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Lawinengefahr 11.11.2024, 07:00 Uhr

Klimawandel in den Alpen: Mehr nasse Lawinen, weniger trockene

Eine aktuelle SLF-Studie prognostiziert, wie sich der Klimawandel bis Ende des Jahrhunderts auf die Lawinensituation in der Schweiz auswirken wird. Während die Zahl der trockenen Lawinen zurückgehen dürfte, wird erwartet, dass Nassschneelawinen häufiger auftreten werden. Dies stellt Skigebiete und Lawinenwarndienste vor neue Herausforderungen.

Eine Lawinen rutscht einen Berg hinab.

Künftig könnten Lawinen in den Alpen deutlich mehr Nassschnee enthalten.

Foto: PantherMedia / kamchatka

Entgegen der landläufigen Meinung bedeutet weniger Schnee nicht zwangsläufig eine geringere Lawinengefahr. Das ist das Ergebnis einer Untersuchung von Stephanie Mayer, Forscherin am WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF. In ihrer Studie analysierte sie die Auswirkungen des Klimawandels auf die Lawinenaktivität in der Schweiz oberhalb von 1800 Metern über dem Meeresspiegel. „Wir erwarten einen Rückgang der trockenen Lawinen, aber oberhalb der Waldgrenze wird die Zunahme von Nassschneelawinen diesen Rückgang teilweise kompensieren“, erklärt Mayer. Für verschiedene Klimaszenarien berechnete sie die möglichen Folgen. Nur im schlimmsten Fall, der von einem Anstieg der durchschnittlichen Wintertemperaturen um etwa fünf Grad Celsius bis 2100 ausgeht, wird die Gesamtaktivität der Lawinen zurückgehen. „Dann allerdings gleich um zwanzig bis vierzig Prozent oberhalb der aktuellen Baumgrenze“, fügt Mayer hinzu.

Die Studie weist darauf hin, dass Skigebiete und Lawinenwarndienste in Zukunft mit neuen Herausforderungen konfrontiert sein werden. Im Lauf des Jahrhunderts ist damit zu rechnen, dass Nassschneelawinen während der touristischen Hochsaison deutlich zunehmen. Nassschneelawinen zeichnen sich dadurch aus, dass mindestens ein Teil der Schneedecke im Anrissgebiet der Lawine, also dem Bereich, in dem sich die Lawine löst, durch Schmelz- oder Regenwasser durchfeuchtet wurde. Im Unterschied zu trockenen Lawinen können Nassschneelawinen von Lawinensicherheitsdiensten kaum kontrolliert ausgelöst werden, erklärt Mayer: „Als Sicherheitsmaßnahme bleibt oft nur die Sperrung gefährdeter Bereiche eines Skigebiets.“ Auch Freizeitsportler sollten sich verstärkt mit der Thematik der Nassschneelawinen auseinandersetzen, da diese im Hochwinter künftig wohl häufiger auftreten werden.

Lawinen-Prognosen für die Schweizer Alpen

Stephanie Mayer berechnete ihre Szenarien für sieben repräsentative Standorte in der Schweiz, darunter das Weissfluhjoch oberhalb von Davos und eine auf etwa 2700 Metern gelegene Station bei Zermatt. Sie ist überzeugt, dass ihre Ergebnisse auf den gesamten Alpenraum übertragbar sind und auch für Gebirgszüge mit vergleichbaren klimatischen Bedingungen, wie beispielsweise die Columbia Mountains in Kanada, Gültigkeit haben. Die Studie liefert wichtige Erkenntnisse für die zukünftige Entwicklung der Lawinengefahr in den Alpen und ermöglicht es, frühzeitig Strategien zu entwickeln, um sich an die neuen Gegebenheiten anzupassen.

Eine positive Nachricht ist, dass aufgrund steigender Temperaturen, einer höheren Schneefallgrenze und geringerer Schneemengen die Lawinen in Zukunft seltener bis in die Tallagen abrutschen. Das gilt allerdings nicht pauschal, denn extreme Schneefallereignisse werden auch in Zukunft noch auftreten. In hohen Lagen könnte dies sogar zu größeren Lawinen führen. Wenn sich Lawinen in großer Höhe lösen und kanalisiert abfließen, können sie immer noch so weit in die Täler vordringen wie heute – und damit auch bewohntes Gebiet erreichen. Dennoch erwartet Mayer, dass die zuständigen Behörden ihre Gefahrenkarten überprüfen und sich gegebenenfalls an die durch den Klimawandel veränderte Gefahrensituation anpassen.

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Neue Klimaszenarien für präzisere Lawinen-Analysen

Mit den neuen Klimaszenarien (CH2025) sollten zukünftig genauere Analysen bezüglich künftiger Extremsituationen möglich sein. Diese Szenarien berücksichtigen die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Klimawandel und ermöglichen eine detailliertere Betrachtung der Lawinenaktivität. Auf Basis dieser Daten können Lawinenwarndienste ihre Modelle optimieren und präzisere Vorhersagen treffen. Auch für die Raumplanung und den Schutz von Infrastruktur in lawinengefährdeten Gebieten werden diese Informationen von großer Bedeutung sein.

Die Studie von Stephanie Mayer verdeutlicht, dass der Klimawandel komplexe Auswirkungen auf die Lawinensituation in den Alpen haben wird. Während einerseits mit einem Rückgang der trockenen Lawinen zu rechnen ist, werden andererseits Nassschneelawinen deutlich häufiger auftreten. Das erfordert eine Anpassung des Risikomanagements in den Skigebieten sowie eine bessere Sensibilisierung der Öffentlichkeit für diese Thematik. Lawinenwarndienste müssen ihre Methoden weiterentwickeln, um den veränderten Bedingungen gerecht zu werden und zuverlässige Prognosen zu liefern. Nur so können die Sicherheit von Wintersportlern gewährleistet und potenzielle Schäden durch Lawinen so gering wie möglich gehalten werden.

Anpassung an veränderte Lawinenbedingungen unerlässlich

Zu den zu überarbeitenden Strategien gehört auch die Entwicklung neuer Sicherheitskonzepte und die Schulung von Personal. Die Öffentlichkeit muss nicht nur über die zunehmende Gefahr von Nassschneelawinen aufgeklärt werden, sondern auch über deren Auswirkungen. Die Raumplanung muss die sich verändernde Lawinengefahr ebenfalls berücksichtigen und gegebenenfalls Anpassungen vornehmen. Nur durch ein präventives Handeln und eine enge Zusammenarbeit aller Beteiligten kann gewährleistet werden, dass der Wintersport in den Alpen auch in Zukunft attraktiv bleibt. Die Studie von Stephanie Mayer liefert dafür wertvolle Grundlagen und zeigt auf, welche Herausforderungen in den kommenden Jahrzehnten auf die touristischen Winterhochburgen in den Alpen zukommen werden.

Von Julia Klinkusch