Innovativer Ansatz gegen Emissionen: Neues Material schluckt Kohlendioxid
Politiker fordern, den Kohlendioxid-Ausstoß europaweit stark zu verringern. Zu den wichtigsten Quellen zählen Abgase oder Erdgas. Mit einem neuen, an der Universität Bayreuth entwickelten Material gelingt die CO2-Abscheidung besser als zuvor.
Die Europäische Kommission setzt Firmen unter Druck: Ende 2019 hat Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ein neues Konzept vorgestellt, den „European Green Deal“. Bis 2050 soll die Industrie ihren Kohlendioxid-Ausstoß auf null bringen. Damit wäre, sollte alles nach Plan laufen, Europa der erste klimaneutrale Kontinent.
Solche Pläne betreffen vor allem solche Branchen stark, die mit Erdgas oder mit Biogasen arbeiten. Aber auch Abgase enthalten bekanntlich hohe Mengen an Kohlendioxid. Doch wie lässt sich das Treibhausgas effizient und wirtschaftlich abtrennen? Hier könnte ein neues Material zum Einsatz kommen, das Forscher an der Universität Bayreuth entwickelt haben. Es unterscheidet sich stark von anderen Technologien: Kohlendioxid wird nicht chemisch, sondern physikalisch gebunden und anschließend industriellen Prozessen zugeführt: ein Paradigmenwechsel.
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Anorganisch-organisches Hybridmaterial erfüllt zentrale Voraussetzungen
Im Labor untersuchten Wissenschaftler um Martin Rieß verschiedene Materialien. Rieß ist Doktorand am Lehrstuhl Anorganische Chemie I der Universität Bayreuth. Jeder Werkstoff wurde hinsichtlich seiner Kohlendioxid-Adsorption bewertet. Rieß und Kollegen konnten dafür eine Messanlage zur dynamischen Gasadsorption nutzen. Sie wurde speziell für diese Untersuchungen eingerichtet.
Ein anorganisch-organisches Hybridmaterial erwies sich als besonders gut geeignet. Die anorganische Basis bilden Tonminerale. Sie sind aus unzähligen, übereinander gestapelten Glasplättchen aufgebaut, wobei jedes dieser Plättchen nur einen Nanometer dick ist. Zwischen den einzelnen Schichten befinden sich organische Moleküle. Sie sorgen dafür, dass sich die anorganischen Schichten in einem genau definierten Abstand zueinander befinden. Dabei entstehen Poren, in die nur Kohlendioxid-Moleküle passen. Andere Gase, etwa Stickstoff oder Methan, werden aufgrund ihrer Geometrie nicht adsorbiert. Das Prinzip wird auch Molekularsieb genannt. Beispielsweise verwendet man anorganische Mineralien, die Zeolithe, als Molekularsiebe, um Spuren von Wasser aus organischen Lösungsmitteln zu entfernen.
Industrielle Abtrennung von Kohlendioxid aus Gasgemischen
„Unserem Forschungsteam ist ein Materialdesign gelungen, das zwei Aufgaben gleichzeitig erfüllt: Die physikalischen Wechselwirkungen mit CO₂ sind stark genug, um dieses Treibhausgas aus einem Gasgemisch herauszulösen und festzuhalten“, kommentiert Rieß. „Andererseits sind sie aber schwach genug, um das CO₂ mit nur geringem Energieaufwand aus dem Material wieder zu entfernen.“
Ein industrieller Prozess könnte folgendermaßen aussehen: Gase strömen durch das neuartige Material, und Kohlendioxid wird rein physikalisch gebunden. Das Treibhausgas lässt sich anschließend mit geringem Energieaufwand wieder entfernen, um es beispielsweise für chemische Synthesen zu verwenden. Das Adsorbens selbst steht anschließend nahezu verlustfrei für einen neuen Zyklus zur Verfügung.
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„Alle Kriterien, die für die Bewertung industrieller CO₂-Trennverfahren relevant sind, werden von unserem Hybridmaterial hervorragend erfüllt“, sagt Rieß. „Es lässt sich kostengünstig herstellen und kann einen wichtigen Beitrag zur Verringerung industrieller Kohlendioxid-Emissionen, aber auch zur Aufbereitung von Biogas und saurem Erdgas leisten.“
Andere Verfahren der Kohlendioxid-Abscheidung
Bislang arbeiten Ingenieure mit unterschiedlichen Verfahren, um Kohlendioxid aus Gasgemischen zu eliminieren. Zum Beispiel bei der Aufbereitung von Erdgas kommt die Aminwäsche experimentell zum Einsatz. Amine, das sind basische, stickstoffhaltige Chemikalien, binden das Treibhausgas reversibel. Hier lässt sich auch Schwefelwasserstoff entfernen. Allerdings sind die verwendeten Chemikalien gesundheitsschädlich, teilweise sogar krebserregend. Auch Hydrogencarbonate oder Calciumhydoxid, sprich Kalkmilch, wurden schon untersucht. Alle Verfahren haben den Nachteil, dass sie viel Energie benötigen.
Alternativ verbrennt man beim Oxyfuel-Verfahren Kohle in einer Atmosphäre aus reinem Sauerstoff. Das entstehende Rauchgas enthält weder Reste von Luft noch Stickstoff oder Edelgase. Es wird nach Abtrennung von Wasser verdichtet und zu einem Lager gebracht. Solche Prozesse bergen derzeit schwer zu bewertende geologische Risiken. Im norwegischen Gasfeld Snøhvit drohte etwa ein Deckgebirge zu reißen.
Wird Kohlendioxid nicht industriell aufgearbeitet, ist die Lagerung in Form schwer löslicher Carbonate wie Calciumcarbonat sicherer. Allerdings gilt das Treibhausgas als wertvoller Rohstoff – und könnte mit dem Bayreuther Verfahren deutlich einfacher als bisher industriellen Prozessen zugeführt werden. Der Bedarf wäre jedenfalls da.
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