Die neue WHO-Leitlinie zur Luftqualität – Was sie für Europa bedeuten könnte
Erstmals seit 2005 hat die Weltgesundheitsorganisation ihre Leitlinien zur Luftqualität aktualisiert. Darin werden deutlich strengere Grenzwerte empfohlen – zwar unverbindlich, aber das Europäische Parlament wird reagieren.
Neben dem Klimawandel steht die Luftverschmutzung an zweiter Stelle als Auslöser umweltbezogener Bedrohungen für die menschliche Gesundheit. Laut Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sterben pro Jahr bis zu sieben Millionen Menschen an den Folgen der Luftverschmutzung. Dabei handelt es sich vor allem um nichtübertragbare Leiden wie Herz-Kreislauf-Krankheiten, Diabetes oder neurologische Störungen. Hunderte Millionen gesunder Lebensjahre gehen so verloren. Besonders gefährdet sind Patienten mit Asthma, mit chronisch-obstruktiven Lungenerkrankungen (COPD) und mit Herzerkrankungen sowie ältere Menschen, Kinder und Schwangere.
Die Erkenntnis ist nicht neu. Seit der letzten Aktualisierung der Leitlinien im Jahr 2005 hat sich aber viel getan. WHO-Expertinnen und -Experten fanden bei Literaturrecherchen zahlreiche neue Belege für negative Effekte von Schadstoffen auf die Gesundheit. In die neue Leitlinie sind sechs Übersichtsarbeiten mit insgesamt 500 Publikationen eingeflossen. Sie gaben Anhaltspunkte, bestehende Werte nach unten zu korrigieren; teilweise recht deutlich.
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Neue Empfehlungen zur Luftqualität
Zu den Details: Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler empfehlen jetzt eine deutliche Absenkung der Grenzwerte von Stickstoffdioxid von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft, wie in der EU derzeit vorgeschrieben, auf 10 Mikrogramm pro Kubikmeter. Bei Feinstaub (PM2.5) wurde der Grenzwert von 10 auf 5 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft herabgesetzt; EU-weit gelten 25 Mikrogramm. Und bei PM10 rät die WHO zu 15 statt bisher 20 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft. Hier liegt der EU-Grenzwert bei 40 Mikrogramm.
Feinstaub mit einem Durchmesser von zehn oder weniger Mikrometern gilt als besonders kritisch. Kleinste Teilchen können bis tief in die Lunge vordringen und in den Blutkreislauf gelangen, was Folgen für das Herz-Kreislauf-System und die Atemwege hat, aber auch andere Organe beeinträchtigt. Forschende bringen auch ein erhöhtes Diabetes-Risiko damit in Verbindung. Feinstaub entsteht vor allem durch die Verbrennung von Energieträgern im Verkehrswesen, in der Energiewirtschaft, in Haushalten, in der Industrie und in der Landwirtschaft.
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Europa wird reagieren und Grenzwerte nachziehen
Die neuen Vorgaben stecken zwar lediglich einen unverbindlichen Rahmen für Regierungen weltweit ab. Sie gelten als wissenschaftlich begründete Empfehlung. In Europa ist die Situation jedoch anders. Denn im März 2021 hat das Europäische Parlament empfohlen, die EU-Luftqualitätsnormen zu aktualisieren, sobald die neuen WHO-Leitlinien veröffentlicht worden sind – mit der Maßgabe, sich an WHO-Vorgaben zu orientieren. Aller Wahrscheinlichkeit wird dies im dritte Quartal 2022 geschehen.
Defizite in anderen Ländern
Europa gehört nicht zu den Regionen, die am stärksten von Luftschadstoffen in Mitleidenschaft gezogen werden. WHO-Expertinnen und -Experten warnen vor weltweit zunehmenden Unterschieden. Vor allem Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen, in denen sich die Luftverschmutzung infolge der Verstädterung und der starken Nutzung fossiler Brennstoffe sind besonders betroffen. Die Zahl an Menschen in Gebieten mit geringer Luftqualität steigt.
Wie bewerten Forscher die neue WHO-Grenzwerte?
Annette Peters, Epidemiologin im Bereich der Wirkung von Luftschadstoffen, hat sich das Dokument der WHO angesehen. Sie forscht am Helmholtz Zentrum München.
„Die neuen WHO-Leitlinien sind eine wichtige Entwicklung und ein großer Schritt nach vorne, da sie Richtwerte vorgeben, die durch viele neue und große Studien belegt sind“, sagt Peters. „Diese Werte sind in der Lage, die Gesundheit wirkungsvoll zu schützen. Sehr gut ist es aus meiner Sicht, dass sowohl Richtwerte für Jahresmittelwerte als auch Werte für kurzzeitige Belastungen empfohlen werden. Insbesondere beim Feinstaub wurde bei der Abschätzung der Krankheitslast schon von diesen Werten ausgegangen.“
Was bedeuten alle Grenzwerte nun? „Die neuen Leitlinien geben sehr ambitionierte Ziele vor und zeigen auf, welche Schritte zur Absenkung von Grenzwerten sinnvoll sein könnten, indem Zwischenziele definiert werden“, kommentiert Peters. „Die Anstrengungen sind je nach Ausgangslage und Quellen der Schadstoffe unterschiedlich groß.“ Wichtig erscheine ihr dabei, dass diese Anstrengungen und solche zur Erreichung ambitionierter Klimaschutzziele oft Hand in Hand gehen sollten.
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