Die Mobilitätswende beginnt vor der eigenen Haustür
Weniger Energieverbrauch und weniger Kohlendioxid-Emission – viele Menschen wollen nachhaltiger leben, aber mobil bleiben. Oft übersehen sie, wie viel jeder Einzelne tun kann. Ein prämiertes Modellprojekt weist den Weg.
Eigentlich soll die Verkehrs- oder Mobilitätswende dafür sorgen, dass der Energieverbrauch im Verkehrssektor sinkt, ohne dass sich Menschen stark einschränken müssen. Dazu zählen technologische, aber auch politische und gesellschaftliche Maßnahmen. Große Fortschritte gibt es bislang aber nicht. Messungen des Umweltbundesamtes zeigen, dass der Anteil des Verkehrssektors an den Kohlendioxid-Emissionen in Deutschland immer noch steigt, von Pandemie-bedingten Schwankungen einmal abgesehen. Gleichzeitig ist der Flächenverbrauch von Autos immens.
Doch was können einzelne Bürgerinnen und Bürger unternehmen? Neue Impulse kommen von einem Modellprojekt. Im Rahmen von „Beweg Dein Quartier!“ untersuchen Forschende das Mobilitätsverhalten von Menschen auf einer kleinteiligen Skala, nämlich dem eigenen Quartier. Das Projektteam versucht in Essen und in Offenbach herauszufinden, wie sich die Mobilitätswende vor Ort gestalten lässt. Bewohnerinnen und Bewohner werden in alle Planungen mit eingebunden; der Dialog ist ein wesentlicher Baustein von „Beweg Dein Quartier“. Alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer sollten letztlich die Vorschläge umsetzen. Ziel ist, neue Möglichkeiten der Mobilität zu etablieren und alte, hinderliche Gewohnheiten abzulegen – mit dem Wunsch, eine hohe Lebensqualität im eigenen Viertel zu erreichen.
Jetzt wurde „Beweg Dein Quartier“ beim Polis Award 2022 mit dem ersten Platz in der Kategorie „Kommunikative Stadtgestaltung“ ausgezeichnet. Das Polis-Magazin berichtet seit 25 Jahren über Trends im Städtebau und in der Immobilienwirtschaft. Mit dem Preis sollen innovative Lösungen für allgegenwärtige Probleme in Städten ausgezeichnet werden. Pro Jahr bewerben sich rund 100 Projektverantwortliche mit ihren Ideen.
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Lokale Projekte für die Mobilitätswende
Das Projektteam hat zusammen mit Bürgerinnen und Bürgern in Workshops mehr als 30 Projektideen entwickeln, von denen mehrere im Reallabor „1 Monat Zukunft“ im September 2021 getestet worden sind. Einige Beispiele aus Offenbach:
Besser unterwegs zu Fuß oder mit dem Fahrrad: Die Ludwigstraße zwischen der S-Bahn-Station Ledermuseum und dem Goetheplatz gehört zu einer der stark frequentierten Gegenden. Im Rahmen des Projekts hat das Projektteam einen Nachmittag lang mehr Platz für Fußgängerinnen/Fußgänger und für Radfahrerinnen/Radfahrer geschaffen. Dazu wurden Gehsteige und Fahrradwege temporär verbreitert. Außerdem wurden Pop-up-Sitzmöbel, etwa Liegestühle, aufgestellt, die zum Verweilen einladen sollten. Es gab eine Weinverkostung und eine Ausstellung der Offenbacher Hochschule für Gestaltung (HfG) zum Thema „Mobilität im Nordend“.
Vor Ort Freiräume für Kinder schaffen: Ideen gab es auch für die Offenbacher Johannes-Morhart-Straße. Aus ihr wurde sieben Tage lang eine temporäre Spielstraße mit Möglichkeiten zur Bodenbemalung, mit Basketball-Spielfeld, Badminton, Boxen, mit Angeboten für eine Schnitzeljagd und mit weiteren Möglichkeiten rund um Sport oder Basteln. Kinder und Jugendliche – respektive deren Eltern – sollten sehen, dass es ohne weite Autofahrten möglich ist, Spaß zu haben. „Beweg Dein Quartier“ macht sich für eine hohe Lebensqualität vor Ort stark.
Flächen für Freizeitangebote nutzen: Bei „Ludwig macht Platz“ haben die Projektverantwortlichen Offenbachs Ludwigstraße zwischen der Bettinastraße und der Andréstraße für ein Wochenende gesperrt. Vor Ort gab es für Kinder Platz zum Spielen und für Kreativität. Erwachsene konnten einen Nachbarschafts-Flohmarkt besuchen, sich über das Projekt informieren oder Sport treiben. Musik und Tanz sorgten für das richtige Ambiente.
Mehr Grünflächen: Zudem wurde an der Ecke Goethestraße/Bernardstraße/Goethering ein sogenannter Pocket-Park eingerichtet. Darunter versteht das Projektteam einen kleinen, zuvor kaum genutzten Freiraum in der Stadt. Diese Fläche wurde als Aufenthaltsraum und Spielfläche gestaltet – ideal für Kinder und für Erwachsene.
Wohnortnahe Mobilitätsangebote: Ganz ohne Automobilität werden solche Konzepte nicht funktionieren. Deshalb entstanden im Rahmen des Projekts auch drei zusätzliche, temporäre Car-Sharing-Stationen.
Von der temporären zur dauerhaften Umgestaltung
Alle Projekte aus dem Reallabor „1 Monat Zukunft“ sollten zeigen, inwieweit sich Veränderungen im Quartier umsetzen lassen – und wie die Resonanz der Bewohnerinnen und Bewohner ist. Wie geht es weiter? Die Stadt Offenbach hat zugesichert, mindestens fünf Projekte zu unterstützen.
„Beweg Dein Quartier“ wird vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU) im Rahmen der „Nationalen Klimaschutzinitiative“ gefördert. Urbanista, ein Büro für Stadtentwicklung und urbane Zukunftsstrategien, koordiniert das Projekt. Mit an Bord ist auch das Centrum für Umweltmanagement, Ressourcen und Energie (CURE) an der Ruhr-Uni Bochum.
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