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Energiewende 12.12.2022, 07:00 Uhr

Jede Oberfläche in eine Stromquelle verwandeln – Mit papierdünnen Solarzellen

Dünnschicht-Solarzellen auf Gewebeband: Mit dieser Technologie wollen US-Ingenieurinnen und -Ingenieure den Solarmarkt revolutionieren. Denn Platz ist auf dem kleinsten Dach.

Solarzelle

Revolutionieren ultradünne Solarzellen den Markt?

Foto: Melanie Gonick, MIT

Regenerative Energien sind wichtiger denn je, um Klimaziele zu erreichen. Doch welche Ausbaumöglichkeiten gibt es in dicht besiedelten Regionen? Auf diese Frage fanden Ingenieurinnen und Ingenieure am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge eine überraschende Antwort: ultraleichte Stoffsolarzellen, die sich auf nahezu jeder Oberfläche anbringen lassen.

Die Zellen sind dünner als ein menschliches Haar und werden deshalb auf ein starkes, leichtes Gewebe geklebt, um sie zu befestigen. Auch als Module, um unterwegs Energie zu liefern, eignen sie sich. Die Forschenden sehen weitere Potenziale darin, abgelegene Standorte mit Energie zu versorgen – ohne große Montage vor Ort. Ihre neuen Zellen sind nur ein Hundertstel so schwer wie herkömmliche Solarpaneele, erzeugen jedoch 18-mal mehr Energie pro Kilogramm als herkömmliche Zellen.

Da sie so dünn und leicht sind, können die neuen Solarzellen auf vielen verschiedenen Oberflächen aufgebracht werden. Sie lassen sich beispielsweise in die Segel eines Schiffes integrieren, um auf See Strom zu liefern. Auf Zelten und Planen, die bei Katastropheneinsätzen zum Einsatz kommen, spielen die innovativen Solarzellen vielleicht schon bald eine wichtige Rolle. Sie lassen sich mit minimalem Installationsaufwand leicht in fast jede Umgebung integrieren.

Weg frei für Solarzellen mit ganz neuer Funktionsweise

Bei Solarzellen nicht nur auf den Wirkungsgrad achten

Herkömmliche Silizium-Solarzellen sind zerbrechlich. Sie müssen in Glas eingeschlossen und in einem schweren, dicken Aluminiumrahmen verpackt werden, was ihre Einsatzmöglichkeiten stark vermindert.

„Die Kriterien zur Bewertung einer neuen Solarzellentechnologie beschränken sich in der Regel auf den Wirkungsgrad und die Kosten in Dollar pro Watt“, sagt Vladimir Bulović vom MIT. „Genauso wichtig ist aber die Integrierbarkeit, sprich der Aufwand, um die neue Technologie einzubauen.“ Im neuen System sieht er Möglichkeiten, die weiter Verbreitung von Solarzellen zu beschleunigen.

Bessere Solarzellen im All – neue Impulse auch für „irdische“ Anwendungen

Aufwändige Entwicklung ultradünner Solarzellen

Der Erfolg stellte sich nicht von heute auf morgen ein. Vor sechs Jahren entwickelte die Forschergruppe bereits eine neue Klasse von Dünnschichtmaterialien, die so leicht waren, dass sie theoretisch auf einer Seifenblase haften. Diese ultradünnen Solarzellen wurden jedoch in komplexen, vakuumbasierten Prozessen hergestellt, die teuer und schwierig zu skalieren sein können. Sprich: Ein kommerzieller Durchbruch war der Technologie nicht beschieden.

Deshalb entwickelten sie Dünnschicht-Solarzellen mit einem robusten, hochskalierbaren Druckverfahren. Zur Herstellung verwenden sie Nanomaterialien in Form einer elektronischen Tinte. Im Reinraum arbeiteten sie mit einem Slot-Die-Coater. Bei der speziellen Beschichtungstechnik werden dünne Flüssigkeitsschichten auf bahnförmige Substrate aufgetragen. Dann folgt per Siebdruck eine Elektrode. Anschließend zogen die Forschenden ihr gedruckte Modul, das etwa 15 Mikrometer dick ist, vom Kunststoffsubstrat ab.

Stabiles Gewebeband als Träger ultradünner Solarzellen

Dünne Solarmodule sind in der Praxis jedoch schwierig zu handhaben. Sie reißen leicht ein, was ihren Einsatz erschweren würde. Um diese Herausforderung zu meistern, suchte das MIT-Team nach einem leichten, flexiblen und hochfesten Substrat, auf das die Solarzellen geklebt werden konnten. Experimente zeigten, dass Gewebe die optimale Lösung sind, da sie mechanische Belastbarkeit und Flexibilität bei geringem Zusatzgewicht bieten.

Verbundgewebe erwies sich mit 13 Gramm pro Quadratmeter als ideal. Es besteht aus Fasern, die so stark sind, dass sie beispielsweise verwendet wurden, um das gesunkene Kreuzfahrtschiff Costa Concordia vom Grund des Mittelmeers zu heben.

Die Solarmodule werden mit einer nur wenige Mikrometer dicken Schicht aus UV-härtbarem Klebstoff auf die Bahnen dieses Gewebes geklebt. So entsteht eine ultraleichte und mechanisch robuste Solarstruktur.

Herkömmliche Solarzellen in den Schatten stellen

Bei ihren Tests fanden die Ingenieurinnen und Ingenieure heraus, dass ihre Solarzellen im Labor eine Leistung von 730 Watt pro Kilogramm erbringen. Auf Gewebe waren es 370 Watt pro Kilogramm: 18-mal mehr als bei herkömmlichen Solarzellen. „Eine typische Aufdach-Solaranlage in Massachusetts hat etwa 8.000 Watt“, sagt Bulović. „Um dieselbe Energiemenge zu erzeugen, würde unsere Gewebe-Photovoltaikanlage nur etwa 20 Kilogramm auf dem Dach eines Hauses ausmachen.“

Bulović und seine Kolleginnen beziehungsweise Kollegen testeten auch die mechanische Stabilität ihrer Dünnschicht-Solarzellen. Selbst nach mehr als 500-maligem Auf- und Abrollen eines Moduls lag die Kapazität noch bei 90% des ursprünglichen Werts. Fragen zur Langzeitstabilität müssen die Forschenden vor der kommerziellen Verwertung aber noch klären.

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Von Michael van den Heuvel