser Betrag ist zwar höher als der Durchschnittspreis für konventionellen Düsenkraftstoff – in der Regel etwa 50 Cent pro Liter. Doch das Team kam zu dem Schluss, dass die Kosten angesichts des Potenzials zur Emissionssenkung angemessen seien. Ohnehin schwanken die Preise für Düsentreibstoff aus Erdöl stark, was zeigt, dass höhere Kosten vertretbar sind. Ihre Empfehlungen helfen Regierungen, aber auch der Industrie, zeitnah Strategien der CO2-Neutralität im Luftverkehr umzusetzen.
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