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Klimawandel 02.12.2024, 07:00 Uhr

Extreme Hitzewellen: Negative Rekorde auf der ganzen Welt

Eine neue Studie identifiziert Regionen, in denen extreme Hitzewellen die Vorhersagen der globalen Erwärmungsmodelle übertreffen. In diesen Gebieten, die auf allen Kontinenten außer der Antarktis auftauchen, kam es in den vergangenen Jahren zu Tausenden von Todesfällen, verdorrten Ernten und verheerenden Waldbränden. Forschende untersuchen die Ursachen dieser besorgniserregenden Entwicklung.

Ein Thermometer vor einer glühenden Sonne.

Forschende sind besorgt über die überdurchschnittlich stark ansteigenden Temperaturen in einigen Regionen.

Foto: PantherMedia / rfphoto

Das Jahr 2023 brach den Rekord als heißestes Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen und übertraf den bisherigen Spitzenreiter 2016. Die zehn höchsten Jahresdurchschnittstemperaturen traten allesamt in den vergangenen zehn Jahren auf, und 2024 könnte einen weiteren Rekord aufstellen. Doch inmitten dieses allgemeinen Anstiegs der Durchschnittstemperaturen zeichnet sich ein beunruhigendes Phänomen ab: In bestimmten Regionen kommt es wiederholt zu Hitzewellen, die so extrem sind, dass sie die Vorhersagen und Erklärungen der globalen Erwärmungsmodelle bei weitem übertreffen. Eine aktuelle Studie liefert nun die erste weltweite Karte dieser Gebiete, die auf allen Kontinenten außer der Antarktis zu finden sind und in denen die Temperaturen der vergangenen Jahre verheerende Folgen hatten: darunter Zehntausende von Todesfällen, verdorrte Ernten und Wälder sowie Waldbrände.

Die Studie wirft die Frage auf, inwieweit Klimamodelle in der Lage sind, die Beziehungen zwischen globalen Mitteltemperaturänderungen und regionalen Klimarisiken korrekt einzuschätzen –  angesichts der großen und unerwarteten Abweichungen, mit denen die jüngsten regionalen Extreme frühere Rekorde gebrochen haben. Kai Kornhuber, Hauptautor der Studie und Wissenschaftler am Lamont-Doherty Earth Observatory der Columbia Climate School sowie leitender Forschungsstipendiat am Internationalen Institut für Angewandte Systemanalyse in Österreich, erläutert, dass es hier um extreme Trends geht. Diese sind das Ergebnis von physikalischen Wechselwirkungen, die möglicherweise noch nicht vollständig verstanden werden. Er bezeichnet diese Regionen als temporäre Treibhäuser, in denen die Durchschnittstemperaturen auf alarmierende Weise ansteigen.

Rekordverdächtige Durchschnittstemperaturen in betroffenen Regionen

Die Studie, die kürzlich in den Proceedings of the National Academy of Sciences veröffentlicht wurde, analysiert Hitzewellen der vergangenen 65 Jahre und zeigt Gebiete, in denen die extreme Hitze deutlich schneller zunimmt als die gemäßigteren Temperaturen. Das führt häufig dazu, dass die Höchsttemperaturen immer wieder um teilweise erstaunliche Zahlen überschritten werden. Ein Beispiel dafür ist die neuntägige Hitzewelle im Juni 2021, die den pazifischen Nordwesten der USA und den Südwesten Kanadas heimsuchte. Dort wurden an einigen Orten Tagesrekorde um bis zu 30 Grad Celsius oder 54 Grad Fahrenheit übertroffen, einschließlich der höchsten jemals in Kanada gemessenen Temperatur von 121,3 Grad Fahrenheit (49,6 Grad Celsius) in Lytton, British Columbia. Die Stadt brannte am folgenden Tag bis auf die Grundmauern nieder, nachdem ein Lauffeuer ausgebrochen war, das größtenteils durch die außergewöhnliche Hitze und die daraus resultierende trockene Vegetation verursacht wurde.

Obwohl diese extremen Hitzewellen hauptsächlich in den vergangenen fünf Jahren auftraten, gab es einige davon schon in den frühen 2000er-Jahren oder davor. Zu den am stärksten betroffenen Regionen zählen das bevölkerungsreiche Zentralchina, Japan, Korea, die Arabische Halbinsel, Ostaustralien und Teile Afrikas. Aber auch die kanadischen Nordwest-Territorien mit ihren hocharktischen Inseln, Nordgrönland, das südliche Ende Südamerikas und einzelne Gebiete Sibiriens sind betroffen. Selbst Gebiete in Texas und New Mexico sind auf der Karte verzeichnet, auch wenn sie nicht zu den extremen Fällen gehören. Der Bericht hebt hervor, dass die beständigsten Zahlen aus Nordwesteuropa kommen, wo eine Reihe von Hitzewellen im Jahr 2022 zu etwa 60.000 und im Jahr 2023 zu 47.000 Todesfällen führte. Betroffen waren insbesondere Deutschland, Frankreich, das Vereinigte Königreich und die Niederlande. In diesem Gebiet erwärmten sich die heißesten Tage des Jahres in den letzten Jahren doppelt so schnell wie die durchschnittlichen Sommertemperaturen.

Ursachen der extremen Durchschnittstemperaturen noch unklar

Die Forschenden bezeichnen die statistischen Trends als „Ausweitung des Spektrums“, also das anormale Auftreten von Temperaturen am oberen Ende oder über das hinaus, was bei einfachen Aufwärtsverschiebungen der mittleren Sommertemperaturen zu erwarten wäre. Allerdings tritt dieses Phänomen nicht überall auf. Die Studie zeigt, dass die Höchsttemperaturen in vielen anderen Regionen tatsächlich niedriger sind als von den Modellen vorhergesagt, beispielsweise in weiten Gebieten im Norden der USA und im Zentrum Kanadas, im Inneren Südamerikas, in großen Teilen Sibiriens, im Norden Afrikas und im Norden Australiens. Auch wenn die Hitze in diesen Regionen zunimmt, steigen die Extreme mit einer ähnlichen oder geringeren Geschwindigkeit als es die Veränderungen im Durchschnitt vermuten lassen würden. Steigende Durchschnittstemperaturen machen Hitzewellen in vielen Fällen wahrscheinlicher, aber die Ursachen für die extreme Hitze in den genannten Regionen sind noch nicht vollständig geklärt.

In Europa und Russland machte eine frühere Studie unter der Leitung von Kornhuber Hitzewellen und Dürren für Schwankungen im Jetstream verantwortlich, einem schnell fließenden Luftstrom, der die nördliche Hemisphäre kontinuierlich umkreist. Normalerweise beschränkt sich der Jetstream auf ein schmales Band, eingeschlossen von kalten Temperaturen im hohen Norden und viel wärmeren weiter südlich. Da sich die Arktis jedoch im Durchschnitt viel schneller erwärmt als die meisten anderen Teile der Erde, scheint das den Jetstream negativ zu beeinflussen und zur Entwicklung sogenannter Rossby-Wellen zu führen. Diese saugen heiße Luft aus dem Süden an und lagern sie in gemäßigten Regionen ab, in denen es normalerweise tage- oder wochenlang nicht so heiß wird. Das ist jedoch nur eine Hypothese und erklärt nicht alle Extreme.

Kombination verschiedener Faktoren führt zu Rekord-Durchschnittstemperaturen

Eine Studie über die tödliche Hitzewelle 2021 im pazifischen Nordwesten/Südwesten Kanadas zeigte ein Zusammentreffen mehrerer Faktoren, von denen einige mit dem langfristigen Klimawandel zusammenhängen und andere eher zufällig sind. Dazu gehörten eine Störung im Jetstream ähnlich den Rossby-Wellen, die Europa und Russland betreffen, sowie jahrzehntelang langsam steigende Durchschnittstemperaturen, die die regionale Vegetation austrockneten. Daher hatten die Pflanzen bei einem Hitzeschub weniger Wasserreserven, die sie in die Luft verdunsten konnten – ein Prozess, der normalerweise dazu beiträgt, die Hitze zu mildern. Ein dritter Faktor waren kleinere atmosphärische Wellen, die Wärme von der Oberfläche des Pazifiks aufnahmen und sie ostwärts an Land transportierten. Das Extrem solcher Hitzewellen hat schwerwiegende gesundheitliche Auswirkungen. Auch für Landwirtschaft, Vegetation und Infrastruktur ist es katastrophal. Laut Kornhuber sind die Menschen darauf nicht vorbereitet und könnten sich nicht schnell genug anpassen.

Von Julia Klinkusch